Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

67 
Schrift der weltlichen Macht vorbehält (XVI 13): 
so drückt jeder dieser Sätze das direkte Widerspiel 
gegen die christlich-germanische Auffassung aus. 
Den heidnisch-römischen Staatsgedanken, wie er 
von Machiavelli erneuert worden war, hat Hobbes 
zu einer umfassenden Theorie entwickelt. Be- 
merkenswert ist dabei, daß er zwar die erbliche 
Monarchie für die zweckmäßigste Staatsform er- 
klärt, daß aber seine Aufstellungen ebenso von jeder 
andern, auch der republikanischen, gelten sollen. 
In den Augen der zuvor erwähnten Schriftsteller 
umgab den unumschränkten Herrscher der Abglanz 
einer höheren, göttlichen Würde, und nicht zum 
kleinsten Teil hieraus leiteten sie ihre Folgerungen 
ab. Bei Hobbes dient das religiöse Element nur 
dazu, der Macht der Staatsgewalt, die aus den 
blinden Trieben der Furcht und der Selbsterhal- 
tung abgeleitet wird, eine abermalige Verstärkung 
zufließen zu lassen. 
Man weiß, wie wenig die geschichtlichen Ereig- 
nisse in England den hochgespannten Ansprüchen 
der Stuarts und ihrer Parteigänger entsprochen 
haben. Das Ende der langen Kämpfe, welche 
die Mitte und den größeren Teil der zweiten 
Hälfte des 17. Jahrh. füllen, war die endgültige 
Beseitigung des absoluten Regiments auf dem 
Inselreich. Als Wilhelm von Oranien im Jahr 
1688 die Krone aus der Hand des Parlaments 
empfing, bedeutete dies anerkanntermaßen den 
Sieg der entgegengesetzten Prinzipien, welche die 
Regierung des Königs an die Zustimmung des 
Volkes gebunden und den Gesetzen des Landes 
unterworfen wissen wollten. Anders entwickelten 
sich die Dinge in Frankreich; dort triumphierte 
das Königtum nach langen Kämpfen über den 
Widerstand der Stände, dort wußte eine zentrali- 
sierte Staatsverwaltung nach und nach alle leben- 
digen Kräfte in dem einen Mittelpunkt zusammen- 
zufassen, dort fand der fürstliche Absolutismus 
zugleich den Mann, der ihn in seiner Person zur 
vollendeten Darstellung brachte, den das Bewußt- 
sein der königlichen Macht wie eine religiöse Über- 
zeugung, wie eine Inspiration erfüllte, den Er- 
finder des Wortes: L'état c'est moi! 
Da Ludwig XIV. auf der Höhe seines Ruhmes 
stand, schrieb Bossuet als Lehrbuch für den Dau- 
bhin seine „Politik nach den Worten der Heiligen 
Schrift“ (Politique tirée des propres paroles 
de IEcriture Sainte; erst später unter Hinzu- 
fügung eines nachträglich verfaßten, ebenso wie 
der erste sechs Bücher umfassenden zweiten Teils 
herausgegeben). Der große Bischof von Meaux 
stand dem Hof zu nahe, als daß der Glanz des- 
selben nicht auch ihn geblendet und ihm den Blick 
für die tieferen Bedürfnisse eines politischen Ge- 
meinwesens getrübt hätte. Aber wenn auch für 
ihn das unumschränkte Königtum den eigentlichen 
Kern und Mittelpunkt seiner politischen Gedanken 
ausmacht, so ist doch zwischen diesen und der 
Hobbesschen Theorie ein beachtenswerter Unter- 
schied. Was in seinen Augen die Monarchie über 
Absolutismus. 
68 
alle Staatsformen erhöht, ist ihre enge Beziehung 
zu Gott. Gott hat die Könige eingesetzt, ihre 
Person ist geweiht, ein Abglanz des Göttlichen 
ruht darauf, und die Verehrung der Untertanen 
gegen sie hat einen religiösen Charakter. Die 
Autorität des Königs ist eine absolute; er hat von 
seinen Anordnungen keinem Menschen Rechenschaft 
zu geben, und gegen seinen Richterspruch gibt es 
keine Berufung. Man muß ihm gehorchen wie 
der Gerechtigkeit selbst, sonst rüttelt man an der 
Ordnung des Gemeinwesens. Nur Gott allein ist 
der Richter der Könige, auf Erden gibt es keinen 
Spruch, der sie zurechtweisen, keine Zwangsgewalt, 
die sie beugen könnte, das ist der Sinn des jus 
regium in der Rede Samuels. Daß sie über den 
Gesetzen stünden, folgt jedoch daraus nicht; sie 
sind denselben unterworfen, weil es ihre Pflicht 
ist, gerecht zu sein und den Untertanen das Bei- 
spiel der Gerechtigkeit zu geben, unterworfen frei- 
lich nur als leitenden Prinzipien, nicht als zwin- 
genden Normen. Es ist die moralische Pflicht der 
Könige, ihre Macht im Interesse des allgemeinen 
Wohls zu gebrauchen; gerade weil sie auf dem 
Thron des Herrn sitzen, ist es Vermessenheit, wenn 
sie die ihnen übertragene Gewalt gegen Gottes 
Gesetz gebrauchen. Die Furcht Gottes ist das beste 
Gegengewicht gegen die Überhebung, zu welcher 
ihre Stellung sie verführen könnte; der Fürst wird 
Gott um so mehr fürchten, weil er ihn allein zu 
fürchten hat. Dafür ist ihm das Volk zu völligem 
Gehorsam verpflichtet, eine Ausnahme hiervon 
gibt es nur da, wo das Gebot des Fürsten dem 
Gesetz Gottes widerstreitet; aber „der Staat ist in 
Gefahr, der öffentliche Friede verliert alle Sicher- 
heit, wenn es dem Volk erlaubt sein soll, sich aus 
irgend welcher Ursache gegen den Fürsten zu er- 
heben". Gewalttat und erklärte Gottlosigkeit 
können von der Pflicht des Gehorsams nicht ent- 
binden, dem Volk bleibt als Gegenmittel nur die 
ehrfürchtige Vorstellung (des remonstrances. 
respectueuses sans mutinerie et sans mur- 
mure) und das Gebet. Auch das ist verfehlt, 
wenn man glaubt, dem Staat in anderer als in 
der von dem Fürsten vorgeschriebenen Weise dienen 
zu können. Das heißt sich einen Teil der könig- 
lichen Autorität beilegen und damit den öffent- 
lichen Frieden stören. Von seiner erhabenen Stelle 
aus sieht der König weiter als der einzelne Unter- 
tan, in ihm ist der Sitz der staatsleitenden Ver- 
nunft. Die Majestät, welche dem Fürsten eignet, 
ist ein Abbild der Größe Gottes. Ein Fürst ist 
kein Privatmann, er ist eine öffentliche Persönlich- 
keit, er umfaßt in sich den Staat (tout I'Stat est. 
en lui). Der Wille des ganzen Volkes ist in dem 
seinen, die Macht aller übrigen in der seinigen 
eingeschlossen. Kein Zweifel, Bossuet ist Absolutist 
in der hergebrachten Bedeutung dieses Namens. 
Ihm ist der König der Staat, und er will darum 
von keiner andern Macht im Staate wissen, durch 
welche die des Königs eingeschränkt werden könnte. 
  
Aber er ist weit entfernt, das Staatsoberhaupt
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.