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Angabe und Glaubhaftmachung der Tatsachen
(C. P.O.), der Tatsache (St. P.O.), auf welche
der Zeuge die Weigerung gründet. So C. P.O.
§ 386 Abs. 1 und St. P.O. § 55. Durch diese
Vorschrift soll dem Richter im Interesse der Inte-
grität der Rechtspflege eine Kontrollmaßregel in
die Hand gegeben sein, durch welche er einem Miß-
brauch jenes Rechts begegnen kann. Was man
unter den (der) glaubhaft zu machenden Tatsachen
(Tatsache) zu verstehen habe, darüber sind die
Lehrer des Prozeßrechts uneins. Einige glauben,
es sei damit die bloße Erklärung des Geist-
lichen gemeint, daß die von ihm verlangten Aus-
sagen sich auf Angaben beziehen, die ihm bei Aus-
übung der Seelsorge anvertraut seien. Danach
würde die „Tatsache“ mit dem Grund, weshalb
der Geistliche das Zeugnis verweigert, zusammen-
fallen. Andere sagen, es müssen Umstände an-
gegeben werden, aus denen das richterliche Er-
messen erschließen kann, daß der Verweigerungs-
grund wirklich vorliege. Nach dieser Deutung
würde die Tatsache mit dem Verweigerungsgrund
nicht zusammenfallen. Nach der Meinung der
ersteren Juristen müßte der Geistliche vor Gericht
sagen: Ich verweigere meine Aussage, weil mir in
Ansehung desjenigen, worüber Zeugnis von mir
verlangt wird, Mitteilungen anvertraut sind, und
zwar lediglich bei Ausübung der Seelsorge. Nach
der zweiten Auffassung müßte der Geistliche zu
diesem Zeugnisverweigerungsgrund noch die nä-
heren Umstände angeben, aus denen der Richter
zur Uberzeugung gelangen kann, daß jener Grund
wirklich vorliege. Meines Erachtens ist die erstere
Auffassung die richtige. Der Inhalt der zweiten
Deutung fällt tatsächlich zusammen mit der Glaub-
haftmachung. Wäre die letztere Deutung richtig,
so wäre eine noch hinzutretende Glaubhaftmachung
überflüssig. Der verweigerungsberechtigte Zeuge
gibt seine Erklärung ab, in welcher der Ver-
weigerungsgrund angegeben ist. Seinem Gewissen
bleibt es überlassen, daß er die Wahrheit spreche,
wenn er den Weigerungsgrund angibt. Wie sollte
in praxi auch der Richter imstande sein, z. B. zu
beurteilen, ob dieser oder jener Umstand wirklich
im Bereich der Ausübung der Seelsorge eines
katholischen Priesters liegt? Es ist also bloß der
Weigerungsgrund anzugeben. Dieser aber ist im
Zivilprozeß regelmäßig, im Strafprozeß nur „auf
Verlangen“ des Richters glaubhaft zu machen.
Im Zivilprozeß „genügt" die mit Berufung auf
einen geleisteten Diensteid abgegebene Versicherung.
Hat der Geistliche keinen Diensteid geleistet, und
will ihm der Richter nicht ohne weiteres Glauben
schenken, dann muß er durch andere Mittel (Zeu-
gen, Urkunden usw.) seinen Weigerungsgrund
dem Richter glaubhaft machen. Im Strafprozeß
„genügt“ die eidliche Versicherung des Zeugen.
Andere Mittel zur Glaubhaftmachung hat also
der Richter nicht zu fordern.
Mag nun auch in praxi der Richter tatsächlich
mit der Angabe des Weigerungsgrundes sich be-
Beichtgeheimnis.
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gnügen und beim katholischen Priester von einer
besondern Glaubhaftmachung absehen, so ist doch
im Prinzip zu sagen, daß der prozessuale Schutz
des Beichtgeheimnisses ungenügend ist. Wenn der
Richter im Zivilprozeß dem Priester, der keinen
Diensteid geleistet hat, nicht sofort Glauben
schenken will, und der geistliche Zeuge muß als-
dann seinen Weigerungsgrund, daß ihm in Bezug
auf die vorliegende Sache Mitteilungen bei Aus-
übung der Seelsorge gemacht worden sind, glaub-
haft machen: könnte denn das wirklich geschehen
ohne Antastung des Beichtgeheimnisses? Ja, hat
denn nicht die Erfahrung gezeigt, daß schon eine
Erklärung, wie sie zur Angabe des Weigerungs-
grunds vorgeschrieben ist, in eigen gearteten Fällen
das Beichtgeheimnis gefährdet, indem die ver-
mutende Reflexion des Richters, welcher dieser
sich doch nicht entziehen kann, aus dieser Erklä-
rung allein schon Schlüsse zu ziehen imstande
ist? Also selbst in diesem Fall entspricht der pro-
zessuale Schutz des geltenden Rechts nicht den
dogmatischen und kanonischen Satzungen, welche
einen absoluten Schutz verlangen. Die strikte
Anwendung der heutigen Prozeßregeln führt nur
zu leicht zu einem Dilemma. Das Prozeßrecht
will auf der einen Seite das seelsorgerliche Ge-
heimnis schützen; auf der andern Seite aber bringt
es dasselbe wieder in große Gefahr der Preis-
gabe. Für das moderne Recht ist ja die Lösung
dieses Problems überaus schwierig. De lege fe-
renda wäre aber, um Gewissenskonflikte möglichst
zu vermindern, dringend zu wünschen, daß die
Pflicht einer eventuellen Glaubhaftmachung des
Zeugnisverweigerungsgrundes beim katholischen
Priester im Gesetz gestrichen werde. Auch die
Militärstrafgerichtsordnung von 1898 begnügt
sich mit der „Erklärung“ des Geistlichen (§ 191).
Viel mehr noch wäre gewonnen, wenn der Priester
als Zeuge vor Gericht behandelt würde wie der
Zeuge nach St. P. O. 8 54. Wenn jemand nämlich
fürchtet, durch das geforderte Zeugnis sich der
Gefahr einer strafgerichtlichen Verfolgung auszu-
setzen, dann muß sich nach einer Entscheidung des
Reichsgerichts vom 9. Okt. 1880 der Richter da-
mit begnügen, daß der Zeuge schwört, nach seinem
besten Wissen müsse er annehmen, daß er durch
die betreffende Angabe sich der Gefahr einer straf-
gerichtlichen Verfolgung aussetze. Warum sollte
nicht analog der Priester vor Gericht sagen und
schwören dürfen, nach seinem besten Wissen müsse
er annehmen, daß er durch die Auskunft in Ge-
wissenskonflikt geraten würde? Als wichtig möge
noch hervorgehoben werden, daß der § 383 Abf. 3
der C. P.O. und 855 der St. P.O. durchaus nicht
jede Mitteilung decken, welche dem Geistlichen in
seiner amtlichen Eigenschaft gemacht worden ist,
sondern nur jene, welche ihm bei Ausübung der
Seelsorge anvertraut worden ist (Reichsgerichts-
entscheidung vom 19. Jan. 1884).
Was soll nun der Beichtvater unter dem gel-
tenden Recht tun, wenn er als Zeuge vor Gericht