Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

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für das Beichtgeheimnis fürchten muß? Die 
Frage, ob eine Mentalreservation in diesem Fall 
erlaubt sei, bleibe ebenso unberührt wie die andere 
Frage, ob in einer solchen Restriktion eine Eides- 
verletzung gefunden werden könne. Der Priester 
wird am besten tun, wenn er die Folgen auf sich 
nimmt, welche die Prozeßordnungen für unberech- 
tigte Zeugnisverweigerung androhen (C..O. 
§ 380 und St. P.O. § 50). Um der klaren und 
geraden Erfüllung einer so heiligen Pflicht willen, 
wie es die Behütung des Beichtgeheimnisses ist, 
wird kein. treuer Priester auch nur einen Augen- 
blick scheuen, noch ganz andere Opfer zu brin- 
gen, als die in den obigen Paragraphen be- 
zeichneten. 
Im R. St. G. B. wird das Beichtgeheimnis im- 
plicite berührt in den 89 139 und 300. Ersterer 
Paragraph statuiert, indem er mit dem Wörtchen 
„Wer“ beginnt, eine absolute Anzeigepflicht be- 
züglich bestimmter gemeingefährlicher Verbrechen. 
Der Beichtvater muß, wenn ihm, was wohl selten 
genug geschehen wird, ein solches verbrecherisches 
Vorhaben gebeichtet wird, bis zur äußersten 
Grenze der persönlichen Beeinflussung gehen, um 
das Beichtkind von seinem Plan abzubringen. 
Gelingt dies nicht, so muß wegen nicht vor- 
handener Disposition selbstverständlich die Abso- 
lution verweigert werden. Der § 139 verletzt trotz 
der versöhnenden Momente, die er enthält, das 
Prinzip des Beichtgeheimnisses, den im Interesse 
des heiligen Bußsakraments notwendigen, abso- 
luten Schutz. Vorausgesetzt ist dabei natürlich, daß 
das Bekenntnis des verbrecherischen Vorhabens 
unter den Begriff der sakramentalen Beicht fällt; 
sonst könnte natürlich vom Beichtgeheimnis keine 
Rede sein. In der Theorie könnte man auch sagen: 
Der Beichtvater braucht ja doch bloß die Sache 
an der richtigen Stelle anzudeuten, ohne irgend 
welche Bezeichnung der Person. Vielleicht könnte 
hierin bei einem Gewissenskonflikt des Beichtvaters 
ein Ausweg liegen. Aber welcher Beichtvater würde 
in einer so heiligen und so zarten Angelegenheit, 
wie es das Beichtgeheimnis für den katholischen 
Priester ist, die Garantie dafür übernehmen wollen, 
daß nicht früher oder später bei einer eventuellen 
strafgerichtlichen Untersuchung doch die Sache mit 
der Person des Beichtkinds in Verbindung ge- 
bracht würde 7 
Der § 300 endlich proklamiert die staatsgesetz- 
liche Straflosigkeit des Bruches des Beichtgeheim- 
nisses. Das preußische Landrecht (TI II, Tit. 11, 
8 80) bedroht diesen Bruch mit Amtsentsetzung 
(ogl. außerdem ebd. TI II, Tit. 20, § 500). Das 
preußische St. G. B. von 1851 setzte im § 155 eine 
Strafe fest für „Medizinalpersonen und deren Ge- 
hilfen, sowie alle Personen, welche unbefugterweise 
Privatgeheimnisse offenbaren, die ihnen kraft 
ihres Amtes, Standes oder Gewerbes anvertraut 
sind“. Somit umfaßte dieser Paragraph auch 
die Geistlichen bzw. das Beichtgeheimnis. Der 
§ 300 des R. St.G.B. aber schließt, indem er die 
Bekenntnisfreiheit. 
  
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bestimmten Berufsklassen, bei welchen Indis- 
kretion strafbar sein soll, er schöpfend aufzählt, 
dadurch, daß die Geistlichen nicht erwähnt werden, 
dieselben aus. Damit ist eine interessante Ent- 
wicklung zum Abschluß gebracht. Das Beicht- 
geheimnis ist wohl zweifellos der Ursprung aller 
andern Berufsgeheimnisse; das deutsche Strafrecht 
anerkennt die Kinder, ignoriert aber den Vater. 
[Triebs.] 
Bekenntnisfreiheit ist ein Bestandteil 
der umfassenderen Religionsfreiheit, welche sich in 
dreifacher Stufenfolge als Glaubens-, Bekennt- 
nis= und Kultusfreiheit aufbaut. Weniger passend 
dürfte der Ausdruck „Gewissensfreiheit" sein, weil 
diese ihrem Begriff und Wortlaut nach weiter 
reicht als Religionsfreiheit, wenngleich die logi- 
schen Umfänge beider sich schneiden und einen 
Kreisausschnitt gemeinsam haben; denn die Reli- 
gionsfreiheit ist nur ein Ausfluß aus der allge- 
meinen Gewissensfreiheit und in ihr wie der Teil 
im Ganzen enthalten. Der Religionsfreiheit steht 
als Gegensat die religiöse Bedrückung gegenüber, 
die am schroffsten in Glaubens-, Bekenntnis= und 
Kultuszwang sich ausspricht, aber auch schon in 
ungerechter Religionsbeschränkung gefunden wer- 
den muß. Asn dieser Stelle sind die drei Momente 
der Religionsfreiheit mit ihren Gegensätzen vor- 
nehmlich vom staatsrechtlichen Standpunkt aus zu 
beurteilen, wenn es sich auch nicht umgehen läßt, 
daß die Lehren und Grundsätze der katholischen 
Kirche mit zur Darstellung gelangen, weil nur so 
sich zeigen läßt, daß zwischen der katholischen Welt- 
anschauung und dem modernen Rechtsstaat in den 
leitenden Gesichtspunkten kein prinzipieller Wider- 
streit herrscht. 
I. Glaubensfreiheilbedeutet etymologisch 
zwar zunächst die psychologische Fähigkeit, im 
stillen zu glauben, was man will, gleichviel ob 
diese „freien Meinungen“ auf das natürliche oder 
das übernatürliche Wahrheitsgebiet sich erstrecken. 
Sachlich versteht man indes darunter das persön- 
liche Recht des Individuums, sich innerlich die- 
jenige religiöse Uberzeugung zu bilden, welche es 
für die allein richtige hält. 
1. Weil der Staat sich außer stande erklären 
mu, mit seinen Vorschriften und Rechtssatzungen 
das Heiligtum des Gewissens zu erreichen oder die 
inneren Seelentätigkeiten mit seiner äußern Rechts- 
ordnung zu ergreifen, so erhellt, daß die Glau- 
bensfreiheit im obigen Sinn kein staatsrechtlicher 
Begriff sein kann. Daher gilt hier der römische 
Rechtsgrundsatz: De internis non iudicat prae- 
tor. Der Volksmund sagt dafür: „Gedanken sind 
zollfrei.“ Allerdings ist die physische Glaubens- 
und Denkfreiheit noch lange nicht gleichbedeutend 
mit der sittlichen Freiheit, zu glauben und zu 
denken, was man will; denn auch das innere 
Geistesleben steht unter der Kontrolle des Ge- 
wissens, das sich dem ethischen Zwang der sitt- 
lichen Weltordnung niemals zu entziehen vermag. 
Aber die Staatsgewalt steht auch den fsündhaften
	        
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