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trachten, welche auf dem Markt und der Börse
zum Austausch gelangen.
Auf dem Markt sind es die Güter in ihrer
individuellen Besonderheit, nach denen das Publi-
kum verlangt. Die Vielgestaltigkeit der Güter nach
Art, Oualität und Quantität ist für den Markt
charakteristisch. Diese Vielgestaltigkeit erfordert die
Gegenwart des Kaufobjekts und macht eine Prü-
fung desselben nach den verschiedensten Richtungen
notwendig. Solang der Markt ein lokaler war
und damit nur die Aufgabe hatte, die Bedürfnisse
innerhalb eines kleinen Wirtschaftsgebiets zu be-
friedigen, konnte es bei dieser Art des Güteraus-
tauschs sein Bewenden haben. Die Zunahme der
Verkehrsentwicklung, die Vereinheitlichung grö-
ßerer Wirtschaftsgebiete, die internationale Ar-
beitsteilung machten ein reelles Angebot der Waren
an einem bestimmten Ort, das Verbringen der-
selben auf einen bestimmten Markt auf die Gefahr
hin, doch nicht verkaufen zu können, nach und nach
schwieriger, wenn nicht unmöglich. Den veränder-
ten Verhältnissen Rechnung tragend, schritt man
zu einer Fungibilisierung der Waren, um deren
reale Präsenz auf dem Markt entbehrlich erscheinen
zu lassen. Statt des gesamten zum Verkauf be-
stimmten Quantums einer Ware wurde eine dieses
Quantum vertretende Probe, ein Muster zu
Markt gebracht. Der Verkäufer übernahm die
rechtliche Haftung dafür, daß das gesamte Quan-
tum die Eigenschaften des Musters besitze. Von
der Probe führte die weitere Entwicklung zur
Bildung des Typus. Die Probe war immer
noch etwas Konkretes, insofern sie gewissermaßen
den reduzierten Bestand des Ganzen, dem sie ent-
nommen war, darstellte. Der Typus steht in
keinerlei Zusammenhang mehr mit einem be-
stimmten Vorrat. So erscheint der Typus, die
Marke (standard) als eine abstrakte Zusammen-
fassung einer Summe von Eigenschaften einer
Ware, welche den Interessenten eine genaue Vor-
stellung von dem ermöglicht, welche konkrete Er-
scheinungsform einer Ware gemeint ist. Auf diese
Weise kommt man zum Begriff der Warenbörse.
Nur solche Gegenstände, bei welchen die Ausbil-
dung von Typen möglich ist, sind für den Börsen-
verkehr geeignet. Die regelmäßigsten Gegenstände
des Börsenverkehrs sind die Wertpapiere; bei
diesen ist von vornherein und in höherem Maß
die Vertretbarkeit gegeben, so daß eine längere
Entwicklung, wie bei der Warenbörse, nicht not-
wendig war.
Ein Mittelding zwischen Börse und Markt und
dem letzteren näherstehend ist die Messe. Sie
trägt die Merkmale des Markts hinsichtlich der
Ware vollkommen an sich, unterscheidet sich aber
durch die besondere Art des Geschäftsverkehrs,
insbesondere die Art der Bezahlung, wesentlich
vom Markt. Die Entwicklung „Markt“, „Messe"“,
„Börse“ kann damit gekennzeichnet werden, daß
man sagt, auf dem Markt sei Ware und Geld,
auf der Messe nur Ware, auf der Börse weder
Börse.
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Ware noch Geld vorhanden. Besuch und Bedeu-
tung der Messen gehen aber von Jahr zu Jahr
zurück; ihr Aussterben ist nur noch eine Frage
der Zeit.
Die Vertretbarkeit der Waren ist das wichtigste
Merkmal der Börse im Gegensatz zum Markt.
Andere charakteristische Merkmale sind die häufige
regelmäßige Wiederholung der Zusammenkunft,
die besondern Usancen, nach denen sich der Ge-
schäftsverkehr abwickelt, die Preisfeststellung, die
besondere Art der die Börse besuchenden Per-
sonen usw. In letzterer Beziehung ist hervorzu-
heben, daß auf dem Markt die Produzenten und
Konsumenten unmittelbar zusammentreten, wäh-
rend die Börse vor allem den Vermittler zwischen
Produktion und Konsumtion, den gndesestn,
vertreten sieht und so das eigentliche collegium
mercatorum darstellt. Wie der Begriff Markt,
wird auch der Begriff Börse in verschiedenem
Sinn gebraucht. Bald wird die sachliche, bald die
persönliche Seite des Begriffs stärker hervorgehoben.
Börse bedeutet soviel wie Börsengebäude, Börsen-
platz, aber auch soviel wie Gesamtheit der die Börse
besuchenden Personen, deren Zusammenkunft. Die
Börse wird vielfach geradezu personifiziert, und
man hört häufig von einer Empfindlichkeit und
sonstigen nur einer Person zukommenden Eigen-
schaften der Börse sprechen.
Nach der Verschiedenheit der im Börsenverkehr
gehandelten Waren werden gewöhnlich zwei
Hauptarten von Börsen, nämlich Fonds= oder
Effektenbörsen (Stock Exchange) einer-
seits und Produkten= oder Warenbörsen
(Produce Exchange) anderseits unterschieden.
Sofern vornehmlich Geldsorten und Wechsel den
Gegenstand des Verkehrs bilden, werden noch die
Geldbörsen als besondere Art genannt; sie
bilden aber in der Regel nur eine Abteilung der
Effektenbörsen.
II. Geschichte. Die Entwicklungsgeschichte der
einzelnen Börsen ist noch nicht genügend festgestellt.
Im allgemeinen sind wir jedoch in neuester Zeit
durch ein Werk Richard Ehrenbergs (Das Zeit-
alter der Fugger, insbes. Bd 1 69 ff u. Bd II)
über die Börsen des Mittelalters gut aufgeklärt.
Die Entstehung der Börsen gehört einer verhält-
nismäßig späten Zeit an. Der Verkehr war lange
ein lokaler, die Fungibilisierung der Waren als
notwendige Voraussetzung eines Börsenverkehrs
ging nur allmählich von statten; Mißtrauen und
Argwohn beherrschten den Verkehr, eine dem Ab-
schluß des Geschäfts vorausgehende Prüfung der
Waren konnte nicht entbehrt werden. Waren traten
daher erst spät in den Börsenverkehr. Die Börsen
entstanden zunächst als Einrichtungen für die Ver-
mittlung des Geldsorten-, Wechsel-= und Kapital-
verkehrs. Im 16. Jahrh. brachten die Zunahme
des Verkehrs, die Mehrung des beweglichen Ka-
pitals, die Hebung des Handels die Börsen zu
einer umfassenderen Bedeutung. Zuerst erlangten
die Börsen von Lyon und Antwerpen das Ansehen