839
dies nicht die Kriegsnotwendigkeit gebieterisch er-
fordert. Diese Regeln der guten Kriegssitte sind
besonders darum nicht ohne Wert, weil aus ihnen
hervorgeht, daß bei Wegnahme von feindlichen
Sachen nicht mehr wie früher Rache und Gewinn-
sucht, sondern nur militärisch-politische Erwägun-
gen maßgebend sein sollen.
Dieser Fortschritt in der Bindung des Kriegs-
verfahrens an Rechtsregeln ist auch in den Dienst-
reglements der Wehrmächte, den Militärstraf-
gesetzen, Verpflegsvorschriften bei der Armee im
Felde u. dgl. zum Ausdruck gebracht. Des eigen-
mächtigen Beutemachens macht sich jeder Soldat
schuldig, der sich im Felde, um Beute zu machen,
unbefugt von den Truppen entfernt, oder der recht-
mäßig erbeutetes Gut gegen seine Verpflichtung
nicht abliefert. Der Plünderung ist schuldig, wer
bei der Armee im Felde unter Mißbrauch seiner
militärischen Uberlegenheit in der Absicht rechts-
widriger Zueignung Privatgut gewaltsam oder
mittels Einschüchterung wegnimmt, oder wer
unbefugt Requisitionen und Geldkontributionen
eintreibt oder das vorgeschriebene Maß derselben
un seines Vorteils willen überschreitet. Des mili-
tärischen Raubes macht sich schuldig, wer im Felde
in der Absicht rechtswidriger Zueignung einen
Gefallenen ausplündert oder einem Verwundeten
oder Kranken oder einem seinem Schutz anver-
trauten Kriegsgefangenen eine Sache wegnimmt
oder abnötigt; endlich des Marodierens, wer sich
im Felde eigenmächtig von seinem Truppenkörper
entfernt und als Nachzügler gegen Landeseinwoh-
ner Bedrückungen ausübt. Im zweiten Abkommen
der ersten Haager Konferenz (29. Juli 1899), be-
treffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs,
sind die Satzungen über die militärische Gewalt
im besetzten feindlichen Gebiet (Abschn. III, Art.
42/56 präzis formuliert und haben in der Akte
der zweiten Konferenz (1907) in einigen Punkten,
so bezüglich des Verbots, Ersatzansprüche des
feindlichen Staats als erloschen oder suspendiert
zu erklären, und durch die Bestimmung, daß jeder
Staat für die aus der Nichtbeachtung der Kriegs-
rechtsregeln erstehenden Schäden haftbar sei, eine
Ergänzung und Erweiterung erfahren. Minder
erfolgreich waren die Bemühungen, auch im See-
krieg das Privateigentum zu respektieren und
vor Wegnahme zu sichern. Zwar haben die meisten
Seemächte auf die Ausrüstung von Kaperschiffen
verzichtet; doch sind der Pariser Erklärung vom
16. April 1856 im Punkt der Abschaffung der
Kaperei Spanien, die Vereinigten Staaten von
Amerika, Mexiko, China und einzelne mittel= und
südamerikanische Staaten nicht beigetreten. Die
Neglung des Privateigentums zur See bildet
überhaupt noch einen der strittigen Punkte des
internationalen Seekriegsrechts. Im Seekrieg
werden viel strengere und härtere Grundsätze zur
Anwendung gebracht als im Landkrieg, und zwar
offenbar wegen der Eifersucht der seemächtigeren
Staaten und Kolonialreiche, welche dadurch ihr
Bevölkerung.
840
Übergewicht am besten zu sichern und zu bewahren
glaubten, daß sie kein Mittel aus der Hand geben,
geeignet, im Fall der Feindseligkeiten mit andern
Marinestaaten deren Produktion, Schiffahrt und
Exporthandel zu schädigen. Indessen ist es für die
Handelswelt sehr wichtig, daß das Privateigentum
zur See zufolge der grundsätzlichen Ubereinstim-
mung der Haager Konferenzmächte in Kriegszeiten
künftighin denn doch besser geschützt sein soll als
bisher. Unverletzlich wird es freilich vorläufig auch
weiterhin nicht sein. Doch soll den Handelsschiffen
des Feindes mehr Spielraum beim Kriegsbeginn
vergönnt, ihre Mannschaft nicht als kriegs-
gefangen behandelt, sondern freigelassen werden.
Für verschiedene Fälle wurde festgesetzt, daß Schiffe
und Waren nicht weggenommen, sondern nur zeit-
weilig beschlagnahmt werden dürfen, und daß nach
dem Friedensschluß Schiff und Ware wieder her-
ausgegeben werden oder ihr Wert ersetzt wird.
Postsendungen sind unter allen Umständen zu re-
spektieren. Uber die Gültigkeit der Wegnahme
eines Handelsschiffs oder seiner Ladung entscheidet
nicht mehr das Prisengericht des wegnehmenden
Staats, sondern ein internationaler Gerichtshof,
und zwar, soweit allgemein anerkannte Völker-
rechtsregeln nicht vorhanden sind, nach den allge-
meinen Grundsätzen von Recht und Billigkeit.
Nicht unerwähnt soll bleiben, daß bedeutsame
Stimmen aus den Kreisen der Friedensfreunde
zu bedenken geben, ob nicht, wofern der Industrie
und dem Handel völlige Sicherheit vor Schädi-
gungen im Krieg verbürgt sein würde, für die
kommerzielle Welt jeder Anlaß entfiele, an der
Aufrechthaltung und Sicherung des Friedenszu-
standes interessiert zu sein, da die Furcht vor Nach-
teilen ein starkes Motiv gegen den Krieg bildet
und die Hoffnung, sich zu bereichern, ein nahe-
liegendes, wenn auch verschleiertes Motiv für den-
selben erzeugen könne.
Literatur, u. zwar ältere: Alb. Gentili,
De iure belli (Leiden 1589); Hugo Grotius, De
iur belli et pacis (Par. 1625 u. ö.; deutsch, 2 Bde,
1869/70); Justinus Gentilis, De eo quod in bello
licet (2 Tle, Leiden 1731); Corn. van Bynkers-
hoe-, Quaestiones iuris publici I (Leyden 1737);
E. Vattel, G. F. Martens u. J. L. Klüber. Neuere
Lit.: Mably, Wheaton, Heffter, Calvo, Bluntschli,
Holtzendorff, Gareis, Ullmann. Abhandlungen:
Bluntschli, Das B. im Krieg u. das See-B. (1880;
daselbst auch eine Besprechung der einschlägigen Lit.)
Lentner, Das Recht im Krieg (1878); Kriegsgeschichtl.
Einzelschriften: Kriegsbrauch im Landkrieg, Hft 31
(1902); Röpcke, Das See-B. (1905); ferner die
kriegsrechtlichen Ergebnisse der Haager Konferenzen.
(Lentner.]
Bevölkerung. I. Bevölkerungsstatiflik.
1. Allgemeines. Das Wachstum oder die
Abnahme der die verschiedenen Länder der Erde
bewohnenden Völker, die Betrachtung der diese
Erscheinungen zum Ausdruck bringenden Zahlen-
gruppen und das Bestreben, Mittel ausfindig zu
machen, um auf die Gestaltung dieser Verhältnisse