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Regierungsweise für die politische und religiöse
Gesellschaft, muß absolut sein, sagt Bonald mit
steter Berufung auf Bossuet; ja Bonald war der
Überzeugung, es könne nur eine naturgemäße
Regierungsform geben, deren oberstes konstitutives
Prinzip die Unterscheidung der drei Personen
sei, die analog der metaphysischen Trilogie von
Ursache, Mittel, Wirkung, in jeder Gesellschaft,
wenn auch unter verschiedenen Namen, unter sich
in gleichen Beziehungen, dieselben Funktionen in
sich vereinigten, aus deren Harmonie die allein
richtigen Sozialgesetze sich ergäben. Die drei Per-
sonen seien in der Familie: Vater, Mutter, Kind;
in der bürgerlichen Gesellschaft: König, Minister,
Untertan; in der Kirche: Gott, Mittler, Mensch
dgl
u. dgl.
Auf diese Weise läßt sich Bonald in seiner streng
systematisierenden Denkart zu dem Irrtum seiner
Methode verleiten, das mataphysische oder geo-
metrische Vorgehen auf die Gesellschaftslehre zu
übertragen. Wie die Mathematiker über numerische
Werte, die Metaphysiker über ihre Ideen, ver-
fügt er über jene freien persönlichen Gesellschafts-
kräfte, die man Menschen nennt, ohne Rücksicht
auf Zeit, Ort, Umstände, die eine unendliche
Verschiedenheit unter ihnen begründen, Verschie-
denheit des Nationalcharakters, der Sprache, der
Lebensart, der Tradition, der Kulturstufen, nach
denen sich die Gesetze ihrer Beziehungen unter-
einander, d. i. die Sozialgesetze gestalten. Für
das politische Problem ist die Bonaldsche So-
zialtheorie daher trotz der Hoheit ihrer Ziele nicht
annehmbar, nicht in der Absolutheit ihrer Me-
thode, nicht in ihren Folgerungen, weil sie von
der konkreten Wirklichkeit der politischen Lage zu
sehr absieht. Anders liegt die Sache auf dem
philosophischen Gebiet, wo es sich um Ideen
und Prinzipien handelt, die einen absoluten und
notwendigen Charakter haben. Daß Bonald auch
hier immer das Richtige getroffen, die wissen-
schaftliche Beweiskraft seiner glänzenden Anti-
thesen und Analogien immer genau abgewogen
habe, sei nicht behauptet, aber voll und ganz
bleibt bestehen, daß er der erste gewesen, der die
unübersteigbare Schranke der christlichen Idee
gegenüber der revolutionär-atheistischen seiner Zeit
gegen Destutt de Tracy, Volney, Cabanis u. a.
mit Erfolg verteidigt hat.
Bonald war neben J. de Meistre der erste,
welcher der seit einem Jahrhundert in Frankreich
herrschenden sen sualistischen Gesellschafts-
lehre ihr Alleinrecht im Namen des Christen-
tums bestritt. Man vergißt diesen Dienst, wenn
man Royer-Collard und V. Cousin die Wieder-
erhebung des Spiritualismus zuweist; letztere war
auf metaphysischem Gebiet längst begonnen, als
ersterer sie in seiner Erkenntnistheorie fortsetzte
und an die Sorbonne verpflanzte; der Eklektizis-
mus Cousins war nur eine neue Abirrung. Bonald
war der erste, welcher gegen die Rousseausche
Phantasie von der Wildheit als dem Natur-
Bonald.
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zustand den Sozialzustand als der Natur und der
Bestimmung des Menschen entsprechend hinstellte,
der den niedrigen Anschauungen Jurieus und
Rousseaus über den Ursprung der Gewalt gegen-
über deren göttliche Grundlage feststellte, der das
Sophisma des Sozialkontrakts aufdeckte, den re-
publikanischen Radikalismus mit der Einheit der
Gewalt, die Souveränität des Volkes mit der
Souveränität Gottes, die Erklärung der Men-
schenrechte mit der Erklärung der Menschenpflich-
ten bekämpfte, der mit der Riesenanstrengung
seines Geistes den radikalsten und unheilvollsten
Irrtum des Jahrhunderts, die Leugnung der
göttlichen Grundlage der Gesellschaft, durch
die Zurückführung aller Ordnung, aller Gewalt
auf den persönlichen Gott und auf dessen un-
wandelbaren Willen als die Quelle und Norm
alles physischen und moralischen Lebens kühn und
nachhaltig bestritt zu einer Zeit, wo alle Leiden-
schaften einer atheistischen Demokratie ihm hem-
mend und drohend im Weg standen. Wer will
sagen, wie weit die Anregungen gingen, welche er
durch seine Forschungen über die häusliche Ge-
sellschaft, ihre Verfassung, die Unterordnung ihrer
Mitglieder als das Vorbild für die Wiederher-
stellung der öffentlichen Gesellschaft gegeben, wie-
viel er zur Rettung derselben durch Betonung der
Einheit aller Sozialgewalt gegen den alles zer-
störenden Individualismus beigetragen, wieviel
ihm die monarchischen Institutionen durch die von
ihm oft betonte Unterscheidung zwischen absoluter
und arbiträrer Gewalt verdanken, kurz, wieviel
sein trotz aller Unvollkommenheit großes Genie in
dem das Jahrhundert ausfüllenden Kampf gegen
die Revolution allein vollbrachte! Es wäre nie
zu entschuldigende Undankbarkeit, wollten die,
welche ihm auf dem so glorreich gebahnten Weg
der Erneuerung der christlichen Gesellschaftsord-
nung gefolgt sind, dieses Vorarbeiters der ersten
Stunde vergessen. Wenn wir heute in einer andern
Zeit, gestützt auf die fast hundertjährige Erfahrung
aus allen den Wechselfällen des großen Kampfes,
den Bonald begangen gegen einen Feind, den die
früheren Jahrhunderte so groß, so stark, so ver-
chlagen nie gekannt, auf gebahnteren Wegen,
zu erleuchteteren Zielen, dank den unermüdeten
Anstrengungen des kirchlichen Lehramts und der
Wiederaufnahme der großen Traditionen der
kirchlichen Theologie und Philosophie fortschreiten,
so kürzt das Bonalds Bedeutung als eines der
kühnen Pfadfinder dieser Restauration nicht. Es
bleibt wahr, was J. de Maistre (10. Juli 1818)
an Bonald schrieb: „Ich weiß Ihnen unendlich
Dank, daß Sie den edlen Angriff auf die falschen
Götter des Jahrhunderts begonnen haben! Es
tut not, daß sie fallen! Wir müssen durchaus
zum Spiritualismus zurück und nicht alles dem
„Sekretionsorgan der Gedanken [Condillac über-
lassen“. Und mit vollem Recht konnte ein Menschen-
alter später Bonalds Nachfolger in der Akademie,
Ancillon, aufs neue erklären: „Die Philosophie
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