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schieden von den maßgebenden Kreisen verhandelt
werden konnten wie nie zuvor. Der Pensamiento
wurde eine politische Macht.
Je mehr die spanischen Verhältnisse sich kon-
solidierten, desto mehr trat die Verheiratung
Isabellas in den Vordergrund; sie beschäftigte
die spanischen Staatsmänner nicht weniger wie
ganz Europa, zumal seit die Doktrinäre des Pa-
riser und die Tories des Londoner Kabinetts die
„spanischen Heiraten“" — Isabellas Schpwester,
die Infantin Luisa, war nach der veränderten
Sukzessionsordnung mit in Frage — zum Aus-
gangspunkt gewählt hatten, die verlorenen Fäden
der Beeinflussung der spanischen Politik wiederzu-
finden. Balmes' Scharfsinn hatte sofort in der
von Guizot ganz der kurzsichtigen Politik Louis
Philippes angepaßten Stellungnahme Frankreichs
eine Gefahr für die Zukunft Spaniens erkannt
und trat dem nach Spanien selbst verpflanzten
Intrigenspiel gegen die Kandidatur des Prinzen
Carlos, des Sohnes und Erben des Don Carlos,
damals unter dem Titel eines Grafen von Monte-
molin in Bourges residierend, auf das entschie-
denste entgegen. Für Balmes war diese Heirat die
unwiderrufliche Lösung der spanischen Staatsfrage
durch tatsächliche Beseitigung der Sukzessionsfrage,
die Garantie der nationalen Unabhängigkeit, die
Versöhnung des Autoritäts-und Freiheitsprinzips,
der Ausgleich zwischen Monarchie und Repräsen-
Balmes.
tativverfassung. Je mehr die Frage der Ver-
heiratung zum Gegenstand öffentlicher Verhand-
lung, selbst in den Cortes, und Anlaß zur Erörte-
rung internationaler Staats- und Vertragsfragen
wurde, desto entschiedener, geistesmächtiger verfocht
Balmes das nationale Programm, und seine
Autorität war damals so groß, daß das ganze
spanische Volk, vorab die Karlisten selbst, diese
Lösung freudig begrüßt hätten. Balmes tat mehr.
Auf Don Carlos' Abdankung zugunsten des
Grafen von Montemolir hatte er unmittelbar Ein-
fluß; das würdevolle Manifest des letzteren und
die in demselben eingegangene Verpflichtung gegen
die Repräsentativinstitutionen (28. Mai 1845)
ging durch seine Hand. Balmes war damals in
Frankreich und blieb den Sommer in Paris und
Belgien. Als er zurückkehrte, erkannte er alsbald,
daß die Kandidatur des Grafen von Montemolin
durch die französische Diplomatie beseitigt und so-
mit den Kandidaturen Louis Philippes der Weg
offenstand. Mit erneuter Entschiedenheit erhob sich
Balmes nochmals gegen jede Verbindung Spa-
niens mit dem schwankenden Thron der französi-
schen Orléans. Umsonst. Die geheimen Unterhand-
lungen Louis Philippes mit dem Tory-Kabinett
einerseits und der spanischen Regierung anderseits
hatten zu einer Abmachung geführt, in welcher
Louis Philippe, um Englands Empfindlichkeiten
zu schonen, für seinen jüngsten Sohn Montpensier
auf die Hand Isabellas verzichtend, die ihrer
Schwester Luisa nahm, während Isabella dem
Herzog von Cädiz, einem Bruderssohn des
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Don Carlos, Don Francisco d'Assisi, zuge-
wiesen wurde.
Die Haltung der spanischen Diplomatie erbit-
terte Balmes aufs tiefste; er zog sich in die heimi-
schen Berge zurück. Sein politischer Scharfblick
hinsichtlich der Stellung Louis Philippes erhielt
unerwartet schnell recht. Anfang 1846 über-
nahmen in London die Whigs unter John Russell
die Regierung, und Lord Palmerston, der ent-
schlossenste Gegner des französischen Einflusses,
griff nochmals die Angelegenheit der „spanischen
Heiraten“ auf, proklamierte die Kandidatur des
Neffen des Prinzgemahls seiner Königin, be-
schuldigte Louis Philippe des Wortbruchs und
brachte ihn um den Rest seiner Achtung in Frank-
reich. Allein der französische Einfluß siegte noch-
mals, als Lord Palmerston, den revolutionären
Instinkt seiner Politik nicht zügelnd, die Pro-
gressisten offen unterstützte, den Hof herausforderte
und Marie Christine jetzt selbst die Annahme der
französischen Forderungen betrieb und den Ab-
schluß der beiden Heiraten unter unerhörten Fest-
lichkeiten (10. Okt.) durchsetzte. Lord Palmerston
vergaß dem König der Franzosen und dem spani-
schen Hof diese ihn überlistende Energie nie; letz-
teren gab er den progressistischen Umtrieben preis.
Die Zeit der Reformpolitik war vorbei. Louis
Philippe warf er Verrat vor; das Einvernehmen
der beiden Mächte war zerstört, der Pariser Hof
war, als die Stunde der Gefahr schlug, ohne
Stütze, und Frankreich stand der englischen Revo-
lutionspolitik offen. Der König hatte buchstäblich,
wie Balmes gesagt, „in seiner Torheit sein Todes-
urteil vollzogen“. „Die einzige Hoffnung, die uns
blieb, ist auf immer verschwunden“, klagte Bal-
mes. Am 31. Dez. 1846 erschien der Pensa-
miento zum letztenmal. Alle Bitten der Freunde
vermochten nichts gegen diesen Entschluß, mit dem
Balmes auf ein reiches Einkommen verzichtete,
seine Würde und Unabhängigkeit fortan in vor-
wurfsvolles Schweigen hüllend. Einen Monat
nach der Doppelhochzeit (10. Nov. 1846) nahm
er von den spanischen Diplomaten, die Gevatter
gestanden, Abschied. „Der Tag wird kommen“,
sagte er, „wo sie, niedergebeugt durch bittere Er-
innerungen, glücklich sein würden, wenn sie die
geleisteten Dienste und den empfangenen Lohn
vergessen könnten.“ Balmes stand am Ende seiner
politischen Laufbahn; er hatte seine Aufgabe, dem
„Gedanken der Nation“ siegreichen Ausdruck zu
verschaffen, gelöst; bis zur Stunde hat ihn kein
spanischer Publizist und Staatsmann in der
Schöpfung einer wirklich nationalen Politik über-
troffen; letztere steht heute noch prinzipiell an der
Stelle, auf welcher Balmes sie verlassen.
Mit einer Freude und Emsigkeit, die alle an
ihm bemerken konnten, kehrte Balmes jetzt nach
zwanzigjähriger Unterbrechung zu den Thomas-
studien von Cervera zurück. In der bewegtesten
Zeit seines Lebens hatte er die zehn Bücher der
Filosofia fundamental (4 Bde, Barcelona