Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

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scheint. So kann auch das Geständnis des An- 
geklagten bezüglich einer ihm nachteiligen Tatsache 
nur dann zu seiner Verurteilung führen, wenn 
der Richter dasselbe für glaubwürdig hält, wäh- 
rend es im gegenteiligen Fall gegen den Willen 
des Gestehenden unberücksichtigt bleibt. — Was 
den Zeugenbeweis betrifft, so ist vor allem zu be- 
tonen, daß die Beurteilung der Glaubwürdigkeit 
einer Zeugenaussage lediglich dem richterlichen Er- 
messen anheimgestellt ist, so daß der Richter der 
eidlichen Aussage eines Zeugen nicht Glauben 
schenken muß und anderseits sein Urteil auf die 
Aussage eines unbeeideten Zeugen stützen kann, 
ja eines Zeugen sogar, dessen Beeidigung wegen 
Vermutung des Mangels an Objektivität gesetzlich 
verboten ist: eine nicht unbedenkliche Folge des 
Grundsatzes der freien Beweiswürdigung. Im 
Gegensatz zu den Zeugen, welche über eigene 
Wahrnehmungen der Vergangenheit Aufschluß 
geben, sind die Sachverständigen berufen, durch 
ihre Sachkunde vorliegendes Material für den 
Richter benutzbar zu machen, ohne daß aber ihr 
Gutachten den Richter gegen seine Überzeugung 
binden könnte. — Richterlicher Augenschein und 
Urkunden sind hier in ähnlicher Weise Beweis- 
mittel wie im Zivilprozeß, nur mit den Unter- 
schieden, welche sich aus dem Grundsatz der ma- 
teriellen Wahrheit für den Strafprozeß ergeben. 
Aus dem letzteren folgt auch, daß der Eid kein 
Beweismittel im Strafverfahren ist, daß hingegen 
der Indizienbeweis oder mittelbarer Beweis von 
großer Bedeutung, namentlich für den subjektiven 
Tatbestand, sein muß. — Selbstverständlich ist, 
daß Verurteilung des Angeklagten nur erfolgen 
kann, wenn der Beweis seiner Schuld vollständig 
geführt ist; jeder irgend erhebliche Zweifel kommt 
dem Angeklagten zustatten (in dubio pro reo), 
hat seine Freisprechung zur Folge. 
Beweisverfahren. Da im Strafprozeß 
die Parteien nicht willkürlich über den Gegen- 
stand des Verfahrens zu verfügen haben, ihnen 
die Bestimmung der Tatsachen nicht anheim- 
gegeben ist, welche dem Urteil zugrunde gelegt 
werden sollen, sie auch nicht zu verfügen haben 
über die Mittel, welche zur Feststellung des Sach- 
verhalts angewendet werden sollen, so ist die 
Herstellung des Beweises der Schuld oder Nicht- 
schuld eigentlich Sache des Gerichts, wenn auch 
die Berechtigung der Parteien, im Beweisver- 
fahren selbständig mitzuwirken, anerkannt ist. 
Auch im Strafprozeß sollen wie im Zivilprozeß 
die Beweise dem erkennenden Richter unmittelbar 
vorgeführt werden. Diese Regel erleidet aber 
dadurch bedeutende Ausnahmen, daß die Beweise 
für eine strafbare Tat oft nicht in beliebigem 
Zeitpunkt erhoben werden können, daß vielmehr 
bei Zuwarten bis zur mündlichen Verhandlung 
ihr Verlust oder eine wesentliche Veränderung zu 
befürchten ist. Uberdies kommt hier noch in Be- 
tracht, daß der staatliche Anspruch auf Bestrafung 
gegen niemand geltend gemacht werden soll, gegen 
  
Bibliotheken. 
  
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den nicht genügende Verdachtsgründe vorliegen, 
daß er ein Verbrechen begangen, und daß die 
Natur des Strafverfahrens es mit sich bringt, 
daß auch niemand vor den erkennenden Richter 
gestellt werden soll, wenn nicht genügende Gründe 
dafür vorliegen, es werde das Hauptverfahren 
auch wirklich ein Schuldig ergeben. Aus diesen 
Gesichtspunkten ergibt sich eine Reihe von Hand- 
lungen zur Aufklärung des Sachverhalts, die 
nicht vor dem urteilenden Richter vor sich gehen, 
sondern von der Anklagebehörde, der Staats- 
anwaltschaft oder dem Untersuchungsrichter, vor- 
genommen werden; sie haben nicht den Zweck, 
für ein Urteil die tatsächliche Grundlage zu schaffen, 
sondern nur die Aufgabe, eine genügende Grund- 
lage für die Verhandlung der Sache zu gewähren; 
sie bilden also auch nicht das Beweisverfahren 
im eigentlichen Sinn, das vor dem erkennenden 
Richter sich abspielen muß, wohl aber behandeln 
sie denselben Gegenstand wie die Hauptverhand- 
lung, sind daher auch von Einfluß auf die Be- 
weiserhebung in dieser. — Da die Beweisauf- 
nahme in der Hauptverhandlung den wichtigsten 
Bestandteil im ganzen Verfahren bildet, so ist klar, 
daß bei ihr die Gestaltung des Prozesses, nament- 
lich die gegenseitige Stellung der Partei und des 
Gerichts, von ausschlaggebender Bedeutung ist, so 
daß es angezeigt erscheint, diese Lehre mit der Lehre 
von den Personen des Strafprozesses (s. d. Art.) 
zu verknüpfen. 
Literatur. Heffter, Lehrbuch des gemeinen 
deutschen Strafrechts (61857); Kries, Der B. im 
Strafrecht des Mittelalters (1878); L. v. Bar, 
Systematik des deutschen Strafprozeßrechts (1878); 
Holtzendorff, Handbuch des deutschen Strafprozeß- 
rechts (1879,80); Dochow, Der Reichsstrafprozeß 
((1890); Geyer, Lehrbuch des gemeinen deutschen 
Strafprozeßrechts (1880); Meves, Das Strafver- 
fahren nach der deutschen Strafprozeßordnung 
(5/1880); Löwe, Die Strafprozeßordnung für das 
Deutsche Reich (121907); John, desgl. (1884/89); 
Glaser, Handbuch des Strafprozesses I (1883), III 
(1907, von Oetker); Birkmeyer, Deutsches Straf- 
prozeßrecht (1898); Binding, Grundriß ufw. 
(/1907); Holtzendorff, Rechtslexikon (:1880) 366 f 
(Geyer); ders., Enzyklopädie (6(1904, von Kohler). 
III. Beweis im Berwallungsstreitversahren 
s. d. Art. Verwaltungsgerichte. [Menzinger.] 
Bibliotheken. Büchersammlungen sind hier 
nur zu behandeln, soweit sie öffentliche Einrich- 
tungen zu Bildungszwecken sind. Von den Unter- 
richtsanstalten im engern Sinn unterscheidet sie 
außer der Art und Weise der Wissensvermittlung 
noch ein bedeutsamer Nebenzweck: den öffentlichen 
Bibliotheken fällt, wie den Museen für die Kunst, 
auch die Aufgabe zu, den Bildungsstoff der ge- 
samten Vergangenheit und Gegenwart in der Voll- 
ständigkeit und Treue an die Zukunft zu über- 
liefern, welche der mündlichen Tradition versagtist. 
1. Einteilung. Die öffentlichen Biblio- 
theken, zu denen wir auch die von Privatpersonen 
gegründeten, aber der Allgemeinheit zugänglichen
	        
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