Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

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schließlich durch indirekte Steuern noch ausschließ- 
lich durch direkte Steuern — um diese theoretisch 
vielleicht nicht ganz korrekte, aber doch allgemein 
angenommene Einteilung zu benutzen — darf die 
Deckung der Staatsbedürfnisse beschafft werden. 
Ein erheblicher Teil der indirekten Steuern, z. B. 
die gesamten Verbrauchssteuern, welche auf not- 
wendige Lebensmittel gelegt sind (Salzsteuer), 
nehmen keine Rücksicht auf die Leistungsfähigkeit; 
die Höhe wächst mit der Anzahl der Verzehrer, 
für welche der Steuerzahler aufzukommen hat, 
während die Größe der Familie zu der Leistungs- 
fähigkeit im umgekehrten Verhältnis steht. Es 
dürfen also derartige Steuern in ihren Einzelsätzen 
nur niedrig bemessen werden. Die Einkommen- 
steuer als alleinige direkte Steuer würde, abgesehen 
von der Schwierigkeit der gerechten Einschätzung, 
auch deshalb ungerecht werden, weil sie ganz uußer 
acht läßt, inwiefern der einzelne dem Staat mehr 
oder weniger Gegenleistungen schuldet, wie solche 
z. B. durch den Umfang des Grundbesitzes, ohne 
Rücksicht auf die erzielte Rente, durch Umfang und 
Art eines Gewerbebetriebes, welche nicht immer 
in dem reinen Gewinn zum Ausdruck kommen, 
bedingt werden. Es wird also gerecht sein, auch 
dem Grundbesitz, dem Gewerbebetrieb usw. als 
solchen eine Steuer aufzuerlegen, während es wieder 
nur höchst ungerecht wäre, diese Art Steuern als 
Hauptauelle auszunutzen, weil eben die Leistungs- 
fähigkeit nicht berücksichtigt werden kann. Diese 
einzelnen Steuerarten sind nur insoweit hier ge- 
streift, als dies zur Erläuterung des allgemeinen 
Standpunktes hinsichtlich der Besteuerung erforder- 
lich schien; nähere Erörterungen über dieselben 
werden in den betreffenden besondern Artikeln zu 
geben sein. — Neben dem Grundsatz der Ver- 
hältnismäßigkeit gibt es auch noch den 
weiteren Besteuerungsgrundsatz der Allgemein- 
heit der Steuern. Derselbe richtet sich nament- 
lich gegen die Steuerfreiheiten, wenn denselben 
keine besondere Gegenleistung gegenübersteht. 
Wir haben bis jetzt die Besteuerung nur vom 
Standpunkt der Steuerzahler beurteilt. Im Inter- 
esse eines geordneten staatlichen Haushalts wer- 
den bestimmte finanztechnische Forderungen an 
das Steuersystem gestellt. Es wird danach zu 
streben sein, daß die Steuer den Staatsbedarf auch 
wirklich deckt, daß sie also ausreichend ist. Die 
Steuer muß darum so gewählt werden, daß ihre 
Erträgnisse sich im voraus möglichst leicht berechnen 
lassen und eine Entziehung der Steuerpflicht, z. B. 
durch Übergang zu steuerfreien Artikeln bei Auf- 
wandsteuern, erschwert wird. Um eine öftere Ab- 
änderung der Steuergesetze zu vermeiden, muß das 
Steuersystem eines Landes auch so gestaltet sein, 
daß sein Ertrag sich den mit der Zunahme der 
Bevölkerung wachsenden finanziellen Bedürfnissen 
des Staates anpaßt; man spricht dann von einer 
beweglichen und entwicklungsfähigen 
Steuergesetzgebung. Die Erhebung der Steuern 
soll ohne Schwierigkeit und ohne große Verwal- 
Besteuerung. 
  
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tungskosten erfolgen. Eine gesunde Steuerpolitik 
wird auch die Zahlungstermine nach der größten 
Zahlungsfähigkeit und die Zahlstellen mit Rück- 
sicht auf die Bequemlichkeit der Steuerzahler be- 
stimmen. 
2. Geschichtlicher Rückblick. Für den nun 
folgenden kurzen Überblick über die Geschichte des 
Steuerwesens sei vorweg bemerlt, daß für die 
Geschichte der einzelnen Steuerarten noch in den 
diese behandelnden Artikeln Ausführungen ent- 
halten sind. Dies gilt ganz besonders für die 
neuere Zeit. Im Altertum haben Athen und 
Rom, wie in allen staatlichen Einrichtungen, so 
auch in der Durchführung des Besteuerungsrechts 
die weiteste Ausbildung aufzuweisen. Gemeinsam 
ist dem Altertum die Anschauung, daß für den 
Bürger die persönlichen Steuern dem Gefühl der 
Freiheit widersprechen. In Hellas galt die un- 
mittelbare Besteuerung des Bodens, der Gewerbs- 
tätigkeit oder gar des Leibes — Notfälle aus- 
genommen — für tyrannisch. Es wurde als ein 
Teil der Freiheit angesehen, daß das Eigentum 
des Bürgers, sein Geschäft und Körper nicht zins- 
pflichtig sei, außer durch Selbstbesteuerung. Kopf- 
steuer galt als schimpflich. Ganz ähnlich wird 
auch mit Bezug auf Rom gesagt: „Es ist in den 
Republiken des Altertums ein anerkannter Grund- 
satz, daß die Personensteuer die schlechteste und für 
einen freien Mann unwürdigste Art der Besteue- 
rung sei“ (Marquardt). Wie alle solche Grund- 
sätze, so finden wir auch diesen nicht ganz rein 
durchgeführt; aber das Bestreben, demselben gerecht 
zu werden, ist ersichtlich. Die ganz außerordent- 
liche, nicht im Verhältnis zu dem Maß der innern 
Kräfte stehende Vermehrung der Staatsbedürfnisse 
in Athen zwang dazu, dem Finanzwesen besondere 
Aufmerksamkeit zuzuwenden. Man fand die Mittel 
in den Erträgnissen aus Domänen (darunter die 
Bergwerke), aus indirekten Steuern und Zöllen, 
direkten Steuern für Fremde, Sklavengefällen, 
Gerichts= und Strafgeldern, Tributen der Bundes- 
genossen und außerdem in den Liturgien, welche 
unfixierte Naturalleistungen der reicheren Steuer- 
pflichtigen waren. Am bekanntesten ist die hierher 
gehörige Trierarchie, d. h. die mit dem Amt des 
Trierarchen verbundene Verpflichtung zur Aus- 
rüstung von Kriegsschiffen. Die in Athen vor- 
handene Schatzung und die darauf beruhende 
Einteilung in Klassen hatte ihre hauptsächliche 
Bedeutung für die Bestimmung der Kriegspflich- 
tigkeit, der Liturgien und für die Abmessung der 
Regierungsrechte. Für Kriegszeiten, hauptsächlich 
seit den peloponnesischen Kriegen, wurde die 
Schatzung auch zur Erhebung einer wirklichen 
Vermögenssteuer benutzt. Ursprünglich (Solon) 
wurde wahrscheinlich nur das Grundvermögen, 
später das gesamte bewegliche und unbewegliche 
Vermögen ermittelt. Der Schatzungsanschlag bil- 
dete aber nur einen Teil desselben, und zwar den 
größten Prozentsatz bei der höchsten Klasse und 
nach unten sich vermindernd. Im Bedarfsfall
	        
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