611
und Erleichterung von An= und Verkauf von
Grundstücken und die Beseitigung aller Hinder-
nisse der freien Vererbung. Der ganze Komplex
der einschlägigen, das Einzeleigentum am Grund
und Boden befördernden Maßregeln wurde mit
dem Namen Mobilisierung bezeichnet. Abgesehen
von den wenigen Fideikommissen, erhielt jeder
Eigentümer das Recht, nach seinem Ermessen sein
Gut zu zerschlagen, Teile davon zu verkaufen,
ebenso wie es durch andere Grundstücke zu ver-
größern. Die auf dem Standpunkt der Smith-
schen Schule stehende Volkswirtschaftslehre erklärle
alle außer dem Eigentum etwa bestehenden wirt-
schaftlichen Schranken für produktionsschädliche
Einrichtungen und bemühte sich, die Naturgemäß-
heit der Anderung der Agrarverfassung im indi-
vidualistischen Sinn darzutun. Es liege, hieß es,
im Wesen der fortschreitenden humanen Kultur,
daß auch im Grundbesitz der Charakter des mo-
bilen Kapitals immer mehr zur Geltung komme.
So sehr hatte man sich unter ihrem Einfluß ge-
wöhnt, allen landwirtschaftlichen Fortschritt zu
messen an der Zunahme technisch-naturwissen-
schaftlicher Kenntnisse hervorragender Landwirte
und der Vollendung der preußischen Agrargesetz-
gebung im Sinn unbedingter Verfügungefreiheit
des Eigentümers über Grund und Boden, daß
manche Vorzüge für Erhaltung des Bauernstands,
welche die bisherige Agrarverfassung selbst in
ihrer veralteten, verwickelten, der rationellen Land-
wirtschaft des einzelnen in der Tat abträglichen
Form immer noch geboten hatte, über Gebühr
außer acht gelassen und unterschätzt wurden.
Vor Beurteilung der Folgen der Mobilisierung
ist ein kurzer Rückblick auf das durch diese ver-
drängte ehemalige Bauernrecht einzu-
schalten. Hiernach mußte der Uübernehmer
eines bäuerlichen Guts, das er regelmäßig selbst
bewirtschaften und nicht verpachten durfte, die ent-
sprechenden Garantien einer guten Bewirtschaf-
tung bieten, also körperlich wie geistig dafür ge-
eignet sein. Damit das Bauerngut während der
Zeit der Minderjährigkeit des Anerben nicht ver-
wahrlose, übernahm der Interimswirt, gewöhnlich
der zweite Mann der Witwe, die Bewirtschaftung
der Stelle. Dafür erhielt er am Ende der Mal-
jahre, beim Gutsantritt des Anerben eine Leib-
zucht. Anderseits mußte der der Wirtschaft nicht
mehr gewachsene Bauer sein Gut an einen tüch-
tigen Wirt abtreten. Dafür verpflichtete sich der
Gutsübernehmer behufs lebenslänglicher Erhal-
tung, Versorgung und Verpflegung seines Guts-
übergebers zu einer Summe von Leistungen, welche
Ausgedinge oder Altenteil hieß. Der
Gutsübernehmer sollte ferner die finanzielle Be-
fähigung haben. Es liege, hieß es, im öffentlichen
Interesse, daß den Miterben nicht mehr zuge-
wendet werde, als die Kraft des Hofs zu tragen
vermöge. Diese für die Miterben etwas hart
scheinende Bestimmung rechnete eben mit der be-
stehenden starken und guten Sitte eines lebhaften
Bauernstand.
612
Familiensinns und großer verwandtschaftlicher
Verträglichkeit. Die nicht erbenden Geschwister
(weichende Erben) pflegten auf dem Hof beschäf-
tigt und erhalten zu werden. Schieden sie aus,
zumal durch Heirat, so bekamen sie eine Abfin-
dung (Auslobung, Aussteuer, Abgüterung), die
ursprünglich nicht allein den Hof selbst, sondern
auch das sog. untrennbare Allod (Wirtschafts-
inventar) so wenig wie möglich schmälern sollte.
Diese Zuwendung näherte sich später aus kurz-
sichtigen „Billigkeitsrücksichten“ und befördert
durch das nicht für ein Arbeitsvolk bestimmte rö-
mische Erbrecht mehr und mehr einer Erbportion.
Lange Zeit half sich die von der Theorie und vom
kodifizierten Recht unterdrückte Sitte, unterstützt
durch die „praktischen“ Juristen, dadurch, daß
man trotzdem noch gewohnheitsmäßig eine das
Gesetz umgehende Vererbung nach deutschem Recht
beibehielt. Man bewerkstelligte dies durch niedere
Schätzung des Guts. Der Anschlag sollte ein
„leidlicher“ sein, im „geschwisterlichen Wert“ er-
folgen. — Der Schmälerung der Gutssubstanz
im Verlauf der Wirtschaft war durch Ver-
bote unwirtschaftlicher Abteilung und Belastung
vorgebeugt. Wie die Veräußerung des ganzen
Bauernguts regelmäßig der Einwilligung des
Gutsherrn bedurfte (die aber nicht versagt wurde,
wenn der neue Erwerber ein tüchtiger Wirt war,
persona habilis), so bedurfte auch die Veräuße-
rung einzelner Teile oder, was de facto auf das-
selbe hinauskommt, die Verschuldung, wofür das
Gut selbst oder dessen Wirtschaftsinventar haften
sollte, in der Regel des gutsherrlichen Konsenses.
— An Stelle des grundherrlichen Veräußerungs-
konsenses trat später vielfach wenigstens ein guts-
herrliches Näherrecht (retract, Abtriebsrecht),
d. h. der Gutsherr hatte ein Vorkaufsrecht auf
das zu veräußernde Gut, durfte es jedoch nicht
für sich behalten. Verlegenheiten des Landmanns
sollten nicht zu dessen Bedrängnis benutzt werden,
daher war Verpfändung oder Ankauf der Feld-
frucht auf dem Halm verboten. Das in die Bauern-
güter durch Heirat Eingebrachte konnte, wenn
sich die Ehe auflöste, nicht zurückgefordert werden.
Es würde dem Gut eine zu große Last aufge-
bürdet haben. Eine teils den Hofkräften teils den
zugewendeten Vorteilen angemessene Leibzucht für
den Eingeheirateten trat an die Stelle, daher der
Spruch: Leibzucht schwindet Hauptgut.
Zu diesen Vorkehrungen gegen erdrückende
Überschuldung und zur Erhaltung der Existenz-
fähigkeit der Höfebesitzer kamen allerdings noch
andere in den staatlichen Verhältnissen wur-
zelnde Umstände. Die öffentliche Belastung, ins-
besondere die militärische, war gering. Aber auch
die Anderung der Zivilverwaltung ist nicht un-
wesentlich. Die den absolutistischen Regierungen,
oft genug mit Recht, mißtrauenden Volksvertre-
tungen strebten begreiflicherweise, um die Rechts-
pflege nach oben möglichst unabhängig zu machen,
nach Trennung von Justiz und Verwaltung bis