Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

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Church and State in the United Staates or 
the American idea of religious liberty and 
its practical efkects (Neuyork 1888); Säg- 
müller, Die Trennung von Staat und Kirche 
(1907). 
III. Kultusfreiheit ist der krönende Ab- 
schluß der Religionsfreiheit, insofern der innere 
Glaube und das äußere Bekenntnis von selbst zu 
Kirchenbildungen treibt und gleichgesinnte Glau- 
bensgenossen in Religionsvereinen zusammenführt, 
um in gemeinsamem Gottesdienst durch Gebet, 
Predigt, Sakramente usw. dem höchsten Herrn 
Anbetung und Huldigung zu erweisen. Ist ohne 
äußern Kultus die Religion überhaupt undenk- 
bar, so bildet Kultusfreiheit das notwendige Kor- 
relat zur Glaubens= und Bekenntnisfreiheit. Wegen 
der Gleichheit der Grundsätze dürfen wir uns dies- 
mal kurz fassen. 
1. Die katholische Kirche lehrt, daß nur jener 
äußere Gottesdienst und Kultus berechtigt sein 
kann, den Christus der Herr in der von ihm selbst 
gestifteten Heilsanstalt mit ihrem Meßopfer, ihren 
liturgischen Gebeten, Katechesen und Predigten, 
ihren Sakramenten und Sakramentalien, ihren 
Segnungen und Gelübden usw. (direkt oder in- 
direkt) angeordnet hat. Denn wie nur eine wahre 
Religion, so kann es auch nur eine wahre Reli- 
gionsübung geben, da beide sich zueinander ver- 
halten wie Materie und Form, Leib und Seele. 
Wenn zwar auch im akatholischen Kultus noch 
wahre Elemente der christlichen Gottesverehrung 
stecken, so sind es doch nur mit vielem Schutt 
untermischte Trümmer, deren fürsorgliche Erhal- 
tung die Kirche allerdings insofern selbst wünschen 
muß, als die Gemeinsamkeit der Berührungs- 
punkte und der Mitbesitz gemeinschaftlichen Gutes 
(Bibel, Taufe, Glaubenssymbole, Sonntag, christ- 
liche Feiertage, Kalender) eine goldene Brücke für 
eine spätere Wiedervereinigung bildet und zugleich 
ein geistiges Band knüpft, das die christlichen Kon- 
fessionen im Interesse des Kirchenfriedens und der 
Staatswohlfahrt zusammenhält. Jedoch geht diese 
hochgemute Gesinnung nicht bis zur Gestattung 
der persönlich-aktiven Teilnahme am Kultus 
Andersgläubiger (Communicatio in sacris sive 
divinis), welche die katholische Moraltheologie 
mit Recht als eine schwer sündhafte Verleugnung 
des eigenen Glaubens verpönt (ogl. Matth. 10, 
33. Luk. 9, 26). „Wenn sich jedoch an die Be- 
teiligung bei gottesdienstlichen Feiern oder Zere- 
monien einer andern Konfession, z. B. Leichen- 
begängnissen, Hochzeits-, Tauf= und Konfirma- 
tionsfeiern infolge von Verwandtschafts-, Freund- 
schafts= oder Höflichkeitsrücksichten ein Schein der 
Verleugnung der eigenen Religion oder der Bil- 
ligung der fremden Konfession nicht knüpft, ist eine 
solche erlaubt“ (A. Koch, Lehrbuch der Moral- 
theologie (21907) 340). 
Wenn die Kirche den Akatholiken in den reli- 
giös gemischten Staaten ihren staatlich anerkann- 
ten Kultus nicht nur gönnt, sondern den katho- 
Bekenntnisfreiheit. 
  
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lischen Staatshäuptern auch Treue und Gerechtig- 
keit in der Handhabung der Religionsverträge und 
verbrieften Rechte Andersgläubiger zur Pflicht 
macht, so darf sie bezüglich ihrer eigenen Kultus- 
freiheit selbstverständlich nicht zurückstehen, son- 
dern muß für sich und ihre Anhänger das ureigene 
Recht des privaten wie öffentlichen Gottesdienstes 
geltend machen ohne jedwede Verklausulierung und 
Einschränkung. Dieses ihr gutes Recht kann von 
kirchenfeindlichen Staaten zwar unterdrückt, ge- 
kränkt, verkürzt werden, wie ehemals in England 
und Schweden; erlöschen oder verjähren kann es 
nicht. Wo die volle Entfaltung des Kultus durch 
engherzige Landesgesetzgebungen in gewaltsamen 
Schranken gehalten wird, wie noch heute in Braun- 
schweig, Mecklenburg und Sachsen, da toleriert die 
Kirche den traurigen Zustand, auf bessere Zeiten 
hoffend; allein diese Zurücksetzung empfindet sie 
zugleich als eine Rechtsverletzung und hört nicht 
au-, ihr unverjährbares Recht zu reklamieren. Das 
vom Liberalismus geprägte Schlagwort von „hier- 
archischen Herrschaftsgelüsten“, welche die Nieder- 
haltung der Kirche durch die Polizeigewalt zur 
Staatsnotwendigkeit machen sollen, kann so lange 
nicht ernst genommen werden, als es nur als 
wohlfeile Maske dient, um die Knechtung der 
Kirche zu beschönigen. In den gegenwärtigen 
Zeitläuften hat die Kirche, selbst wenn sie Lust 
dazu hätte, keinerlei Machtmittel mehr zur Ver- 
fügung, um die Staaten zu bevormunden; das 
Recht der Fürstenabsetzung und der Entbindung 
vom Treueid nimmt sie für sich nicht mehr in An- 
spruch, seitdem der katholische Glaubensstaat, der 
ihr aus freien Stücken dieses Recht gegeben hatte, 
zu Bruch gekommen ist. Aber gegen eines wehrt 
sie sich mit Macht: gegen die Machenschaften, die 
darauf ausgehen, sie zur Magd und Sklavin des 
Staates zu erniedrigen. Eine freigeborne Him- 
melstochter, schreitet sie ohne Fußfesseln erhobenen 
Hauptes durch die Staaten, die sie in ihrer fast 
2000jährigen Geschichte hat entstehen und ver- 
gehen sehen. Ihr hohes Alter allein schon gibt 
ihr, von allen übrigen Rechtstiteln abgesehen, ein 
historisches Recht auf staatlich-politische Frei- 
heit ihrer Lehre, ihrer Verfassung und ihres Kul- 
tus. — Bgl. Kolberg, Verfassung, Kultus und 
Disziplin der christl. Kirche nach den Schriften 
Tertullians (1883); Duchesne, Origines du 
culte chrétien (Par. 1889); Semeria, Domma, 
gerarchia e culto nella chiesa primitiva (Rom 
1902). 
2. Was die Rechte und Pflichten des Staates 
bezüglich der Kultusfreiheit betrifft, so gilt hier 
alles, was oben über die Stellung der Staats- 
keen zur Bekenntnisfreiheit ausgeführt wor- 
den ist. 
Auf das Wesen und die Aufgaben des Glau- 
bensstaates, der seiner ganzen Natur und Ver- 
fassung nach nur den Kultuszwang kannte, braucht 
nicht näher eingegangen zu werden, da er nur 
mehr ein geschichtliches Interesse hat. Das Kapitel
	        
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