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des 18. Jahrh. hatte die Verherrlichung des
Menschen ausschließlich in den Fähigkeiten der
Natur gesucht; Bonald findet sie nur im Christen-
tum und durch das Christentum. Das letzte Wort
der Philosophie des 18. Jahrh. war: Genuß;
das letzte Bonalds: Opfer. Das 18. Jahrh. und
Bonald sind zwei ruhelose Krieger, die sich folgen,
messen, in den entscheidendsten Fragen bekämpfen.
Aber hat das Jahrhundert vielleicht den Mann zu
Boden gebracht oder der Mann das Jahrhundert?
Man blicke doch um sich und sehe, was von dem
Kampf zwischen diesen so furchtbaren Helden
bleibt ? Im 18. Jahrh. kannte man kein anderes
Ziel, als dem Sensualismus die absolute Herr-
schaft über den Spiritualismus zu sichern, heute
stehen gegen die Lehren, die Bonald zuerst
bekämpfte, die berufensten Lehrer der Philo-
sophie."
Die gesammelten Werke Bonalds sind 1817/19
in 12 Bdu bei Adrien Leclerc (Paris) herausgegeben
worden, denen der Verleger später noch 8 weitere
Bände beigefügt hat. Sämtliche oben erwähnte
Schriften, auch die erst 1843 neu aufgelegte Théorie
du pouvoir politique et religieuzx, finden sich in der
Brüsseler Ausgabe in 8 Bdn (bei Ch. J. de Mat
1845), der außer den wertvollen Einleitungen,
Noten u. Erläuterungen auch die Notice biogra-
phique von Henri de Bonald, dem ältesten Sohn,
wie die wichtigsten Aktenstücke u. zahlreiche Aus-
züge aus Briefen, Kritiken usw. beigedruckt sind
(VIII 478 ff). Außerdem haben noch Abbe Jean
Bertin, der Graf Marcellus u. Jules Simon (in
der Revue des deux Mondes) Biographien ver-
faßt. In der Brüsseler Ausgabe sind neben einer
trefflichen Auswahl aus den kleineren Schriften,
Reden, Aufsätzen, Berichten Bonalds (Iihre vollstän-
dige Aufzählung in der Littérature contemporsine
von M. Querard) noch folgende nicht erwähnte Ar-
beiten abgedruckt: 1) Du Traité de Westfalie et
de celui de Campo Formio et de leurs rapports
avec le systèeme politiquc des puissances eu-
ropéennes et particulièrement de la France (Par.
1801); 2) Encore un mot sur la liberté de la
Presse (ebd. 1814); 3) Quelques réflexions sur
le budget (ebd. 1823); 4) De la chrétienté et du
christianisme (aus dem Mémorial catholique)
(ebd. 1825); 5) De la famille agricole, de la fa-
mille industrielle et du droit d'ainesse (ebd.
1826); 6) Sur la liberté de la presse (ebd. 1826
u. a. Über das System B.8, besonders die philoso-
phisch-theologische Grundlage, vgl. Stöckl, Gesch.
der neueren Philosophie II (1883) 539 ff; Haffner
in Wetzer u. Weltes Kirchenlexikon 1. Aufl., XII
125 f; ders., Grundlinien der Gesch., der Philosophie
(1883); ders., 2. Aufl. des Kirchenlexikons II
1010 ff; dort ist die weitere deutsche Lit. sowie die
summarische übersicht der traditionalistischen Lehr-
entwicklung im Anschluß an B. beigefügt. Die Ar-
tikel in Rottecks Staatslexikon II (1846) u.
Bluntschli-Braters Staatswörterbuch II (1857)
sind absprechend u. trotz der dürftigen Behandlung
ungenau u. unzuverlässig in der Darstellung. Zu
den einschlägigen Artikeln der Biographie univer-
selle, besonders IV 659 ff, find noch zu erwähnen:
Alfr. Nettement, Histoire de la littérature fran-
çaise sous la Restauration 1 (Par. 1874);
Börse.
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Rohrbacher, Histoire universelle de Eglise ca-
tholique XIII (ebd. 1780) 580 ff; Darras-Perre,
Histoire de P’Eglise XL (ebd. 1886) 470; Cor-
respondant (LXXVIII 721 ff); Guizot, Médita-
tions sur T’état actuel de la religion chrétienne
(ebd. 1857) 9 ff u. bes. Longhaye, Dix-neuvième
sieche II (ebd. 1900) 225/272. Weinand.])
Börse. Die Einrichtung der Börse kann einer
doppelten Betrachtungsweise unterstellt werden:
man kann sie als tatsächlich bestehende Organi-
sation hinnehmen und ihre Bedeutung und Tätig-
keit für das Verkehrs= und Wirtschaftsleben dartun,
man kann aber auch, von dieser volkswirtschaft-
lichen Seite abstrahierend, die Organisation der
Börse als solche im ganzen wie nach den einzelnen
Börsenvorgängen untersuchen, um die verbindlichen
Normen kennen zu lernen, welche das Ganze wie
die einzelnen Vorgänge beherrschen. Die erstere
Darstellungsweise will die Börse als einen in voller
Tätigkeit befindlichen Betrieb, als lebendig wirk-
samen Organismus erfassen; diese Seite der Börse
wird gewöhnlich als Börsenwesen bezeichnet. Die
letztere Betrachtungsweise will die Börse als mo-
mentan stillstehendes Werk in seinem kunstvollen
Bau und seiner innersten Struktur zeigen. Dies
geschieht durch Darstellung des Börsenrechts. Die
Börse ist überdies auch nach verschiedenen Rich-
tungen Gegenstand der Besteuerung.
Börsenwesen, Börsenrecht und Börsensteuer
sollen im folgenden in aller Kürze geschildert
werden. Wenn das Börsenwesen und das Börsen-
recht in der Darstellung nicht immer ganz streng
auseinandergehalten werden, so geschieht es nur,
um Wiederholungen zu vermeiden.
I. Wesen und Arten. Es gibt zurzeit noch
keine allgemein anerkannte Begriffsbestimmung
dessen, was man gewöhnlich mit Börse bezeichnet.
So viel ist jedoch als sicher sestzuhalten, daß, wenn
man die historische Entwicklung und die wirtschaft-
liche Aufgabe der Börse berücksichtigt, der volks-
wirtschaftliche Begriff des Markts der höhere
allgemeine Begriff ist, unter den die Börse gebracht
werden muß.
Angebot und Nachfrage bzw. die dieselben be-
stimmenden Gründe gelten gemeiniglich als die
)für die Preisbildung maßgebenden Faktoren. Der
Austausch der Güter, die Preisbildung vollziehen
sich auf dem Markt. Der Markt setzt die Zusam-
menkunft zahlreicher Menschen an einem bestimm-
ten Ort sowie die örtliche Konzentration eines
entsprechenden Quantums von Gütern voraus,
die geeignet sind, bereits bestehende oder demnächst
eintretende Bedürfnisse zu befriedigen. Für die
Wahl des Orts der Zusammenkunft (Markts)
und für die Bedeutung derselben ist die allgemeine
Verkehrsentwicklung von der höchsten Wichtigkeit.
Markt bedeutet sowohl den Ort, speziell den Platz
der Zusammenkunft wie die Zusammenkunft selbst.
Diese Merkmale sind bis zu einem gewissen Grad
auch bei der Börse gegeben. Eine Verschiedenheit
tritt zunächst hervor, wenn wir die Güter be-