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bindungsstrecken die Raumfrage bisher stets und
zwar meist leicht lösen. Einzelne Großstädte
haben begonnen, in umliegenden Forsten aus-
gedehnte waldparkartige Friedhöfe anzulegen:
der Boden wird der Forstkultur nicht entzogen,
den Toten ein würdiger Ruheplatz geschaffen und
den Lebenden der Fortbestand des Waldes ge-
sichert.
Was die gegen die Erdbestattung ins Feld
geführten hygienischen Gründe betrifft, so
sind infolge der lebhaften Bewegung für und
wider beide Bestattungsarten zahlreiche Unterfu-
chungen von durchaus kompetenten Sachverstän-
digen (Arzten, Physiologen, Hygienikern, Chemi-
kern) vorgenommen worden, und deren überein-
stimmendes Resultat lautet kurz dahin, daß bei
rationell betriebener Erdbestattung keinerlei
hygienische Bedenken vorliegen; dieses Resultat
ist nicht nur von staatlichen Gesundheitskom-
missionen, dem Verein für öffentliche Gesund-
heitspflege usw., sondern auch von den wissen-
schaftlichen Anhängern der Feuerbestattung an-
erkannt und lautet in einzelnen wichtigen Punkten
dahin:
1. Die durch die Leichenverwesung entstehenden
Gase, welche durch den Erdboden entweichen
können, insbesondere Kohlensäure, Ammoniak,
Schwefelwasserstoff und Fettsäuren mengen sich
nur in minimalen, chemisch nicht nachweisbaren
Quantitäten der Außenluft bei und sind bei
regelrechter Bewirtschaftung eines normalen Kirch-
hofs (der ja auch bekanntlich durchaus keine üblen
Gerüche verbreitet) nicht im mindesten imstande,
die Außenluft zu verderben. 2. Die in der Kirch-
bofslust vorhandenen Mikroorganismen sind
weder anders geartet noch reichlicher vorhanden
als anderswo. 3. Der Grund und Boden oxy-
diert vollkommen alle schädlichen Stoffe, welche
der Fäulnisprozeß hervorbringt, so daß er selbst
bei starker Inanspruchnahme nicht leicht durch-
sättigt und ungesund wird. Infolgedessen gehören
Verunreinigungen von Brunnen und Wasser-
läufen in der Nähe von Kirchhöfen zu den sel-
tensten, nur durch nachlässige Bewirtschaftung
oder schlechte Anlage der Totenäcker entstehenden
Ausnahmen. Verunreinigung des Bodens und
Wassers ist da zu befürchten, wo das Grundwasser
zeitweilig bis zu den Särgen aufsteigt, oder wo
eine in dichtem Lehm drainierende Sandader in
der Höhe der Särge verläuft und somit periodisch
Wasser über die Leichen hinwegfließt. 4. Die
Leichen wachsbildung, welcher übrigens
ebensowenig als der Mumifiation erhebliche
sanitäre Bedenken anhaften, tritt nur bei gänzlich
ungeeigneter Anlage eines Friedhofs auf und kann
mit Sicherheit verhütet werden. 5. Das Erd-
begräbnis stark infektiöser Leichen (Diphtherie,
Typhus, Pest) ist nicht mit größeren Gefahren
für die Gesundheit der Allgemeinheit verbunden
als die Verbrennung solcher Leichen (Gutachten
des preußischen Ministeriums der geistlichen, Un-
Begräbniswesen.
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terrichts= und Medizinalangelegenheiten). 6. Die
vor Jahrzehnten vorgekommenen Todesfälle bei
Eröffnung von Grüften lassen sich als Kohlen-
säureerstickungen erklären und würden in
jedem schlecht ventilierten Brunnenschacht ebenso
vorgekommen sein bzw. würden sich durch Vor-
sichtsmaßregeln haben vermeiden lassen.
Selbst wenn man annähme, daß die Verbren-
nung gegenüber der Bestattung den Vorzug habe,
durch sofortige Vernichtung der Leiche größere ab-
solute Sicherheit vor hygienischen Gefahren zu
bieten, so würde sie dies doch nur bei obligatori-
scher Anwendung, d. h. bei Verbrennung aller
Tier= und Menschenleichen leisten. Diese ist aber
undurchführbar, wie auch die Anhänger der Kre-
mation zugeben. Fakultative Verbrennung ist
dagegen hygienisch völlig wertlos. Vielmehr sind
gegen die fakultative Feuerbestattung gewichtige
hygienische Bedenken anzuführen. Die Kostspielig=
keit der Verbrennungsöfen bedingt eine wenig dichte
Verteilung derselben im Lande, und es wird ein
Transport der Leichen von allen Seiten zu diesen
Zentren erfolgen müssen. Daß aber eine auf
Transport befindliche Leiche eine ungleich größere
hygienische Gefahr darstellt als eine beerdigte
Leiche, ist zweifellos und berechtigter Grund der
bei Leichentransport auf den Bahnen genau vor-
geschriebenen, umfangreichen Vorsichtsmaßregeln.
Von diesem Gesichtspunkt aus ist also das Erd-
grab hygienisch einwandfreier, denn die kleinste
Gemeinde kann sich einen hygienisch
einwandfreien Friedhof einrichten,
nicht aber ein Krematorium bauen.
Ferner würden bei Epidemien die Krematorien
viel zu langsam arbeiten, was eine bedenkliche
Ansammlung von Leichen zur Folge hätte; hier,
wie im Kriegsfall, haben sich die unter besondern
Vorsichtsmaßregeln hergestellten und belegten
Massengräber bewährt, und in neuerer Zeit schritt
mannur unter besondern Verhältnissen, dieeine An-
lage von Massengräbern erschwerten, nach Schlach-
ten, zur Verbrennung der Leichen (1813 in Ruß-
land, 1871 nach Sedan). — Endlich werden der
gerichtlichen Medizin bzw. der Kriminaljustiz
durch Verbrennung der Leiche wichtige Beweis-
mittel entzogen, wenn der Verdacht des Ver-
brechens erst nach dem Tod auftaucht. Die best-
eingerichtete Leichenschau ist außer stande, nach-
trägliche Exhumationen entbehrlich zu machen.
Diese Tatsache wird durch die amtliche Feststellung
illustriert, wonach in den Jahren 1892/1908 in
15 Fällen allein durch Exhumation von Leichen
die Mörder überführt und zum Tod verurteilt
werden konnten. Dieser Umstand allein reicht
hin, auch die nur fakultative Feuerbestattung als
staatlich unzulässig erscheinen zu lassen. — Die
von Laien oft angeführte Behauptung, die
Leichenverbrennung schütze vor dem Lebendig-
begrabenwerden, beruht insofern auf falschen
Voraussetzungen, als der zur Verbrennung be-
stimmte Scheintote bei dem meist notwendigen