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Unterrichtsrat nieder, um ganz seinen Pflichten
als Deputierter leben zu können. In seiner
15jährigen parlamentarischen Laufbahn galt Bo-
nald stets bei Freund und Feind als einer der
unabhängigsten, unbescholtensten politischen Cha-
raktere. Seine Reden trugen gleich den vielen
kleineren Schriften über die Tagesfragen (s. u.)
das Gepräge der Unbeugsamkeit seiner Anschau-
ungen und ihrer entschlossensten Verteidigung; er
improvisierte selten, und was er sprach, bot sich
eher als eine politische Dissertation denn als eine
Gelegenheitsrede dar. Oratorischer Effekt ist stets
gemieden; bei einer immer gleich edlen, getragenen
und ausschließlich dem Gedanken und seiner Ent-
wicklung dienenden Sprache finden sich gleichwohl
manche Züge einer oft beißenden Kritik und Sa-
tire, welche in solchem Munde nie ihre Wirkung
verfehlen. Der Liebedienerei gegen die Hofkoterie
haben auch seine erklärten Gegner ihn nie ge-
ziehen. Ihn in ursächlichen Zusammenhang mit
den Fehlern der Restauration bringen, heißt seinen
lautern Charakter und seine ganze Stellung zu
ihr verkennen.
An der Spitze der Majorität der von Lud-
wig XVIII. ironisch begrüßten Chambre
introuvable unterstützte er zwar die Regie-
rung in manchen die wirkliche Lage des revolu-
tionierten Landes verkennenden Beschlüssen; allein
er trat in Opposition zu ihr, so oft es seine Über-
zeugung gebot. Als Berichterstatter des Gesetzes
über die Reduktion der Gerichtshöfe, die ein-
jährige Suspension aller neuen Richterernen-
nungen und die dreijährige Einsetzung der sog.
cours prévotales (7. Dez. 1815) verteidigte
er die Unabsetzbarkeit der Richter als dem Geiste
der Erbmonarchie entsprechend, weil sie allein den
Magistraten die nötige Kraft und Unabhängig-
keit zum Einspruchsrecht gegen solche Regierungs-
maßnahmen gäbe, welche der Verfassung des
Reichs widersprächen. Den Antrag auf Wider-
ruf des Gesetzes über die Ehescheidung, welchen
Bonald (14. Dez.) ins geheime Komitee brachte,
verteidigte er am 26. Dez. mit solchem Erfolge,
daß die Kammer die Drucklegung seiner Rede
votierte; als derselbe am 5. Mai des folgenden
Jahrs Gesetzeskraft erlangte, feierte Bonald den
schönsten Triumph seines Lebens, den Sieg 15jäh-
rigen Kämpfens; daß er damit gleichwohl die
„zweite Revolution“ nicht aufhielt, blieb zeit-
lebens sein Schmerz. Wie bitter wäre er erst
enttäuscht worden, wenn er erlebt hätte, daß die
Epigonen dieser „zweiten Revolution“ (Juni
1884) mit diesem Gesetz ein christlich-soziales
Prinzip aus der Gesetzgebung gänzlich entfernten!
Für den Antrag auf Herausgabe des Teils der
Güter des Klerus, der noch nicht verkauft war
(14. Febr. 1816), trat er auf das lebhafteste ein;
desgleichen für das neue Wahlgesetz (27. April),
um die Unabhängigkeit der Wahlen zu sichern.
In der Budgetdiskussion wandte er sich wieder-
holt in scharfer Opposition gegen das Ministerium
Bonald.
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(19. März), die finanzielle Wiederherstellung des
Landes als die Grundlage jeder gesunden Re-
gierung erklärend. Er bestand vor allem auf der
finanziellen Selbständigkeit der Kommunen: er
erklärte im Lauf der Diskussion als sein politisches
Glaubensbekenntnis: die absolute Gewalt sei sei-
nem Sinn nach die beste. Im März 1816 hatte
der König nach Reorganisation des Instituts
Bonald zum Mitglied der Akademie ernannt.
Nach Auflösung der Chambre introuvable
(5. Sept. 1816) wurde Bonald trotz der lebhaf-
testen Opposition des Ministeriums für Rhodez
wiedergewählt. Zweimal (Nov. 1816, Eröffnung
der Kammer, und Jan. 1817, als der Präsi-
dent Pasquier Minister wurde) kam er in die
engere Präsidentenwahl. In gesteigerter politischer
Tätigkeit bewährte sich inmitten der nun in schär-
fere Parteiung sich sondernden Royalisten (ab-
solute und doktrinäre) und Independenten (Repu-
blikaner und Liberale) die Unabhängigkeit seines
Charakters so sehr, daß er trotz der sehr gesunkenen
Mitgliederzahl der äußersten Rechten nochmals
Präsidentschaftskandidat wurde (Dez. 1817). Am
30. Sept. 1816 stimmte er für Verwerfung des
neuen, regierungsseitig eingebrachten hohen Wahl-
zensus als gegen den Geist der Charte gehend,
welche eine wirkliche, keine Scheinrepräsentation
durch Beiseiteschiebung der kleinen Steuerzahler
verlange; am 28. Jan. 1817 verlangte er die
Zensur bei periodischen Druckschriften, denen er
größere Bedeutung als den Journalen beilegte;
am 19. Febr. die Reform des Katasters, dieses
Instruments der „Landkonskription". Am 4. März
trat er gegen die Veräußerung der Staatsdo-
mänen auf, besonders um der Waldverwüstung
vorzubeugen.
Nach Schluß der Session veröffentlichte Bonald
die Pensées sur divers sujets et discours
politiques (2 Bde, Paris 1817, Leclerc). Unter
den 15 Reden findet sich die geistvolle Verteidi-
gung eines Gesetzentwurfs, dem Klerus die Füh-
rung der Zivilstandsregister wiederzugeben, weil
allein die Religion den Zivilakten des Familien-
lebens jene Offentlichkeit zu geben vermöge, welche
wohltuend auf den Geist des gesellschaftlichen Le-
bens einwirke und dessen höchste Interessen ga-
rantiere. In den „Gedanken“ zeigt sich Bonalds
unübertroffene Meisterschaft, durch Schärfe und
Einfachheit des Ausdrucks und geistvolle Wen-
dungen neue Ideen zu wecken. Hatte er früher in
Beschäftigung mit sozialen Studien jene bewun-
derten Definitionen vom Menschen „als einer
von Organen bedienten Intelligenz“, und von
der Literatur „als dem Ausdruck der Gesellschaft“
ausgestellt, so traten jetzt die politischen Gedanken
in den Vordergrund. Dachte Bonald an sich selbst,
als er jetzt schrieb: „In politischen Krisen ist es
nicht das schwierigste für den Ehrenmann, seine
Pflicht zu tun, sondern sie zu kennen. Es
gibt Männer, die durch ihre Überzeugungen der
Vergangenheit, durch ihr Denken der Zukunft