Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

837 
Unbewegliches Eigentum ist niemals ein Gegen- 
stand der Beute. 
Während so die Gesetzgebung der militärischen 
Forderung nach einheitlicher Beherrschung aller 
Kriegshandlungen Rechnung trug und dem Grund- 
satz In bello parta cedunt reipublicae, Gel- 
tung verschaffte, ließen sich die Heerführer ihrer- 
seits bereit finden, die den gottesdienstlichen und 
humanitären Zwecken gewidmeten Sachen von 
der Erbeutung auszuschließen und für befriedet 
zu erklären. Ausnahmen und Ausschreitungen 
kamen allerdings, besonders in den Napoleonischen 
Kriegen, vor; allein das Verhalten der mili- 
tärischen Individuen regel= und gesetzmäßiger ge- 
staltet zu haben, als dies ehedem der Fall war, 
ist ein unleugbarer Erfolg der Gegenwart. Was 
nunmehr als allgemeine Kriegsregel gelten soll, 
ist in den Worten der Proklamation König Wil- 
belms I. von Preußen vom 12. Aug. 1870, er- 
lassen zu Beginn des deutsch= französischen 
Kriegs, klar ausgesprochen: „Ich führe Krieg mit 
den französischen Soldaten und nicht mit den 
französischen Bürgern. Diese werden deshalb 
fortfahren, die Sicherheit für ihre Person und 
ihre Güter zu genießen, solange sie nicht selbst 
durch feindliche Unternehmungen gegen die deut- 
schen Truppen Mir das Recht nehmen, ihnen 
Meinen Schutz zu gewähren."“ 
Als eine Ausnahme von dem Grundsatz, 
daß die Beute Eigentum des kriegführenden 
Staates wird, stellt sich die Plünderung dar. 
Sie ist ein Repressalienmittel der empfindlichsten 
Art, eine Kriegsstrafe, welche unterschiedslos 
Schuldige und Unschuldige trifft, eine die Hab- 
sucht, Zwietracht und Unbotmäßigkeit unter den 
eigenen Kampftruppen leicht erweckende Maß- 
regel, die nur unter außergewöhnlichen Umständen 
und strengster Uberwachung rätlich erscheint. Eine 
zweite Ausnahme bilden die Requisitionen 
und Kontributionen, sowie das Foura- 
gieren im Feindesland. Das betreffende Ver- 
fahren ist unmittelbar gegen das Privateigentum 
der Insassen im Feindesland gerichtet, soll aber 
an die Vorschriften des Verpflegungsdienstes und 
an die Kontrolle der Heeresleitung gebunden sein. 
Die Regquisition ist im Feindesland die außer- 
ordentliche Beschaffungsweise, sofern die An- 
schaffung der Verpflegungs= und Serviceartikel 
durch Kauf nicht sofort zum Ziel führt, was 
immer schwieriger wird, je länger der Krieg dauert 
und je hartnäckiger er sich gestaltet. Grundsätz- 
lich ist ein administrativer Vorgang, verbunden 
mit strenger Uberwachung der Truppen, zu beob- 
achten und eine geregelte Kriegsleistung durch die 
politischen Amter und Gemeindeverbände unter 
Mitwirkung der Zivilkommissäre (Zivil-Landes- 
kommissäre) einzuleiten. Nur wenn diese Maß- 
regel fruchtlos bleibt, sind zur Eintreibung der 
Requisitionen und Geldkontributionen sowie zur 
Wegnahme von Futtervorräten Truppen zu ent- 
senden, und es muß bei Weigerung oder Säum- 
Beuterecht. 
  
838 
nis jede Rücksicht weichen, wenn es sich darum 
handelt, die Truppen zu verpflegen und schlag- 
fertig zu erhalten. 
Dankenswert haben auch die Vereinbarungen 
anläßlich des den Krimkrieg beendenden Pariser 
Vertrags vom 30. März 1856, ferner die inter- 
nationale Konferenz in Brüssel 1874, deren Be- 
ratungen über die Kodifikation eines internatio- 
nalen Kriegsrechts als Ergebnis vielseitiger Ab- 
wägung von nicht zu unterschätzendem Wert 
sind, die Wegnahme von feindlicher Habe an 
bessere Regeln gebunden. Gut behandelt diese 
Materie auch das vom Institut für internationales 
Recht publizierte Handbüchlein der Rechtsvor- 
schriften im Landkrieg 2. Tl, Abschn. 2: 
„Beutegegenstand sollen nunmehr nur noch die 
Gebrauchs= und Verbrauchsobjekte sein, welche der 
feindlichen Armee im Kampf abgenommen oder 
von derselben zurückgelassen werden. Dieselben 
sind einzusammeln, abzuliefern und zunächst für 
die Bedürfnisse der Armee zu verwenden. Ver- 
pflegsartikel sind an die Truppen oder Feldver- 
pflegsanstalten abzugeben, andere Gegenstände 
zur Verfügung der Armeeleitung zu stellen. Sämt- 
liche Beuteobjekte unterliegen der ordnungsmäßi- 
gen Verrechnung. Die Ablieferung derselben ist 
dem Übergeber auf Verlangen zu bescheinigen, wo- 
gegen dieser das aufgenommene Inventar mitzu- 
fertigen hat.“" 
Der Wegnahme im besetzten Feindesland unter- 
liegen außerdem die staatlichen Kassen, Magazine 
und Depots, überhaupt das für Kriegszwecke ver- 
wendbare Staatseigentum; unter dieser letzteren 
Voraussetzung auch die Betriebsmittel der Eisen- 
bahnen, Schiffahrts= und anderer Transportunter- 
nehmungen, der Telegraphie, Telephonie, Elektrizi- 
tätswerke usw., auch wenn sie Eigentum von Ge- 
sellschaften oder Einzelpersonen sind. Das übrige 
Eigentum von Privatpersonen ist zwar nicht gegen 
Zerstörung infolge der Kriegsaktion gesichert, wohl 
aber gegen gewaltsame, willkürliche Wegnahme 
ohne Entschädigung oder Anerkennung einer Ver- 
pflichtung hierzu. — Auch diejenige Habe, welche 
bei den auf dem Schlachtfeld gefallenen oder durch 
Krankheiten hinweggerafften feindlichen Solda- 
ten gefunden wird, ist nicht als Beute zu behan- 
deln, sondern gleich dem Privatgut der Verstor- 
benen des eigenen Heeres abzuliefern, damit es 
den Angehörigen derselben ausgefolgt werde. Den 
Kriegsgefangenen soll ihr privates Eigentum ver- 
bleiben, soweit hiervon kein Mißbrauch zu besorgen 
ist (s. d. Art. Krieg). — Dagegen sollen vor Weg- 
nahme sowie tunlichst vor Zerstörung verschont 
bleiben die zum Gottesdienst, zu Zwecken 
der Barmherzigkeit, der Erziehung, des Unter- 
richts, der Wohltätigkeit bestimmten Utensilien, die 
Kunstwerke und wissenschaftlichen Sammlungen. 
Auch soll jede Zerstörung oder Beschädigung von 
derartigen Anstalten, geschichtlichen Denkmälern, 
Archiven, Schöpfungen der Kunst oder Wissen- 
schaft so weit und so lange unstatthaft sein, als 
27 *
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.