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Erzbistums Freiburg regelnden Bullen Provida
solersque vom 16. Aug. 1821 und Ad domi-
nici gregis custodiam vom 11. April 1827
nichts ändern. Denn Baden publizierte diese
Bullen nur mit Vorbehalten und faßte die staats-
kirchlichen Verordnungen erneut in der Verord-
nung vom 30. Jan. 1830, das Schutz= und Auf-
sichtsrecht über die katholische Kirche betreffend,
zusammen.
Die beiden ersten Erzbischöfe, Bernhard Boll
und Ignaz Demeter, sahen sich außer stande,
diese für die Kirche in vieler Hinsicht höchst
verderbliche Unterjochung, die den Einfluß des
Oberhirten auf ein Minimum reduzierte, zu be-
seitigen. Auch der dritte Erzbischof, Hermann
v. Vicari, erreichte durch gütliche Verhandlungen
keine genügende Sicherung der bischöflichen Rechte.
Es blieb ihm nur der Weg der Tat übrig, um
diese zurückzuerhalten, und der 80jährige Greis
zögerte auch nicht, ihn zu beschreiten. Der sich
nun entspinnende sog. badische Kirchenstreit,
der 1853 begann, erreichte seinen Höhepunkt in
der am 22. Mai 1854 erfolgten Verhaftung des
Erzbischofs, fand aber noch in demselben Jahr
durch ein mit dem Heiligen Stuhl vereinbartes
vorläufiges Abkommen sein Ende. Die Errichtung
eines erzbischöflichen theologischen Konvikts (1857)
in Freiburg war das nächste positive Ergebnis des
harten Kampfes. Die am 28. Juni 1859 mit
dem Heiligen Stuhl abgeschlossene Konvention,
das sog. „Konkordat“, von Rom in der Bulle
Aeterni Patris publiziert, sollte dann das Staats-
kirchentum grundsätzlich beseitigen. Infolge des
Ansturms der vereinigten Gegner gelang es indes,
die Konvention zu Fall zu bringen und das bis-
herige Ministerium zu stürzen (1860).
Für das politische Leben war dieser Vorgang
von höchster Bedeutung. Denn nun vollzog der
Großherzog einen vollständigen Systemwechsel.
Die oppositionelle liberale Partei wurde jetzt Re-
gierungspartei und beherrscht seitdem ununter-
brochen die leitenden Regierungskreise. Doch
verkündete der Großherzog in seiner Osterprokla-
mation vom 7. April 1860: ein Gesetz, unter
dem Schutz der Verfassung stehend, werde der
Rechtsstellung der Kirche eine sichere Grundlage
verbürgen; in diesem Gesetz und den darauf zu
bauenden weiteren Anordnungen werde der In-
halt der Konvention seinen berechtigten Ausdruck
finden. Das verheißene Gesetz wurde am 22. Mai
1860 in Gestalt von sechs Gesetzentwürfen der
Zweiten Kammer vorgelegt; fünf derselben erlang-
ten Gesetzeskraft, der zweite, der das erste Gesetz
betreffend „die rechtliche Stellung der Kirchen und
kirchlichen Vereine im Staat“ unter den Schutz
der Verfassung stellen wollte, wurde indes nicht
angenommen. Am 9. Okt. 1860 wurde dieses
Gesetzeswerk publiziert. Es bildet bis heute die
Grundlage der kirchenpolitischen Verhältnisse.
Unter Aufgabe des alten Staatskirchentums ge-
währt es den anerkannten Konfessionen Selb-
Baden.
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stän digkeit in der Ordnung ihrer Angelegen-
heiten, beläßt aber dem Staat doch noch eine
Reihe sehr wichtiger Mitbestimmungsrechte, so
insbesondere die Mitwirkung bei Verwaltung des
Kirchenvermögens. Der Erzbischof ließ sich auf
neue Verhandlungen ein, die am 20. Nov. 1861
zur Vereinbarung über die Verwaltung des Kirchen-
vermögens und zur Einsetzung eines katholischen
Oberstiftungsrats führten. Im gleichen Jahr wurde
ein Abkommen zwischen Erzbischof und Regierung
über die Besetzung der Pfründen getroffen.
Erneute Konflikte brachte die Schulfrage und
die Wegnahme der Schulfonds und milden Stif-
tungen in weltliche Verwaltung. Nach Erlaß
des Gesetzes vom 9. Okt. 1860 überließ die Re-
gierung der Kirche wohl die Erteilung des Reli-
gionsunterrichts, nahm jedoch den Geistlichen auch
die Leitung der Schulaufsicht ab, setzte einen
Oberschulrat ein, überwies diesem die Verwaltung
der Schulfonds und übertrug auch das ganze
Armenwesen mit der Verwaltung der milden Stif-
tungen staatlichen oder gemeindlichen Organen.
1868 kam die fakultative Simultanschule, 1872
das Verbot der Lehrwirksamkeit von Ordens-
leuten, 1876 die Einführung der obligatorischen
Simultanschule, 1869 das Stiftungsgesetz und
die Einführung der obligatorischen Zivilehe. Mit
der Einführung des Staatsexamens für die
Theologiestudierenden, einer der ersten Taten des
kulturkämpferischen Ministers Jolly, sprang der
wiederentfachte Kampf aber auch auf andere Ge-
biete über. Er führte zur Auflösung mehrerer
weiblicher Ordensanstalten, zum Verbot der
Missionen und der seelsorgerlichen Aushilfe durch
Mitglieder religiöser Orden (1872), zum Alt-
katholikengesetz (1874), zur Schließung der
Knabenseminare und des theolegischen Konvikts
zu Freiburg (1874), zur Wiedereinführung der
Strafgesetze gegen Geistliche (1874). Trotzdem
Jolly schon am 21. Sept. 1876 entlassen wurde,
währte es doch noch vier Jahre, bis mit der Be-
seitigung der Kulturkampfgesetzgebung begonnen
wurde. Am 5. März 1880 wurde das Staats-
examen für die Theologiestudierenden beseitigt;
durch Gesetz vom 5. Juli 1888 wurde die Wieder-
errichtung von Konvikten und die Aushilfe der
Ordensgeistlichen in Notfällen gestattet; 1894 folgte
die Aufhebung des Verbots von Missionen durch
Ordensgeistliche. Zur Beseitigung der Finanz-
kalamität gestattete die Regierung der Kirche die.
Einführung von allgemeinen und örtlichen Kirchen-
steuern.
Von geistlichen Anstalten bestehen gegenwärtig
ein Priesterseminar in St Peter bei Freiburg, ein
theologisches Konvikt in Freiburg und Gymnasial-
konvikte in Freiburg, Konstanz, Rastatt und
Tauberbischofsheim. Die katholisch-theologische
Fakultät der Universität Freiburg gilt als staat-
liche Institution. Die Universität, eine stiftungs-
gemäß katholische Anstalt, hat diesen Charakter
verloren.
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