Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

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gierung Geltung erlangen. — Von der Befugnis 
des Einführungsgesetzes zur deutschen Gerichts= F 
verfassung, wonach in den größeren Bundesstaaten 
mit mehreren Oberlandesgerichten ein oberstes 
Landesgericht eingesetzt werden kann, hat Bayern 
allein Gebrauch gemacht und ein partikuläres 
Oberstes Landesgericht in München er- 
richtet. Diesem ist zugewiesen die Verhandlung 
und Entscheidung der sonst zur Zuständigkeit des 
Reichsgerichts gehörenden Revisionen und Be- 
schwerden gegen zweitinstanzliche Urteile der Ober- 
landesgerichte in Zivilsachen, mit Ausnahme der 
Handelssachen, in denen auch für Bayern das 
Reichsgericht die dritte Instanz bildet. — Ebenso 
wie Württemberg und Baden, regelt auch Bayern 
die Besteuerung des inländischen Bieres selbständig 
durch Landesgesetzgebung und erhält den Betrag 
dieser Steuern. Das Reservatrecht der Besteue- 
rung des inländischen Branntweins wurde durch 
Kammerbeschluß vom 22. (26.) Sept. 1887 auf- 
gehoben. — Im Bundesrat hat Bayern ständigen 
Sitz in dem Ausschuß für Landheer und Festungen, 
es führt den Vorsitz in dem Ausschuß für aus- 
wärtige Angelegenheiten und hat Anspruch auf 
die Stellvertretung im Vorsitz des Bundesrats, 
allerdings ein Ehrenrecht, das schwerlich einmal 
zur praktischen Ausführung kommen dürfte, nur 
im Fall der Verhinderung Preußens, d. h. der 
sämtlichen (17) preußischen Bundesratsbevoll- 
mächtigten. 
Das bayrische Heer bildet einen in sich ge- 
schlossenen Bestandteil der Kriegsmacht des Reichs 
mit selbständiger Verwaltung unter der Militär- 
hoheit des Königs von Bayern. Im Krieg aber, 
und zwar mit Beginn der Mobilisierung, tritt es 
unter den Befehl des „Bundesfeldherrn“ (des. 
Deutschen Kaisers). Im Frieden steht diesem nur 
ein Inspektionsrecht zu, über dessen Vornahme 
und Ergebnis er sich mit dem König von Bayern 
erst „ins Vernehmen“ setzen muß. In Bezug auf 
Dienstzeit, Organisation, Formation usw. gelten 
im wesentlichen die für Preußen bestehenden Vor- 
schriften. Die Militärgesetzgebung des Reichs, 
nicht die früheren preußischen Militärgesetze, gilt 
dagegen auch für Bayern. Beim Reichsmilitär- 
gericht in Berlin besteht für das bayrische Heer 
ein besonderer „bayrischer Senat“, dessen Mit- 
glieder vom König von Bayern ernannt werden 
(Reichsgesetz vom 9. März 1898). Die allgemeine 
Wehrpflicht datiert vom 30. Jan. 1868.— Das 
bayrische Heer gehört zur 4. deutschen Armee- 
inspektion und ist in 3 Armeekorps (München, 
Würzburg und Nürnberg) eingeteilt, von denen 
jedes zwei Divisionen hat. Landesfestungen sind 
nur noch Ingolstadt und Germersheim; Neu-Ulm 
gehört zum Rayon der Reichsfestung Ulm. 
Die oberste vollziehende Behörde ist das Ge- 
samtministerium, welches sich in 7 Staats- 
ministerien gliedert, nämlich die Ministerien des 
königlichen Hauses und des Außern, der Justiz, 
des Innern, für Kirchen= und Schulangelegen- 
  
Bayern. 
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heiten (auch für Wissenschaft und Kunst), der 
inanzen, für Verkehrsangelegenheiten (Eisen- 
bahnen, Post und Telegraphie) und endlich das 
Kriegsministerium. Das Staatsministerium des 
königlichen Hauses und des Außern hat unter 
sich die bayrischen Gesandtschaften in Berlin, 
Dresden, Stuttgart (auch für Baden und Hessen), 
Wien, Paris (auch für Belgien), Rom, im Vati- 
kan und in St Petersburg, die Generalkonsulate in 
Bremen, Hamburg, Dresden, Frankfurt a. M., 
die Konsulate in Karlsruhe, Stuttgart, Leipzig 
und Lübeck sowie die Bergbehörden. Unter dem 
Obersten Landesgericht (Müncheny stehen 
5 Oberlandesgerichte (Augsburg, Bamberg, 
München, Nürnberg, Zweibrücken), zu welchen 
28 Landgerichte mit 269 Amtsgerichten gehören. 
Der Disziplinarhof (Gesetz vom 26. März 1891) 
und der Gerichtshof für Kompetenzkonflikte (Ge- 
setz vom 18. März 1879) werden von Mitgliedern 
des Obersten Landesgerichts, letztere zugleich von 
Räten des Verwaltungsgerichtshofs besetzt. Dem 
Finan zministerium sind unterstellt die Zentral- 
staatskasse und der Oberste Rechnungshof, dem 
Ministerium des Innern (seit 1. April 1908) eine 
Abteilung für Ausnützung der Wasserkräfte. Eine 
Reorganisation des Obersten Rechnungshofs und 
eine Trennung vom Finanzministerinm ist (1908) 
in Aussicht gestellt. 
Das Land wird in 8 Regierungsbezirke (früher 
Kreise) geteilt: Oberbayern, Niederbayern, Pfalz, 
Oberpfalz und Regensburg, Oberfranken, Mittel- 
franken, Unterfranken und Aschaffenburg, Schwa- 
ben und Neuburg. Als oberste Verwaltungsbehörde 
befindet sich in jedem Regierungsbezirk eine Kreis- 
regierung, die in zwei Kammern, für das Innere 
und für die Finanzen, zerfällt. Den Kammern 
des Innern sind die Magistrate in den 41 un- 
mittelbaren Städten, die königliche Polizeidirektion 
in München und die Bezirksämter in den 151 Ver- 
waltungsdistrikten, alle Anstalten für Gesundheit, 
Unterricht, Wohltätigkeit und Sicherheit unter- 
geordnet. Unter den Bezirksämtern üben die 
Vorstände der kleineren Stadt= und Landgemein- 
den die Ortspolizei aus. 
An der Spitze der Kreisregierung steht je ein 
Regierungspräsident; unter ihnen fun- 
gieren in den Bezirksämtern die Bezirksamt- 
männer, denen regelmäßig ein Bezirksamtsassessor 
zugeteilt ist. Auch ein Bezirksarzt ist in jedem 
Bezirk angestellt. — Außer der allgemeinen Volks- 
vertretung besteht noch in jedem der 8 Regierungs- 
bezirke ein Landrat als Vertretung der Kreis- 
gemeinde, und in jedem der 151 Verwaltungs- 
distrikte ein Distriktsrat als Vertretung der 
Distriktsgemeinde (Gesetze vom 28. Mai 1852). 
Letzterer wird aus den Großgrundbesitzern und den 
auf 3 Jahre gewählten Vertretern der andern 
großen Grundbesitzer und der Gemeinden gebildet. 
Dazu kommt ein Vertreter des Staatsärars, wenn 
dieses bei den Umlagen beteiligt ist. Der Landrat 
ist aus den auf 6 Jahre gewählten Abgeordneten 
 
	        
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