713
war man ohne die Todesstrafe ausgekommen.
Abgesehen von den Strafen gegen Kleriker, denen
mit der Amtsentsetzung auch ihr Einkommen ent-
zogen wurde, kennt Cyprian (gest. 258) nur geist-
liche Zuchtmittel und verwirft alle äußeren Ge-
waltmaßregeln, wie sie im Alten Testament in Ubung
waren (vgl. S. Cypr., Ep. 4, 4, hrsg. von Hartel:
Tunc quidem gladio occidebantur, quando
adhuc et circumcisio carnalis manebat; nunc
autem quia circumcisio spiritalis esse ad
fideles servos Dei coepit, spiritali gladio
superbi et contumaces necantur, dum de
ecclesia eiciuntur). Als Ausschluß vom Heil
galt die Exkommunikation als die schwerste Strafe;
sie war „Lgeistliche Todesstrafe". Eines der älte-
sten Beispiele von Ketzertötung war die Enthaup-
tung der priscillianistischen Rädelsführer zu Trier
385 durch den Usurpator Maximus, dessen Vor-
gehen die Proteste des hl. Martin von Tours,
Ambrosius von Mailand und des Papstes Siri-
cius hervorrief (bgl. Histor.= polit. Blätter XCO
330 ff). Da kam Augustinus (gest. 430). An-
fangs zur Milde geneigt und auf rein geistliche
Gegenmittel bedacht, billigte er zuletzt die staat-
lichen Repressalien gegen die Donatisten, nachdem
er die guten Früchte mit eigenen Augen gesehen
hatte (vgl. S. August., Retract. II 5: Et vere
tunc non mibi placebat, quia nondum erx-
pertus fueram, vel duantum mali auderet
impunitas vel quantum eis in melius mutan-
dis conferre posset diligentia disciplinae).
Aber für eines war auch Augustinus nicht zu
haben: die Ketzertötung (Ep. 127: Corrigi eos
cupimus, non necari). Unter den Merowingern
und Karolingern war die Ketzerei noch kein bür-
gerliches Verbrechen und wurde mit keiner welt-
lichen Strafe belegt. Ein Umschwung trat erst
im 11. Jahrh. ein, als der von den oströmischen
Kaisern Theodosius und Justinian blutig verfolgte
Manichäismus in den Katharern und Albi-
gensern wieder auflebte. Über die Gemeingefähr-
lichkeit dieser Sekten urteilt Döllinger (Kirche und
Kirchen [1861) 51): „Jene gnostischen Sek-
ten, die Katharer und Albigenser, welche eigentlich
die harte und unerbittliche Gesetzgebung des Mittel-
alters gegen die Häresien hervorriefen und in blu-
tigen Kriegen bekämpft werden mußten, waren die
Sozialisten und Kommunisten jener Zeit; sie
griffen Ehe, Familie und Eigentum an. Hätten
sie gesiegt, ein allgemeiner Umsturz, ein Zurück-
sinken in die Barbarei und heidnische Zuchtlosig-
keit wären die Folge gewesen.“ Unter dem offen-
kundigen Einfluß des römischen Rechts, das man
damals eifrig zu studieren begann, führte der ge-
wiß nicht päpstlich gesinnte Hohenstaufenkaiser
Friedrich II. im Jahr 1224 durch Reichsgesetz
die Strafe der Ketzerverbrennung ein (vol. Mon.
Germ. IV, Leg. II 326 ff). Von jetzt ab traten
auch die Päpste, vorab Gregor IX. (gest. 1241),
mit aller Macht für die strenge Durchführung der
weltlichen Ketzergesetze ein, indem sie dieselben
Bekenntnisfreiheit.
714
als willkommenes Mittel zur Reinerhaltung der
Lehre begrüßten (vgl. Hinschius, Kirchenrecht der
Katholiken u. Protestanten in Deutschland V 387).
Daß die Gemeingefährlichkeit der meisten Häre-
sien weder Staat noch Kirche zur Milde stimmen
konnte, liegt auf der Hand. Die berüchtigten
„Zirkumzellionen“ der Donatisten, die Blut-
taten der Albigenser trugen so offensichtlich das
Brandmal des Aufruhrs auf der Stirne, daß die
Staatsgewalt unmöglich diesem Treiben mit ver-
schränkten Armen zusehen durfte. Würde nicht
auch der moderne Staat gegen eine Wiederholung
der Greuelszenen unter den Wiedertäufern in
Münster mit der Waffe einschreiten? Allerdings
haben weder die deutschen Kaiser noch die mittel-
alterlichen Kanonisten zwischen staatsgefährlichen
und harmlosen Ketzern unterschieden, sondern jedes
Glaubensverbrechen an sich als todeswürdige con-
tumelia Creatoris hingestellt, die den rächenden
Arm des Glaubensstaats herausfordere. Und diese
verhängnisvolle Grundanschauung läßt sich noch
bis in die Schriften von Martin Luther, Melan-
chthon, Butzer, Vinzenz und Wenzeslaus Sturm,
Strigel, Matthias Coler und anderer protestan-
tischer Koryphäen hinein verfolgen. Für die herbe
Ketzergesetzgebung der Vorzeit ist teils die durch-
gängige Gemeingefährlichkeit der damaligen Häre-
tiker, teils die unselige Verquickung des Kirchen-
glaubens mit dem Staatszweck, teils dieexorbitante
Barbarei der alten Strafjustiz überhaupt verant-
wortlich. — Vgl. J. Ficker, Die gesetzliche Ein-
führung der Todesstrafe für Ketzer (Mitteilungen
für österr. Geschichtsforschung I (1880] 177 bis
226); J. Havet, L'hörésie et le bras séculier
au moyen äage jusqu'’au XIII siècle (Par.
1896); Timpe, Die kirchenpolit. Ansichten und
Bestrebungen des Kardinals Bellarmin (1905);
J. B. Haring, Kirche und Staat (1907). Über
die Reformation vgl. P. Schanz, Apologie des
Christentums III (21906) 344 ff.
e) Aus vorstehenden Erwägungen und Tat-
sachen ziehen wir fünftens den Schluß, daß die
unrühmliche Sitte der Ketzerverbrennungen im
Grund genommen eine Kulturfrage ist, keine
Rechtsfrage. Je tiefer das Niveau der Zivilisa-
tion einer Zeit, desto größer die Grausamkeit bei
der Bestrafung von Verbrechen. Schon die Ein-
führung der Folter in den Ketzerprozeß durch
Papst Innozenz IV. (1252) zeigt uns wie in
einem trüben Spiegel die ganze Unweisheit und
Rückständigkeit der Kulturanschauungen des Mit-
telalters. Der Anbruch der Reformation brachte
trotz der vielgepriesenen „evangelischen Freiheit"
keine Besserung, wie allein schon die häßlichen
Hexenprozesse in protestantischen und katholischen
Ländern bis zur Beschämung bezeugen. Auch
sonst herrschten halb asiatische Zustände. Nicht
ohne Schaudern liest man, daß der Hochverrat in
England — als solcher galt schon das bloße Be-
kenntnis zum katholischen Glauben — mit dem
Strang und dem Herausreißen des zuckenden