Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

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schäftsbedingungen abgeschlossen sein mußten; 
Voraussetzung war schließlich noch, daß für die 
von der betreffenden Börse geschlossenen Geschäfte 
solcher Art eine amtliche Feststellung von Termin= 
preisen erfolgte. Gerade diese Charakterisierung 
des Börsentermingeschäfts hatte aber nun den 
Börsenkreisen ein Hintertürchen für die Durch- 
bringung ihrer Wünsche gelassen. Aus der Fassung 
jenes Paragraphen zog man nämlich den Schluß, 
trotz fehlender Eintragung ins Börsenregister zivil- 
rechtlich wirksame Geschäfte in der Form der 
„Großkassageschäfte“ oder des „Kontohandels“ 
abschließen zu können, wenn bei ihnen nur die 
gesetzlichen Merkmale des Börsentermingeschäfts 
nicht zutrafen. Allerdings gelangte das Reichs- 
gericht nicht zu unbedingter Anerkennung der- 
artiger Geschäfte. Nach dem alten Börsengesetz 
war der Börsenterminhandel in Anteilen von 
Bergwerks= und Fabrikunternehmungen 
ohne Einschränkung untersagt. Jetzt aber kann 
der Bundesrat in den Aktien solcher, bestimmt zu 
bezeichnenden Unternehmungen Börsenterminge- 
schäfte zulassen, und er hat dies denn auch bereits 
bezüglich aller derjenigen Aktien getan, welche 
früher in dem erwähnten „Großkassageschäft“ oder 
„Kontohandel“ umgesetzt wurden. Dies war nicht 
anders zu erwarten. Ist doch nach dem Gesetz der 
sog. Börsenausschuß eigens dazu da, um als Or- 
gan der Sachverständigen die durch das Börsen- 
gesetz der Beschlußfassung des Bundesrats unter- 
stellten Angelegenheiten zu begutachten. Jene Ge- 
nehmigung ist denn auch durch Bekanntmachung 
des Bundesrats vom 29. Mai 1908 erfolgt; in- 
zwischen wurden sogar die Aktien weiterer Fabrik- 
unternehmungen zum Terminhandel zugelassen. 
Unter den also jetzt wieder regelrecht auf Ultimo 
gehandelten Montanaktien usw. befinden sich auch 
diejenigen Papiere, welche vor dem Inkrafttreten 
des alten Börsengesetzes in der gleichen Weise ge- 
handelt wurden. In dieser Beziehung ist also 
ebenfalls den Wünschen der Börse allseitig ent- 
sprochen worden. Zu erwähnen bleibt noch die 
neue Bestimmung, daß Anteile einer inländischen 
Erwerbsgesellschaft nur mit deren Zustimmung 
zum Börsenterminhandel zugelassen werden dürfen, 
und daß die Gesellschaft diese Zustimmung später 
auch wieder zurückziehen kann. Man hat damit 
Rücksicht auf den Einwand nehmen wollen, daß 
der Terminhandel in den Aktien eines Unterneh- 
mens Einfluß auf dasselbe ausüben und seine 
ruhige Entwicklung beeinträchtigen kann. Den- 
noch ist das vom Gesetzgeber geforderte Einver- 
ständnis der Gesellschaft kaum mehr als Form- 
sache. Alle die zugunsten der vom Börsen- 
geschäft Lebenden eingeführten Neuerungen sind, 
wie schon gesagt, auf die politische Konstellation 
zurückzuführen, unter welcher die Novelle an- 
genommen wurde. Wenn dabei immer wieder 
darauf hingewiesen wird, daß der frühere Zustand 
unerträglich gewesen sei, weil die Rechtsprechung 
nach dem alten Gesetz den Zeitgeschäften in 
Börse. 
  
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Effekten, wie sie täglich abgeschlossen wurden, den 
Rechtsboden entzogen habe, so ist dies nur be- 
dingungsweise richtig. Hätte man sich nicht gegen 
die Eintragung ins Börsenregister unter Ausgabe 
einer diesbezüglichen Parole einmütig gesträubt, 
so würde alles anders gekommen sein. Was man 
aber jetzt mit der Novelle geschaffen hat, muß und 
wird auf die Dauer bedenkliche Folgen in wirt- 
schaftlicher Beziehung zeitigen. Die bedeutend 
vermehrte Möglichkeit, Börsentermingeschäfte, na- 
mentlich in Wertpapieren, einzugehen, wird dazu 
führen, daß in manchen Zeiten ganz gewaltige 
Abnahme= bzw. Lieferungsverbindlichkeiten be- 
stehen. Infolgedessen dürften aber auch die 
Schwankungen in Haltung und Preisen an den 
deutschen Börsen wieder viel plötzlicher und schärfer 
werden, als sie es im allgemeinen unter der Herr- 
schaft des alten Gesetzes gewesen sind. Die wirt- 
schaftlichen Folgen dieses „Glücks“ werden sich 
natürlich erst im Lauf der Jahre zeigen. 
Wir schließen hieran einen Gesamtüberblick 
über die wesentlichsten Bestimmungen des Börsen- 
gesetzes, wie es seit dem 1. Juni 1908 in Kraft 
ist. Eine Definition des Begriffs der 
Börse gibt das Gesetz nicht. Nach § 1 des Ge- 
setzes bedarf die Errichtung einer Börse der Ge- 
nehmigung der Landesregierung. Im allgemeinen 
beläßt das Gesetz der Börse ihre Autonomie. 
Es legt ihr aber eine Reihe Vorschriften für 
Organisation und bestimmte Geschäfte auf. Völlig 
einheitliche Reglung des Börsenwesens durch das 
Gesetz war bei der verschiedenartigen Entwicklung 
der einzelnen Börsen schlecht möglich. Das Gesetz 
begnügt sich daher mit Normativbestimmungen. 
Die Börse ist nicht etwa selbst Organ der 
Landesregierung. Die Landesregierungen üben 
nur die Aufsicht über die Börsen aus; die 
unmittelbare Ausübung derselben kann aber Han- 
delsorganen (Handelskammern, kaufmännischen 
Korporationen) übertragen werden (§ 1). Als 
weiteres Organ der Landesregierung sind bei den 
Börsen Staatskommissar ezubestellen, denen 
die Uberwachung des Börsenverkehrs sowie des 
Vollzugs der Gesetzes= und Verwaltungsbestim- 
mungen obliegt. Zu diesem Zweck haben die 
Kommissare bestimmte Befugnisse (§ 2). Als 
Sachverständigenorgan zur Begutachtung über die 
der Beschlußfassung des Bundesrats überwiesenen 
Angelegenheiten ist ein Börsenausschuß zu 
bilden (§ 3). Sodann ist für jede Börse eine 
Börsenordnung zu erlassen (§ 4), deren In- 
halt teils obligatorischer (8 5) teils fakultativer 
Art (8 0) ist. Gewisse Personen sind vom Börsen- 
besuch ausgeschlossen (§ 7). Die Börsenaussichts- 
behörde ist befugt, zur Aufrechterhaltung der 
Ordnung und für den Geschäftsverkehr an der 
Börse Anordnungen zu erlassen; die Handhabung 
der Ordnung selbst aber steht dem Börsenvorstand 
zu (88). An jeder Börse wird ein Ehrengericht 
gebildet, welches Börsenbesucher zur Verantwor- 
tung zieht, die sich im Zusammenhang mit ihrer
	        
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