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ziellen Parasitentums und der Ausnutzung des
unwissenden Volkes in der bittersten Weise. Sein
„Buch der Trugschlüsse“ (Bock of Fallacies
II 375) ist ein Arsenal giftiger Kritik und strenger
Dialektik. Die Schriften, welche den 6. und
7. Band der Gesamtausgabe der Werke Benthams
bilden, sind meist der Kritik der Gesetzgebung
gewidmet. Kein Engländer vor Bentham wagte
eine so bittere Satire auf die „Reformen“ Hein-
richs VIII. und der Königin Elisabeth (1 41?#h.
Den König Friedrich II. von Preußen haßte
Bentham aus ganzer Seele. Die Westminster
Review (seit 1824) sollte der Träger seiner Ideen
unter die Massen sein, sie lehrte Jung-England
im „liberalen“ Geiste denken.
Namentlich betont Bentham die Notwendigkeit
der Reform des Strafrechts und der Straf-
anstalten, deren Ideal das Panopticon (Buch
darüber 1791) werden sollte. Bei Bentham findet
sich bereits der Gedanke der Schadloshaltung jener,
die ungerecht verurteilt waren. Bentham ist einer
der ersten, welche für Tierschutz und humane Be-
handlung der Tiere sich in der Presse erhoben
(1 142 562; X 349). Ebenso plädierte er für
Armenadvokaten (IX) zum Schutz der Wehr-
losen. — Auf dem Boden der Volkswirt-
schaftslehre gehört Bentham der Schule Adam
Smiths an, den er hochachtet (II 213). Wie
gegen die Wuchergesetze, eifert er gegen die Zoll-
schranken. In dem Freihandelssystem sieht er das
größte Glück der Völker. Seine Anschauung von
dem Wesen des Gesetzes ist die eines revolutionären
Libertins. Die Begriffe Freiheit und Willkür
decken sich ihm vollständig. Darum ist jedes Gesetz
als „Schranke der Freiheit“ ein übel. Und doch
weiß er kein anderes Mittel, um den Krieg aller
gegen alle nicht zum Prinzip des Daseins zu er-
heben, als den verschämten contrat social (132
308), der „ein Ubel an sich“ und dessen Schließung
„eine Wahl von Übeln“ — und doch merk-
würdigerweise „ein Triumph der Menschheit über
sich selbst“ ist. Sonst tadelt Bentham sowohl die
Idee eines Naturrechts bei Hugo Grotius, Hobbes
u. a. als den Rousseauschen contrat, den er durch
eine Reihe von „Sanktionen“, durch Gewohnheits-
rechte und vor allem durch die Lancaster-Bellsche
Erziehungsmethode zu ersetzen hofft.
Jede Autorität in religiöser Hinsicht ist ihm
ein leibhaftiges Sophisma, der konträre Gegensatz
zu all dem, was Vernunft, Erfahrung, Wissen-
schaft und Bildung heißt. Der Boden, wo Auto-
rität existieren kann, ist Unwissenheit; mit der fort-
schreitenden Bildung verliert sie von selbst ihren
Untergrund (Bock of Fallacies I, ch. 1; I1.39 #0.
Die christliche Ethik erscheint ihm als falscher
Aszetismus, als naturwidrig, weil im Wider-
spruch zum Utilitarismus; ebenso ist ihm die
christliche Offenbarung der eigentliche Feind der
Sozialethik, der Kultur und des Bürgerglücks.
Dies gilt in erster Reihe von dem Katholizismus
(II 412). Bentham hat für alle höheren sitt-
Bergelohn, Bergung — Bergwesen.
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lichen und religiösen Fragen keinen Sinn. Ihm
gilt nur das Greifbare, das Nützliche, das er oft
in den abgeschmacktesten Schematismen als das
einzig Bewegende darzutun versucht. So kommt
er zu einem krassen Materialismus, auf dem Ge-
biet der Ethik zum gemeinen Determinismus, der
Leugnung der Freiheit, des Gewissens, das ihm
lediglich anerzogene Rücksicht auf das Urteil
anderer ist.
Wenn Bentham als Hauptvertreter des neu-
zeitlichen Epikuräismus anzusehen ist mit Bezug
auf seine eigene Erklärung (Traité de légis-
lation civile et pénale [Par. 1802)), daß Epikur
allein unter den Alten das Verdienst eigne, die
wahre Quelle der Moral entdeckt zu haben, so
stimmt dies sowohl mit dem von ihm verteidigten
Zweck der öffentlichen Gesetzgebung in dem größt-
möglichen Wohl der größtmöglichen Zahl (Mini-
misation des Elends) als mit der Erklärung des
Selbstinteresses als der einzigen Triebfeder und des
obersten Maßstabes des Sittlichen überein. Seine
Verteidigung des Selbstmords und die Recht-
fertigung des Falsiloquium (Deontologie 1 109)
lassen sich bei der widerspruchsvollen Dunkelheit
und Unklarheit seiner Darlegungen ebenso leicht
verstehen wie die Versuche, ihn als Anhänger des
Sozialeudämonismus (Sidgwick, Methods of
Ethics I1884.]5 82) wie des rücksichtslosen Privat=
utilitarismus zu charakterisieren. Immerhin kann
Bentham als der Typeines frühen philanthropischen
Manchestermannes bezeichnet werden. Ein freies,
wohlhabendes Volk im Benthamschen Sinn, un-
beschränktes Wachsen des Kapitals, eine schwache
Regierung, Unterordnung des Staates unter die
wirtschaftlichen Interessen der Untertanen sind sein
Ideal. Von besserer Seite als Vertreter der Hu-
manität lernen wir dagegen Bentham kennen in
seinem brieflichen Verkehr mit Männern aller Rich-
tungen, Konfessionen und Lebensstellungen. Ben-
tham korrespondiert mit Lord Lansdowne, Robert
Watt, Romilly, Parr, James Mackintosh. Lord
Holland, Blanco White, Sir F. Burdett, Madame
de Staczl, O'Connel, dem Präsidenten der Ver-
einigten Staaten Adams usw. Zu seinen An-
hängern gehören namentlich die beiden Mill, Vater
und Sohn, Paley, Ricardo u. a. Einer der be-
deutendsten Gegner Benthams ist Macaulay.
Literatur. Vgl. über B.: Guyau, La morale
anglaise contemporaine (Par. 1879) 22 63;
Mohl, Gesch. u. Lit. der Staatswissenschaften II
(3 Bde, 1855/58) 590; J. H. Fichte, System d. Ethik
1 (2 Bde, 1850/53) 591 ff; Ad. Held, Zwei Bücher
zur soz. Gesch. Englands (1881); Raffalovich, B.
(1888). Eine scharfe Kritik B.s hat Karl Marx
(Das Kapital I (/718901) gegeben. über die zuletzt
erwähnten Kontroversen vgl. die Einzelausführung
in Cathreins Moralphilosophie I ( 1904).
[Bach, rev. Weinand.)
Bergelohn, Bergung s. Seerecht.
Bergwesen. I. Bergbau. Bergbau ist
die Gewinnung und der kunstgerechte Abbau der
an der Erdoberfläche oder im Innern der Erde