Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

695 
Angabe und Glaubhaftmachung der Tatsachen 
(C. P.O.), der Tatsache (St. P.O.), auf welche 
der Zeuge die Weigerung gründet. So C. P.O. 
§ 386 Abs. 1 und St. P.O. § 55. Durch diese 
Vorschrift soll dem Richter im Interesse der Inte- 
grität der Rechtspflege eine Kontrollmaßregel in 
die Hand gegeben sein, durch welche er einem Miß- 
brauch jenes Rechts begegnen kann. Was man 
unter den (der) glaubhaft zu machenden Tatsachen 
(Tatsache) zu verstehen habe, darüber sind die 
Lehrer des Prozeßrechts uneins. Einige glauben, 
es sei damit die bloße Erklärung des Geist- 
lichen gemeint, daß die von ihm verlangten Aus- 
sagen sich auf Angaben beziehen, die ihm bei Aus- 
übung der Seelsorge anvertraut seien. Danach 
würde die „Tatsache“ mit dem Grund, weshalb 
der Geistliche das Zeugnis verweigert, zusammen- 
fallen. Andere sagen, es müssen Umstände an- 
gegeben werden, aus denen das richterliche Er- 
messen erschließen kann, daß der Verweigerungs- 
grund wirklich vorliege. Nach dieser Deutung 
würde die Tatsache mit dem Verweigerungsgrund 
nicht zusammenfallen. Nach der Meinung der 
ersteren Juristen müßte der Geistliche vor Gericht 
sagen: Ich verweigere meine Aussage, weil mir in 
Ansehung desjenigen, worüber Zeugnis von mir 
verlangt wird, Mitteilungen anvertraut sind, und 
zwar lediglich bei Ausübung der Seelsorge. Nach 
der zweiten Auffassung müßte der Geistliche zu 
diesem Zeugnisverweigerungsgrund noch die nä- 
heren Umstände angeben, aus denen der Richter 
zur Uberzeugung gelangen kann, daß jener Grund 
wirklich vorliege. Meines Erachtens ist die erstere 
Auffassung die richtige. Der Inhalt der zweiten 
Deutung fällt tatsächlich zusammen mit der Glaub- 
haftmachung. Wäre die letztere Deutung richtig, 
so wäre eine noch hinzutretende Glaubhaftmachung 
überflüssig. Der verweigerungsberechtigte Zeuge 
gibt seine Erklärung ab, in welcher der Ver- 
weigerungsgrund angegeben ist. Seinem Gewissen 
bleibt es überlassen, daß er die Wahrheit spreche, 
wenn er den Weigerungsgrund angibt. Wie sollte 
in praxi auch der Richter imstande sein, z. B. zu 
beurteilen, ob dieser oder jener Umstand wirklich 
im Bereich der Ausübung der Seelsorge eines 
katholischen Priesters liegt? Es ist also bloß der 
Weigerungsgrund anzugeben. Dieser aber ist im 
Zivilprozeß regelmäßig, im Strafprozeß nur „auf 
Verlangen“ des Richters glaubhaft zu machen. 
Im Zivilprozeß „genügt" die mit Berufung auf 
einen geleisteten Diensteid abgegebene Versicherung. 
Hat der Geistliche keinen Diensteid geleistet, und 
will ihm der Richter nicht ohne weiteres Glauben 
schenken, dann muß er durch andere Mittel (Zeu- 
gen, Urkunden usw.) seinen Weigerungsgrund 
dem Richter glaubhaft machen. Im Strafprozeß 
„genügt“ die eidliche Versicherung des Zeugen. 
Andere Mittel zur Glaubhaftmachung hat also 
der Richter nicht zu fordern. 
Mag nun auch in praxi der Richter tatsächlich 
mit der Angabe des Weigerungsgrundes sich be- 
Beichtgeheimnis. 
  
696 
gnügen und beim katholischen Priester von einer 
besondern Glaubhaftmachung absehen, so ist doch 
im Prinzip zu sagen, daß der prozessuale Schutz 
des Beichtgeheimnisses ungenügend ist. Wenn der 
Richter im Zivilprozeß dem Priester, der keinen 
Diensteid geleistet hat, nicht sofort Glauben 
schenken will, und der geistliche Zeuge muß als- 
dann seinen Weigerungsgrund, daß ihm in Bezug 
auf die vorliegende Sache Mitteilungen bei Aus- 
übung der Seelsorge gemacht worden sind, glaub- 
haft machen: könnte denn das wirklich geschehen 
ohne Antastung des Beichtgeheimnisses? Ja, hat 
denn nicht die Erfahrung gezeigt, daß schon eine 
Erklärung, wie sie zur Angabe des Weigerungs- 
grunds vorgeschrieben ist, in eigen gearteten Fällen 
das Beichtgeheimnis gefährdet, indem die ver- 
mutende Reflexion des Richters, welcher dieser 
sich doch nicht entziehen kann, aus dieser Erklä- 
rung allein schon Schlüsse zu ziehen imstande 
ist? Also selbst in diesem Fall entspricht der pro- 
zessuale Schutz des geltenden Rechts nicht den 
dogmatischen und kanonischen Satzungen, welche 
einen absoluten Schutz verlangen. Die strikte 
Anwendung der heutigen Prozeßregeln führt nur 
zu leicht zu einem Dilemma. Das Prozeßrecht 
will auf der einen Seite das seelsorgerliche Ge- 
heimnis schützen; auf der andern Seite aber bringt 
es dasselbe wieder in große Gefahr der Preis- 
gabe. Für das moderne Recht ist ja die Lösung 
dieses Problems überaus schwierig. De lege fe- 
renda wäre aber, um Gewissenskonflikte möglichst 
zu vermindern, dringend zu wünschen, daß die 
Pflicht einer eventuellen Glaubhaftmachung des 
Zeugnisverweigerungsgrundes beim katholischen 
Priester im Gesetz gestrichen werde. Auch die 
Militärstrafgerichtsordnung von 1898 begnügt 
sich mit der „Erklärung“ des Geistlichen (§ 191). 
Viel mehr noch wäre gewonnen, wenn der Priester 
als Zeuge vor Gericht behandelt würde wie der 
Zeuge nach St. P. O. 8 54. Wenn jemand nämlich 
fürchtet, durch das geforderte Zeugnis sich der 
Gefahr einer strafgerichtlichen Verfolgung auszu- 
setzen, dann muß sich nach einer Entscheidung des 
Reichsgerichts vom 9. Okt. 1880 der Richter da- 
mit begnügen, daß der Zeuge schwört, nach seinem 
besten Wissen müsse er annehmen, daß er durch 
die betreffende Angabe sich der Gefahr einer straf- 
gerichtlichen Verfolgung aussetze. Warum sollte 
nicht analog der Priester vor Gericht sagen und 
schwören dürfen, nach seinem besten Wissen müsse 
er annehmen, daß er durch die Auskunft in Ge- 
wissenskonflikt geraten würde? Als wichtig möge 
noch hervorgehoben werden, daß der § 383 Abf. 3 
der C. P.O. und 855 der St. P.O. durchaus nicht 
jede Mitteilung decken, welche dem Geistlichen in 
seiner amtlichen Eigenschaft gemacht worden ist, 
sondern nur jene, welche ihm bei Ausübung der 
Seelsorge anvertraut worden ist (Reichsgerichts- 
entscheidung vom 19. Jan. 1884). 
Was soll nun der Beichtvater unter dem gel- 
tenden Recht tun, wenn er als Zeuge vor Gericht
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.