Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

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zu heben und zu verbessern. Die anfänglich frei- 
willigen Beiträge sowohl seitens der Bergknappen 
als auch seitens der Gewerken wurden später obli- 
gatorisch. Die ältesten Knappschaften werden beim 
Erzbergbau erwähnt, und zwar in der Kuttenberger 
Bergordnung von 1300 und in der Rammelsberger 
Bergordnung von 1539. Für den Kohlenberg- 
bau traten geordnete Knappschaftsverhältnisse in 
Preußen erst in der revidierten Klevisch-Märkischen 
Bergordnung vom 29. April 1766 in Erscheinung. 
Die Reichs-Arbeiterversicherungs-Gesetzgebung hat 
auf die Gestaltung der Knappschaften wesentlich 
eingewirkt. Sie sind in den Bereich der obliga- 
torischen Krankenversicherung eingeschlossen worden. 
An Stelle der Landesversicherungsanstalten sin 
4 Knappschaftspensionskassen getreten: 1) Der 
Saarbrücker Knappschaftsverein, 2) der Allg. 
Knappschaftsverein zu Bochum, 3) die Norddeutsche 
Knappschafts-Pensionskasse zu Halle a. S., 4) die 
Allg. Knappschafts-Pensionskasse für das Kgr. 
Sachsen in Freiberg i. S., die Träger der obli- 
gatorischen Invalidenversicherung. Die Unfall- 
versicherung ist der Knappschaftsberufsgenossen- 
schaft (8 Sektionen) übertragen. Die Leistungen, 
welche die Knappschaftsvereine ihren Mitgliedern 
und deren Angehörigen in Krankheits= und Sterbe- 
fällen zu gewähren haben, müssen die im Kranken- 
versicherungsgesetz für die Betriebs-(Fabrik-)Kran- 
kenkassen vorgeschriebenen Mindestleistungen er- 
reichen. 
Die Leistungen, welche die Pensionskassen 
der Knappschaftsvereine mindestens zu gewähren 
haben, sind 1)eine lebenslängliche Invalidenpension 
bei eingetretener Unfähigkeit zur Berufsarbeit; 
2) eine Pension für die Witwen auf Lebenszeit 
oder bis zur Wiederverheiratung; 3) eine Beihilfe 
zur Erziehung der Kinder verstorbener Mitglieder 
und Invaliden bis zur Vollendung des 14. Lebens- 
jahrs; 4) ein Beitrag zu den Begräbniskosten der 
Invaliden. Die Verwaltung eines jeden Knapp- 
schaftsvereins erfolgt unter Beteiligung von Knapp- 
schaftsältesten durch den Knappschaftsvorstand und 
die Generalversammlung. Die Knappschafts- 
ältesten werden von den beitragzahlenden, männ- 
lichen, volljährigen Vereinsmitgliedern auf Grund 
unmittelbarer Abstimmung aus ihrer Mitte, die 
Mitglieder des Knappschaftsvorstands 
zur einen Hälfte aus den Werksbesitzern oder aus 
deren Vertretern, zur andern Hälfte aus den 
beitrittspflichtigen Knappschaftsältesten gewählt. 
In den andern deutschen Bundesstaaten bestehen 
in Bezug auf das Knappschaftswesen ähnliche Be- 
stimmungen wie in Preußen. 
4. Sonstige Rechts= und soziale Ver- 
hältnisse. Die Schichtdauer schwankt in Deutsch- 
land je nach der geologischen Natur des Flözes: 
sie beträgt im Ruhrbezirk 8 Stunden, in andern 
Bezirken bis zu 10 Stunden. In Preußen er- 
folgt die Reglung im wesentlichen durch die Ar- 
beitsordnungen; die Oberbergämter sind jedoch 
berechtigt, für besonders gesundheitsgefährliche 
NDECL 
Bergwesen. 
  
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Betriebe Dauer, Beginn und Ende der täglichen 
Arbeitszeit vorzuschreiben. Hinsichtlich der Sonn- 
tagsruhe und der Beschäftigung jugendlicher Ar- 
beiter und Arbeiterinnen gelten die Bestimmungen 
der Gewerbeordnung. Arbeiterinnen dürfen 
nicht unter Tag beschäftigt werden. Im 
Oberbergamtsbezirk Dortmund werden Frauen 
und Mädchen im Steinkohlenbergbau überhaupt 
nicht beschäftigt, inden Ob abergamtsbezirken Bonn 
und Breslau nur über Tag. Im Oberbergamts- 
bezirk Dortmund sind die fremdsprachigen 
Leute von jeder Arbeit im Bergbaubetrieb aus- 
geschlossen, wenn sie nicht deutsch verstehen und 
sprechen sowie in Schrift und Druck lesen können 
(Bergpolizeiverordn. vom 25. Jan. 1899). Für 
zahlreiche Bergbaubezirke sind besondere Berg- 
gewerbegerichte gebildet worden, welche auch 
die Aufgaben als Einigungsämter haben (Ge- 
werbegerichtsgesetz vom 30. Juni 1901). Der 
Belegschaftswechsel ist ungewöhnlich stark, 
er betrug z. B. im Bereich des Allgemeinen Knapp- 
schaftsvereins zu Bochum: 
  
  
  
  
  
  
Auf je 100 Mann der 
SGEGEesamtwechsel durch atlichen. Be- 
2 egschaft entfallen 
Jahr 6 
282 Ab Zu·. Ab· guittn 
22 ugang Abgang esamt- 
6 5 gänge gänge wechsel 
1896 166 662 121666 49 40 89 
1900 235 226 159 358121 4877768 52 120 
1901 253 680 136 301 120077 54 47 101 
1905.269 699 101 367792 370| 88 34 72 
1906 286 731 162 694139 625 57 48 105 
  
  
  
  
Mit dem Bergban ist natürlich eine große Be- 
rufsgefahr verbunden. Die Zahl der töd- 
lichen Verunglückungen schwankt meist, je nachdem 
Massenunglücke vorkommen oder nicht; doch ist die 
Zahl der Verunglückten pro 1000 Mann in der 
Abnahme begriffen. In Preußen verunglückten 
im gesamten Bergbau: 1895: 842 Mann (auf 
1000: 2,229), 1900: 1053 (2,076), 1904: 
990 (1,705). Nach einer Statistik des Geological 
Survey (1908) verunglücken auf 1000 Berg- 
arbeiter in Frankreich 0,91, in Belgien 1, in 
Großbritannien 1,28, im Deutschen Reich 2,06, 
in den Vereinigten Staaten von Amerika 3,39. 
Organisiert sind die Bergarbeiter in dem Ge- 
werkoerein christlicher Bergarbeiter Deutschlands 
(1908: 76 866 Mitglieder) und dem alten (so- 
zialdemokratischen) Bergarbeiterverband (1908: 
111700 Mitglieder), sowie in kleinerer Zahl in 
einem polnischen und einem Hirsch-Dunckerschen 
Gewerkverein. 
Literatur. Zu I. G. Köhler, Lehrbuch der 
Bergbaukunde (51903); E. Treptow, Grundzüge 
der Bergbaukunde (71907); Fr. Freise, Gesch. 
der Bergbau= u. Hüttentechnik lI. Das Altertum 
(1907); v. Festenberg-Packisch, Entwicklung u. 
Lage des deutschen Bergbaus mit bes. Berücksichti- 
gung der Arbeitsverhältnisse in Preußen (1890); 
ders., Bausteine zur Gesch. des deutschen Bergbaus 
(1901); Die Entwicklung des niederrhein.-westfäl. 
Steinkohlenbergbaus in der 2. Hälfte des 19. Jahrh.,
	        
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