Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

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dies nicht die Kriegsnotwendigkeit gebieterisch er- 
fordert. Diese Regeln der guten Kriegssitte sind 
besonders darum nicht ohne Wert, weil aus ihnen 
hervorgeht, daß bei Wegnahme von feindlichen 
Sachen nicht mehr wie früher Rache und Gewinn- 
sucht, sondern nur militärisch-politische Erwägun- 
gen maßgebend sein sollen. 
Dieser Fortschritt in der Bindung des Kriegs- 
verfahrens an Rechtsregeln ist auch in den Dienst- 
reglements der Wehrmächte, den Militärstraf- 
gesetzen, Verpflegsvorschriften bei der Armee im 
Felde u. dgl. zum Ausdruck gebracht. Des eigen- 
mächtigen Beutemachens macht sich jeder Soldat 
schuldig, der sich im Felde, um Beute zu machen, 
unbefugt von den Truppen entfernt, oder der recht- 
mäßig erbeutetes Gut gegen seine Verpflichtung 
nicht abliefert. Der Plünderung ist schuldig, wer 
bei der Armee im Felde unter Mißbrauch seiner 
militärischen Uberlegenheit in der Absicht rechts- 
widriger Zueignung Privatgut gewaltsam oder 
mittels Einschüchterung wegnimmt, oder wer 
unbefugt Requisitionen und Geldkontributionen 
eintreibt oder das vorgeschriebene Maß derselben 
un seines Vorteils willen überschreitet. Des mili- 
tärischen Raubes macht sich schuldig, wer im Felde 
in der Absicht rechtswidriger Zueignung einen 
Gefallenen ausplündert oder einem Verwundeten 
oder Kranken oder einem seinem Schutz anver- 
trauten Kriegsgefangenen eine Sache wegnimmt 
oder abnötigt; endlich des Marodierens, wer sich 
im Felde eigenmächtig von seinem Truppenkörper 
entfernt und als Nachzügler gegen Landeseinwoh- 
ner Bedrückungen ausübt. Im zweiten Abkommen 
der ersten Haager Konferenz (29. Juli 1899), be- 
treffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs, 
sind die Satzungen über die militärische Gewalt 
im besetzten feindlichen Gebiet (Abschn. III, Art. 
42/56 präzis formuliert und haben in der Akte 
der zweiten Konferenz (1907) in einigen Punkten, 
so bezüglich des Verbots, Ersatzansprüche des 
feindlichen Staats als erloschen oder suspendiert 
zu erklären, und durch die Bestimmung, daß jeder 
Staat für die aus der Nichtbeachtung der Kriegs- 
rechtsregeln erstehenden Schäden haftbar sei, eine 
Ergänzung und Erweiterung erfahren. Minder 
erfolgreich waren die Bemühungen, auch im See- 
krieg das Privateigentum zu respektieren und 
vor Wegnahme zu sichern. Zwar haben die meisten 
Seemächte auf die Ausrüstung von Kaperschiffen 
verzichtet; doch sind der Pariser Erklärung vom 
16. April 1856 im Punkt der Abschaffung der 
Kaperei Spanien, die Vereinigten Staaten von 
Amerika, Mexiko, China und einzelne mittel= und 
südamerikanische Staaten nicht beigetreten. Die 
Neglung des Privateigentums zur See bildet 
überhaupt noch einen der strittigen Punkte des 
internationalen Seekriegsrechts. Im Seekrieg 
werden viel strengere und härtere Grundsätze zur 
Anwendung gebracht als im Landkrieg, und zwar 
offenbar wegen der Eifersucht der seemächtigeren 
Staaten und Kolonialreiche, welche dadurch ihr 
Bevölkerung. 
  
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Übergewicht am besten zu sichern und zu bewahren 
glaubten, daß sie kein Mittel aus der Hand geben, 
geeignet, im Fall der Feindseligkeiten mit andern 
Marinestaaten deren Produktion, Schiffahrt und 
Exporthandel zu schädigen. Indessen ist es für die 
Handelswelt sehr wichtig, daß das Privateigentum 
zur See zufolge der grundsätzlichen Ubereinstim- 
mung der Haager Konferenzmächte in Kriegszeiten 
künftighin denn doch besser geschützt sein soll als 
bisher. Unverletzlich wird es freilich vorläufig auch 
weiterhin nicht sein. Doch soll den Handelsschiffen 
des Feindes mehr Spielraum beim Kriegsbeginn 
vergönnt, ihre Mannschaft nicht als kriegs- 
gefangen behandelt, sondern freigelassen werden. 
Für verschiedene Fälle wurde festgesetzt, daß Schiffe 
und Waren nicht weggenommen, sondern nur zeit- 
weilig beschlagnahmt werden dürfen, und daß nach 
dem Friedensschluß Schiff und Ware wieder her- 
ausgegeben werden oder ihr Wert ersetzt wird. 
Postsendungen sind unter allen Umständen zu re- 
spektieren. Uber die Gültigkeit der Wegnahme 
eines Handelsschiffs oder seiner Ladung entscheidet 
nicht mehr das Prisengericht des wegnehmenden 
Staats, sondern ein internationaler Gerichtshof, 
und zwar, soweit allgemein anerkannte Völker- 
rechtsregeln nicht vorhanden sind, nach den allge- 
meinen Grundsätzen von Recht und Billigkeit. 
Nicht unerwähnt soll bleiben, daß bedeutsame 
Stimmen aus den Kreisen der Friedensfreunde 
zu bedenken geben, ob nicht, wofern der Industrie 
und dem Handel völlige Sicherheit vor Schädi- 
gungen im Krieg verbürgt sein würde, für die 
kommerzielle Welt jeder Anlaß entfiele, an der 
Aufrechthaltung und Sicherung des Friedenszu- 
standes interessiert zu sein, da die Furcht vor Nach- 
teilen ein starkes Motiv gegen den Krieg bildet 
und die Hoffnung, sich zu bereichern, ein nahe- 
liegendes, wenn auch verschleiertes Motiv für den- 
selben erzeugen könne. 
Literatur, u. zwar ältere: Alb. Gentili, 
De iure belli (Leiden 1589); Hugo Grotius, De 
iur belli et pacis (Par. 1625 u. ö.; deutsch, 2 Bde, 
1869/70); Justinus Gentilis, De eo quod in bello 
licet (2 Tle, Leiden 1731); Corn. van Bynkers- 
hoe-, Quaestiones iuris publici I (Leyden 1737); 
E. Vattel, G. F. Martens u. J. L. Klüber. Neuere 
Lit.: Mably, Wheaton, Heffter, Calvo, Bluntschli, 
Holtzendorff, Gareis, Ullmann. Abhandlungen: 
Bluntschli, Das B. im Krieg u. das See-B. (1880; 
daselbst auch eine Besprechung der einschlägigen Lit.) 
Lentner, Das Recht im Krieg (1878); Kriegsgeschichtl. 
Einzelschriften: Kriegsbrauch im Landkrieg, Hft 31 
(1902); Röpcke, Das See-B. (1905); ferner die 
kriegsrechtlichen Ergebnisse der Haager Konferenzen. 
(Lentner.] 
Bevölkerung. I. Bevölkerungsstatiflik. 
1. Allgemeines. Das Wachstum oder die 
Abnahme der die verschiedenen Länder der Erde 
bewohnenden Völker, die Betrachtung der diese 
Erscheinungen zum Ausdruck bringenden Zahlen- 
gruppen und das Bestreben, Mittel ausfindig zu 
machen, um auf die Gestaltung dieser Verhältnisse
	        
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