Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

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trachten, welche auf dem Markt und der Börse 
zum Austausch gelangen. 
Auf dem Markt sind es die Güter in ihrer 
individuellen Besonderheit, nach denen das Publi- 
kum verlangt. Die Vielgestaltigkeit der Güter nach 
Art, Oualität und Quantität ist für den Markt 
charakteristisch. Diese Vielgestaltigkeit erfordert die 
Gegenwart des Kaufobjekts und macht eine Prü- 
fung desselben nach den verschiedensten Richtungen 
notwendig. Solang der Markt ein lokaler war 
und damit nur die Aufgabe hatte, die Bedürfnisse 
innerhalb eines kleinen Wirtschaftsgebiets zu be- 
friedigen, konnte es bei dieser Art des Güteraus- 
tauschs sein Bewenden haben. Die Zunahme der 
Verkehrsentwicklung, die Vereinheitlichung grö- 
ßerer Wirtschaftsgebiete, die internationale Ar- 
beitsteilung machten ein reelles Angebot der Waren 
an einem bestimmten Ort, das Verbringen der- 
selben auf einen bestimmten Markt auf die Gefahr 
hin, doch nicht verkaufen zu können, nach und nach 
schwieriger, wenn nicht unmöglich. Den veränder- 
ten Verhältnissen Rechnung tragend, schritt man 
zu einer Fungibilisierung der Waren, um deren 
reale Präsenz auf dem Markt entbehrlich erscheinen 
zu lassen. Statt des gesamten zum Verkauf be- 
stimmten Quantums einer Ware wurde eine dieses 
Quantum vertretende Probe, ein Muster zu 
Markt gebracht. Der Verkäufer übernahm die 
rechtliche Haftung dafür, daß das gesamte Quan- 
tum die Eigenschaften des Musters besitze. Von 
der Probe führte die weitere Entwicklung zur 
Bildung des Typus. Die Probe war immer 
noch etwas Konkretes, insofern sie gewissermaßen 
den reduzierten Bestand des Ganzen, dem sie ent- 
nommen war, darstellte. Der Typus steht in 
keinerlei Zusammenhang mehr mit einem be- 
stimmten Vorrat. So erscheint der Typus, die 
Marke (standard) als eine abstrakte Zusammen- 
fassung einer Summe von Eigenschaften einer 
Ware, welche den Interessenten eine genaue Vor- 
stellung von dem ermöglicht, welche konkrete Er- 
scheinungsform einer Ware gemeint ist. Auf diese 
Weise kommt man zum Begriff der Warenbörse. 
Nur solche Gegenstände, bei welchen die Ausbil- 
dung von Typen möglich ist, sind für den Börsen- 
verkehr geeignet. Die regelmäßigsten Gegenstände 
des Börsenverkehrs sind die Wertpapiere; bei 
diesen ist von vornherein und in höherem Maß 
die Vertretbarkeit gegeben, so daß eine längere 
Entwicklung, wie bei der Warenbörse, nicht not- 
wendig war. 
Ein Mittelding zwischen Börse und Markt und 
dem letzteren näherstehend ist die Messe. Sie 
trägt die Merkmale des Markts hinsichtlich der 
Ware vollkommen an sich, unterscheidet sich aber 
durch die besondere Art des Geschäftsverkehrs, 
insbesondere die Art der Bezahlung, wesentlich 
vom Markt. Die Entwicklung „Markt“, „Messe"“, 
„Börse“ kann damit gekennzeichnet werden, daß 
man sagt, auf dem Markt sei Ware und Geld, 
auf der Messe nur Ware, auf der Börse weder 
Börse. 
  
  
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Ware noch Geld vorhanden. Besuch und Bedeu- 
tung der Messen gehen aber von Jahr zu Jahr 
zurück; ihr Aussterben ist nur noch eine Frage 
der Zeit. 
Die Vertretbarkeit der Waren ist das wichtigste 
Merkmal der Börse im Gegensatz zum Markt. 
Andere charakteristische Merkmale sind die häufige 
regelmäßige Wiederholung der Zusammenkunft, 
die besondern Usancen, nach denen sich der Ge- 
schäftsverkehr abwickelt, die Preisfeststellung, die 
besondere Art der die Börse besuchenden Per- 
sonen usw. In letzterer Beziehung ist hervorzu- 
heben, daß auf dem Markt die Produzenten und 
Konsumenten unmittelbar zusammentreten, wäh- 
rend die Börse vor allem den Vermittler zwischen 
Produktion und Konsumtion, den gndesestn, 
vertreten sieht und so das eigentliche collegium 
mercatorum darstellt. Wie der Begriff Markt, 
wird auch der Begriff Börse in verschiedenem 
Sinn gebraucht. Bald wird die sachliche, bald die 
persönliche Seite des Begriffs stärker hervorgehoben. 
Börse bedeutet soviel wie Börsengebäude, Börsen- 
platz, aber auch soviel wie Gesamtheit der die Börse 
besuchenden Personen, deren Zusammenkunft. Die 
Börse wird vielfach geradezu personifiziert, und 
man hört häufig von einer Empfindlichkeit und 
sonstigen nur einer Person zukommenden Eigen- 
schaften der Börse sprechen. 
Nach der Verschiedenheit der im Börsenverkehr 
gehandelten Waren werden gewöhnlich zwei 
Hauptarten von Börsen, nämlich Fonds= oder 
Effektenbörsen (Stock Exchange) einer- 
seits und Produkten= oder Warenbörsen 
(Produce Exchange) anderseits unterschieden. 
Sofern vornehmlich Geldsorten und Wechsel den 
Gegenstand des Verkehrs bilden, werden noch die 
Geldbörsen als besondere Art genannt; sie 
bilden aber in der Regel nur eine Abteilung der 
Effektenbörsen. 
II. Geschichte. Die Entwicklungsgeschichte der 
einzelnen Börsen ist noch nicht genügend festgestellt. 
Im allgemeinen sind wir jedoch in neuester Zeit 
durch ein Werk Richard Ehrenbergs (Das Zeit- 
alter der Fugger, insbes. Bd 1 69 ff u. Bd II) 
über die Börsen des Mittelalters gut aufgeklärt. 
Die Entstehung der Börsen gehört einer verhält- 
nismäßig späten Zeit an. Der Verkehr war lange 
ein lokaler, die Fungibilisierung der Waren als 
notwendige Voraussetzung eines Börsenverkehrs 
ging nur allmählich von statten; Mißtrauen und 
Argwohn beherrschten den Verkehr, eine dem Ab- 
schluß des Geschäfts vorausgehende Prüfung der 
Waren konnte nicht entbehrt werden. Waren traten 
daher erst spät in den Börsenverkehr. Die Börsen 
entstanden zunächst als Einrichtungen für die Ver- 
mittlung des Geldsorten-, Wechsel-= und Kapital- 
verkehrs. Im 16. Jahrh. brachten die Zunahme 
des Verkehrs, die Mehrung des beweglichen Ka- 
pitals, die Hebung des Handels die Börsen zu 
einer umfassenderen Bedeutung. Zuerst erlangten 
die Börsen von Lyon und Antwerpen das Ansehen
	        
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