Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

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gezeichnetes Wergeld rechtlich privilegiert, mithin 
zu einem Stande im Rechtssinn. Aber diesem 
mit Ausnahme Sachsens auf wenige Geschlechter 
beschränkten Geburtsadel gegenüber entstand eine 
neue Aristokratie aus dem Königsdienst heraus, 
die, nach unten zunächst ohne feste Grenze, sich 
aus Altadligen, aber auch aus Gemeinfreien, ja 
selbst aus Unfreien des Königs rekrutierte. Vor 
der aus dem Verhältnis zum König fließenden 
Bedeutung trat der Geburtsstand zurück. Der 
Königsdienst gab höheres Recht, zumal höheres 
Wergeld, mochte er nun durch Übernahme eines 
königlichen Amtes oder durch Eintritt in die 
königliche Gefolggenossenschaft begründet sein. 
Zur Zeit der Karolinger war ein Dienstadel 
an die Stelle des alten Geburtsadels getreten. 
Die Amter der Herzoge, Markgrafen, Pfalzgrafen 
und Grafen waren anfangs rein persönlich und 
wurden vom König beliebig übertragen und ent- 
zogen. Unter den Karolingern wiederholte sich 
der Fall, daß sich angesehene und mächtige Fa- 
milien in der Verwaltung bestimmter Grafschaften 
erhielten, in denen sie angesessen und begütert 
waren. Indem so Amter auf dem Weg gewohn- 
heitsrechtlicher Entwicklung erblich wurden, ist 
aus dem bloß tatsächlichen Vorzug gewisser großen 
Familien ein allein zur Herrschaft berechtigter Erb- 
adel, Herrenstand, entstanden. Der alte Ge- 
schlechtsadel, welcher sich bei einigen Stämmen be- 
hauptet hatte, verschwand, soweit er nicht in den 
neuen Dienstadel überging. Noch waren freilich 
die Dinge im Fluß der Entwicklung, bis das 
Erblichwerden der vorhandenen Reichsämter die 
berechtigten Familien zu einer erhöhten Standes- 
genossenschaft und damit zu einem neuen, an Zahl 
dem germanischen weit überlegenen Geburtsadel 
zusammenschloß. Da auch die Bekleidung der 
höheren Kirchenämter als Königs= und Reichs- 
dienst im weiteren Sinn erschien, wurden auch 
alle Bischöfe und die Abte der großen fränkischen 
Klöster dem ersten Stand zugerechnet. 
IV. Das hohe und spätere Mittelaller 
brachte den Gegensatz des hohen und niedern Adels 
zur Ausbildung. Der hohe Adel entwickelte 
sich aus den beiden obersten Ständen: Fürsten und 
freien Herren. Als Fürsten gelten bis 1180 die 
Inhaber der geistlichen und weltlichen Reichsämter, 
seit dem Sturz Heinrichs des Löwen unter lehns- 
rechtlichen Einflüssen die Inhaber unmittelbarer 
weltlicher oder geistlicher Reichslehen. Freie Herren 
waren ursprünglich die von Geburt freien Ele- 
mente des Ritterstandes, die durch den Besitz von 
Lehen und Grundherrschaften sowie durch Ge- 
richtsherrlichkeit (z. B. Aftergrafen der Fürsten, 
die mehrere Grasschaften vom Reich zu Lehen 
hatten und sie einzeln weiterverliehen) hervor- 
ragten und mit Ausbildung der Landeshoheit gleich 
den Fürsten in ihrem wenn auch kleinen Gebiet 
Territorialhoheitsrechte ausübten. Aus der Pflicht 
der Beamten und Lehnsleute, die Hof= und Reichs- 
tage des Königs zu besuchen, war im Lauf der 
Adel. 
  
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Zeit die persönliche Reichsstandschaft geworden, 
welche zur weiteren Auszeichnung des hohen Adels 
diente. Dazu kam die immer straffer durchgeführte 
Ebenburtsgrenze in Gericht und Privatrecht, be- 
sonders im Eherecht. Der niedere Adel wurde 
gebildet durch die lehnsfähigen und ritterbürtigen 
Leute, soweit sie nicht dem hohen Adel angehörten. 
Das berufsständische Moment rittermäßigen Le- 
bens bildete hier diefeste Standesgrenze nach unten. 
Durch die Aufnahme des Standes der unfreien 
Ministerialen in den niedern Adel erweitert sich 
sein Kreis sehr. Andere Momente, wie Verleihung 
des Adels, traten hinzu. 
Die Aeuzeit und das 19. Jahrhundert haben 
an den beiden Gruppen des Adels manche Ver- 
änderungen vorgenommen, welche eine gesonderte 
Betrachtung fordern. 
V. Der hohe Adel. Während in Frankreich 
die Macht des hohen Adels hauptsächlich unter 
Ludwig XI. und unter Richelien durch das ener- 
gisch zentralisierende Königtum gebeugt wurde, 
war die Entwicklung in Deutschland eine umge- 
kehrte. Die reichgegliederte Aristokratie, welche 
sich aus den erblich gewordenen großen Reichs- 
ämtern, aus den Herzogen, Markgrafen, Grafen, 
aus den Herren von geistlichen und weltlichen 
Immunitätsbezirken gebildet hatte, arbeitete sich, 
namentlich bei der Schwäche des Reichs seit dem 
Untergang der Hohenstaufen, zur Landesherrlich- 
keit und faktischen Unabhängigkeit empor. Diese 
Dynastenfamilien bildeten den höchsten Geburts- 
stand, welcher lange Zeit allein Adel — später 
hoher Adel — genannt wurde. An der Herrschaft 
im Reich nahm er durch die Reichsstandschaft teil, 
während ihm in den erblich gewordenen Territorien 
die Landeshoheit zustand. Im Lauf der Zeit er- 
langten alle Fürsten, soweit sie ihn nicht schon be- 
saßen, den Fürstentitel, die freien Herren über- 
wiegend den Grafentitel, so daß der hohe Adel 
nunmehr im wesentlichen aus Reichsfürsten und 
Reichsgrafen bestand. Seit Karl IV., besonders 
aber seit Karl V. machten die Kaiser vom Recht 
der Standeserhöhung Gebrauch und vermehrten 
so den hohen Adel. Daraus entstanden Reibungen 
mit den Reichsständen, welche dieser Ausdehnung 
widersprachen, wo sie auf Reichsstandschaft auch 
zum Vorteil derjenigen wirken sollte, welche kein 
reichsunmittelbares Gebiet besaßen. Im Jahr 
1654 erfolgte die Erklärung, daß die wirkliche 
Ausübung der Reichsstandschaft nur von der Auf- 
nahme in das sich als geschlossen betrachtende Kol- 
legium durch dasselbe abhängen sollte. Jedoch 
sollten die früher vom Kaiser in den Fürsten= oder 
Grafenstand erhobenen Familien dadurch in ihren 
erworbenen Rechten keinen Abbruch erleiden. In 
den kaiserlichen Erblanden hatte die (aus Spanien 
gekommene) Sitte, den Fürstentitel zu verleihen, 
die Folge, daß daselbst auch der landsässige Adel 
in einen hohen und niedern eingeteilt wurde. Im 
übrigen behielt der Kaiser seit 1754 das Recht, den 
Fürsten- und Grafentitel zu verleihen, ohne daß
	        
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