Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

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wenig ausgedehnte. Die Fronden der grund- 
hörigen Hufen wurden nur zum geringsten Teil 
durch das Bauland der Grundherrschaft absor- 
biert, im übrigen darauf verwendet, Grundstücke 
der noch unbebauten Allmende in Angriff zu 
nehmen. Solche Acker außerhalb des Husschlags 
wurden oft in Kollektivfronde bearbeitet, auch 
wohl an die Hofgenossenschaften verpachtet, wo- 
mit (nach Lamprecht) die Entstehung der sog. Ge- 
höferschaften (auch Haubergsgenossenschaften) zu- 
sammenhängen soll, die nach andern dagegen Über- 
reste germanischer Feldgemeinschaft sind. Viele 
Fronden, wie Burgenbau, Deich= und Jagd- 
fronden, kamen in der Regel einem jeden zugut, 
weil auf ihnen die Sicherheit gegen Feinde, 
Räuber, wilde Tiere usw. beruhte. Was die Zin- 
sungen anlangt, so standen sie in der Hauptsache 
fest. Das einstige Erbrecht des Herrn am Mobi- 
liar= und Immobiliarvermögen der Hörigen war 
zur Auswahl eines einzigen Stückes oder einer 
Quote vom Nachlaß (mortuarium) oder zur Ab- 
gabe einer Quote vom Gutswert bei jeder Be- 
sitänderung (laudemium) geworden. Manche 
bäuerliche Abgaben sind aus zu Meliorations- 
zwecken u. dgl. gegebenen unkündbaren Darlehen 
hervorgegangen. Der vorkommende Verkauf von 
Gültebauern erinnert scheinbar allerdings an Skla- 
venverkauf. Da jedoch der neue Herr auch nur 
die herkömmlichen Leistungen erhielt, so war im 
Grund genommen ein solcher Verkauf nur eine 
Form, feststehende Forderungen zu zedieren. Der 
Hörige leistete überhaupt nur bestimmte, ein für 
allemal feststehende Abgaben und Dienste. Der 
persönlich freie, aber grundhörige „arme Mann“ 
des Mittelalters stand seinem Guts= und Dienst- 
herrn gegenüber keineswegs rechtlos da, und sein 
Verhältnis zu diesem war kein unwürdiges, er- 
drückendes. Wesentlich anders gestalteten sich die 
Verhältnisse im 15. Jahrh.; der für den Bauern- 
stand sich mehr und mehr fühlbar machende Druck 
in wirtschaftlicher und persönlicher Beziehung ließ 
sie schon öfters zu den Waffen greifen und 1524 in 
den allgemeinen Aufstand (Bauernkrieg) treten. 
Daß es so weit kam, lag zum großen Teil 
in der immer ungünstiger gewordenen Lage der 
Herrschaften und Obrigkeiten. Die im Ge- 
folge der kirchenpolitischen Kämpfe zutage getre- 
tene Schwächung des heiligen römischen Reichs 
steht im Zusammenhang mit dem Zerfall der 
Christenheit in Nationalstaaten, des römischen 
Reichs in mächtig emporstrebende Territorien. Die 
Schwäche des Reichs zeigte sich auch in seiner 
räumlichen Minderung (Abtrennung der Schweiz) 
und in den Erfolgen des Husitismus. Alle ge- 
nannten Umstände haben (wenn auch nicht allein) 
eine für den Adel und das Lehnswesen ungün- 
stige Anderung herbeigeführt oder doch mächtig 
gefördert. Wie schon lange in Italien und Frank- 
reich, tritt auch in Deutschland Fußvolk und 
Soldheer an die Stelle des wohlfeileren vasalli- 
schen Kriegsdienstes, das emporkommende Fürsten- 
Bauernstand. 
  
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tum trachtet nach den Geldmitteln, jene Massen 
zu unterhalten. Aber nicht nur gegenüber der fort- 
schreitenden Macht der Landesfürsten, auch ökono- 
misch gegenüber den benachbarten Städten blieb 
der Adel im Rückstand. Er mußte, um im Vergleich 
mit den reichen Stadtbürgern standesgemäß leben 
zu können, den Bauern immer mehr Lasten auf- 
bürden, da die Möglichkeit einer Erhöhung der 
Einkünfte für ihn in der Tat eine beschränkte war. 
Wohl suchten die Herrschaften an den übermäßigen 
kaufmännischen Gewinsten durch erhobene Ab- 
gaben teilzunehmen. Allein der Landfriede, der 
wohl überhaupt das „Fehderecht“ der kleineren 
Machthaber, nicht aber die „Kriege“ der größeren 
beschränkte, gereichte überwiegend zum Vorteil 
der großen Territorien. Was bei diesen als Zoll- 
und Geleitsrecht Anerkennung behielt oder er- 
langte, war bei kleineren Herrschaften nur zu oft 
ungeordnet und in Raubrittertum ausgeartet. — 
Auch eine Erhöhung der Produktenpreise und Stei- 
gerung der Erträgnisse konnte nur wenig helfen. 
Die Eigenwirtschaft der Grundherrschaften war 
am Ausgang des Mittelalters geringer als in der 
späteren Zeit. Der Komplex ihrer Höfe war ihnen 
nicht so sehr wirtschaftliches Institut als Objekt 
ihrer Herrschaft. Jetzt allerdings mußte der Adel, 
wollte er mit den Städten gleichen Schritt halten, 
sich einer ausgiebigeren Bewirtschaftung seiner 
Güter zuwenden. Schon dies war den Bauern 
ungünstig; denn solange der Ritter sich um Wirt- 
chaft nicht gekümmert hatte, hatte der Bauer in 
einen Gewohnheiten gelebt und war Herr der 
Flur gewesen. Die Haupteinnahmen der Grund- 
herrschaften waren bislang Zinsen und Dienste. 
Die Herren waren im großen und ganzen an die 
Urbare gebunden. Von diesen Einnahmen nun 
wuchs höchstens der Wert einiger Naturalbezüge. 
Es ist begreiflich, daß, seitdem man die Preis- 
steigerung beobachtete, die in ihrem Wert bis dahin 
fixierten Naturalleistungen, deren Ablösungssumme 
bei den gesteigerten Preisen dem alten Naturalwert 
nicht mehr entsprach, nach älteren Aufzeichnungen 
wieder in natura erhoben wurden. Grundherrliche 
Rechte wurden zu hoch verpfändet, so daß der 
Pfandinhaber trotz entgegenstehender Klauseln zur 
Aussaugung der Bauern neigte. Außerdem war 
das deutsche Recht, somit auch die damalige Agrar- 
verfassung, durch zahlreiche Gemeinschaftsverhält- 
nisse charakterisiert. Ihre große Verschwommen- 
heit und Unklarheit, welche die Romanisten so 
gern tadeln, schadete so lange nicht, als ein wohl- 
wollendes, behäbiges Verhältnis herrschte. Waren 
aber die persönlichen Beziehungen, wie nunmehr, 
durch die finanziellen Tendenzen eines verarmenden 
Adels getrübt, so war der Streitpunkte kein Ende 
und der Mächtigere im Vorteil. Es kam also zu 
strengerer Belastung eine Minderung der Rechte 
an Mark und Allmende. Die Markgenossen sahen 
sich zuerst zu bloßen Nutzungsberechtigten an dem 
gemeinen Wald, Feldern, Wiesen herabgedrückt, 
dann auch ihre Nutzungsrechte geschmälert. Da 
 
	        
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