Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

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der Sozialisten Périn, Les lois de la société 
chrétienne Par. 18767 323 ff), ferner Bacca- 
lauréat et socialisme gegen das herrschende 
Unterrichtssystem, Spoliation et loi gegen die 
schutzzöllnerischen Angriffe auf den Freihandel, 
und La loi gegen die Allmacht der Staatsgesetz- 
gebung. 
Die wilde Erhebung des Sozialismus wurde 
für Bastiat eine furchtbar ernste Mahnung zur 
Einkehr in sich selbst. „Könnte man nicht sagen“, 
ruft er in Baccalauréat et socialisme aus, „daß 
wir vom religiösen Gesichtspunkt leibhafte Wider- 
sprüche sind: O um dieses unseligen Schauspiels! 
Wir alle fühlen im Herzen eine unwiderstehliche 
Macht, die uns zur Religion hinzieht, und zu- 
gleich ersteht in unserer Intelligenz eine nicht 
minder unwiderstehliche Macht, die uns von ihr 
entfernt! .. Ein verhängnisvoller Widerspruch 
hat sich in die Welt eingeschlichen. Die Religion 
wird Aberglaube und die Philosophie Unglaube. 
Zwischen diesen beiden Extremen schwankt zwei- 
felnd die Masse, und man kann sagen, eine kritische 
Epoche ist über die Menschheit hereingebrochen. 
Wann wird die Allianz des Glaubens und der 
Intelligenz wiedererstehen 2“ Besonders in der 
Polemik gegen Proudhon, das Haupt der ko- 
alierten Sozialisten und Atheisten, der Bastiat 
wegen seines Gottesglaubens zu verhöhnen 
suchte, tritt die Wandlung seiner Ideen schärfer 
zutage. „Wie groß auch“, entgegnete ihm Ba- 
stiat, „meine aufrichtige Bewunderung für die 
bewundernswerten Gesetze der sozialen Okonomie 
ist, wieviel Zeit meines Lebens auch dem Studium 
dieser Wissenschaft geweiht war, wie groß auch 
mein Vertrauen in ihre Lösungen ist, ich gehöre 
nicht zu jenen, welche glauben, dieselbe umfasse 
die ganze Bestimmung des Menschen. Erzeugung, 
Verteilung, Umlauf, Verbrauch des Reichtums 
macht wahrlich nicht den ganzen Menschen aus. 
In der Natur existiert nichts ohne Endzweck, und 
auch der Mensch muß ein anderes Ziel als die 
Sorge für seine materielle Existenz haben.“ 
Proudhon wagte keine Diskussion auf diesem 
Feld, er versteckte sich aufs neue in seine So- 
phismen. „Die Religion“, schrieb er, „hat nichts 
mit der politischen Okonomie zu schaffen. Eine 
wahre Wissenschaft genügt sich selbst; kann sie 
das nicht, so ist es nichts mit ihr. Wenn die 
politische Okonomie einer religiösen Sanktion be- 
darf, um die Ohnmacht ihrer Theorien zu ver- 
decken, und wenn die Religion als Entschuldigung 
für die Unfruchtbarkeit ihres Dogmas sich auf die 
Forderungen der politischen Okonomie beruft, 
dann ist der Fall da, daß die politische Okonomie 
und die Religion, anstatt sich wechselseitig zu 
stützen, einander verraten: sie werden beide unter- 
gehen.“ — Nie mag Bastiat der Begriff der echten 
Nationalökonomie in ihrer engen Abhängigkeit von 
den höchsten und letzten Schicksalen des Menschen- 
lebens so nahe getreten sein als jetzt, wo er, ganz 
unter dem Eindruck dieser den Irrlauf des mo- 
Bastiat. 
  
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dernen Sozialismus schon damals beherrschenden 
Sophismen, im Sommer 1849 während eines 
parlamentarischen Urlaubs in einer Villa des 
Waldes Celle-Saint-Cloud seine berühmten Har- 
monies é6conomiques schrieb. Gebeugt von 
immer schwereren Anfällen der Krankheit, in- 
mitten der Pflichten seines Parlamentsmandats, 
will er in dieser Schrift der Jugend ein Mittel 
gegen die Verführungen des Sozialismus bieten, 
indem er auf seine Weise die Herrlichkeit Gottes 
in der sozialen Ordnung erzählt. „Die herr- 
schende Idee dieses Buchs ist religiöser Natur, 
die Harmonie der Interessen ist religiös. Sie sagt 
uns, daß nicht bloß die Mechanik des Himmels, 
sondern auch die der sozialen Welt die Weisheit 
Gottes offenbart und seine Herrlichkeit erzählt.“ 
„Junge Leute“, heißt es weiterhin in dem Vor- 
wort der Schrift. „in unsern Tagen, wo ein 
schmerzvoller Skeptizismus die Wirkung und die 
rächende Strafe der Anarchie der Ideen zu sein 
scheint, will ich mich glücklich schätzen, wenn die 
Lektüre dieses Buches auf eure Lippen in der 
Ideenordnung, die es enthält, jenes so tröstliche 
Wort bringt, welches nicht nur eine Zuflucht, son- 
dern eine Kraft ist, weil von ihm gesagt ist, daß 
es Berge versetze, jenes Wort vom Eingang des 
Glaubensbekenntnisses der Christen: Ich glaube.“ 
„Die Interessen sind harmonisch, also liegt die 
Lösung ganz und gar in dem Worte: Freiheit.“" 
Die Schrift schließt mit den Worten: „Harmonie! 
Das ist das Resultat der großen Naturgesetze 
dann, wenn sie ohne Hindernisse herrschen, wenn 
man sie in sich betrachtet und von der Verwirrung 
abstrahiert, welche Irrtum und Gewalttat in 
ihrer Aktion hervorrufen. Angesichts dieser Har- 
monie kann der Okonomist wohl ausrufen wie der 
Astronom beim Anblick der Planetenbewegung 
oder der Physiolog bei der Enthüllung der Ord- 
nung des menschlichen Organismus: Digitus 
Dei est hic!“ 
Unterliegt die theistische Tendenz der Bastiat- 
chen Forschungen keinem Zweifel, so tritt die 
christliche Tendenz nicht klar hervor. Auf die 
Frage, woher das Böse, antwortet er (Harm. 
Scon. 3, 63) ausweichend, die Nationalökonomie 
habe den Menschen zu nehmen, wie er nun einmal 
sei. Das Prinzip des Opfers ist ihm nur ein 
verzweifelter Appell an die Entsagung (Préface). 
Die zunehmende Krankheit und die in ihr mehr 
und mehr sich vollziehende Läuterung seiner Ideen, 
wie sie in den überaus geistvollen Lettres d’un 
habitant des Landes (s. u.) sich abspiegelt, 
brachten ihn der allein ausreichenden Lösung auch 
des wirtschaftlich-sozialen Problems, der reli- 
giösen, immer näher, und mit der steigenden Er- 
kenntnis, daß hier und nur hier allein das letzte 
Wort für die Neugestaltung der Nationalökonomie 
zu suchen sei, mehren sich die erschütternden Kla- 
gen, daß ihm keine Zeit und keine Kraft mehr 
bleibe, dieses letzte, entscheidende Wort in einem 
zweiten Band der Harmonies zu formulieren. 
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