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Je entschiedener in allen Teilen der Kirche der
Protest gegen die Deklaration sich erhob, desto
ostensiver gefiel sich Ludwig XIV. in der Doppel-
rolle des berufenen „gottgesandten“ Beschützers
der Interessen des Katholizismus und des ruhe-
losen schikanösen Verfolgers des Papstes. In
ersterer Hinsicht hatte er noch durch die Versamm-
lung von 1682 ein Avertissement pastoral
an die Protestanten mit der Einladung der Rück-
kehr zur Kirche richten und allen Bischöfen und
Intendanten der Provinzen mit zwei Schreiben
zugehen lassen, die seinen Willen der Wieder-
vereinigung der Calvinisten mit der Kirche ein-
schärften. In der Verfolgung des Papstes betrat
er aufs neue die alten, gehässigen Wege. Als Inno-
zenz XI., der durch Breve vom 11. April 1682
die Deklaration für nichtig erklärt hatte, denjenigen
Deklaranten, welche Ludwig XIV. zu Bischöfen
ernannte, die Bullen verweigerte, befahl Ludwig
denselben, die ihnen von ihm angewiesenen Diö-
zesen als Kapitularvikare zu verwalten. Und als
es demselben Papst nach endlosen Bemühungen
endlich gelungen war, dem Unfug der sog.
Asylfreiheit im Bereich der römischen Gesandt-
Bossuet.
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lichte vorab 1672 einen Erlaß unter dem Namen
„Wiederherstellung des Edikts von Nantes“, wel-
ches den Protestanten die seit der Verkündigung
des Edikts usurpierten Freiheiten aberkannte. Da
die Parlamente gegen diese Wiederherstellung als
den Protestanten zu günstig sich erhoben, versuchte
der König andere Wege zur Wiedervereinigung,
bis er am 18. Nov. 1685 zur gänzlichen Auf-
hebung des Edikts schritt, einer Maßnahme, deren
Strenge man beklagen muß, trotzdem die Katho-
liken in protestantischen Ländern, wie England,
zehnfach barbarischer behandelt wurden, trotzdem
die Hugenotten überall, wo sie konnten, als ruhe-
lose Empörer sich gebärdeten und in beständigem
Einvernehmen mit den Feinden im Ausland leb-
ten. Bossuets persönliche Stellung zur Aufhebung
des Edikts kennzeichnet sich durch die nachträgliche
Zustimmung zur Legitimität dieser Maßregel, da
der König „das Recht habe, seine irrenden Unter-
tanen unter gewissen Strafen zum wahren Kult
zu zwingen“, ein in dem öffentlichen Recht der
damaligen Zeit unbestrittener Grundsatz. Er ver-
teidigte seine Stellungnahme später öffentlich in
seiner Instruction pastorale sur les promes-
schaftsquartiere im Einvernehmen mit den Mäch= ses de lEglise (1700), versuchte ihre historische
ten ein Ende zu machen, trotzte Ludwig XIV. allen Rechtfertigung in der berühmten Leichenrede auf
und ließ durch die bewaffnete Garde seines Ge-Mich. Le Tellier (25. Jan. 1686). Allein sein
sandten Lavardin solche Szenen in den Straßen tatsächliches Verhalten als Bischof wie als Kon-
Roms aufführen, daß der Papst den Gesandten troversist ging andere Wege, da er sich nicht ent-
exkommunizierte (1688). Ludwig XIV. legte schließen konnte, „in den Bajonetten geeignete
nochmals die Hand auf Avignon und klagte den Bekehrungswerkzeuge zu sehen“. Was auch der
Papst vor Europa in heftigster Weise an, ihn, Calvinist Jurien gegen ihn vorgebracht, der Pre-
den Beschützer der Katholiken, im Stich gelassen diger Dubordien bezeugte aus nächster Anschau-
zu haben. Erst nach dem Ausbruch der englischen ung, daß „dieser Prälat nur den Weg des Evan-
Revolution (1688) erfolgten Versuche der An- geliums gebraucht, um für seine Religion zu ge-
näherung. winnen. Er predigte, schrieb Bücher, Briese und
Um so eifriger hielt Ludwig XIV. vorab an 1 arbeitete mit allen Kräften daran, daß die Refor-
der Rolle des Oberanwalts der Orthodoxie fest mierten ihren Glauben verließen auf Mittel hin,
und wollte durchaus in solcher von Rom anerkannt die seinem Charakter und dem Geist des Christen-
sein. Er hob 18. Nov. 1685 das Edikt von tums passend schienen.“ Wie sehr er sich in den
Nantes auf, eine Maßnahme, für deren förm= erregten Zeiten der Dragonaden und Kamisarden
liche Billigung und Belobigung er sich vergeblich mit andern Gedanken und Wegen der Wiederver-
bei Innozenz Xl. bemühen ließ. Durch das Edikt einigung trug, zeigte seine berühmte Geschichte
von Nantes (13. April 1598) hatte Heinrich IV. des Wandels und Wechsels im Prote-
den Protestanten so große Freiheiten bewilligt, Ktantismus (Histoire des variations des
daß selbst der calvinistische Staatskanzler Sully Eglises protestantes), die 1688 erschien und
wegen schwerer Schädigung der Katholiken prote= den Nachweis erbrachte, „wie sich ihre (der prote-
stierte. Die Calvinisten hatten ihre eigenen Ge= stantischen Kirchen) Religion gebildet habe; mit
richtshöfe, Sicherheitsplätze, Synoden, die als= wie vielen Anderungen und mit welcher Unbestän=
bald als revolutionäre Versammlungen sich kon= digkeit ihre Glaubensbekenntnisse aufgestellt wür-
stituierten und eine ständige Vertretung bei Hof den; wie sie sich getrennt, zuerst von uns, dann
zur Abstellung ihrer Klagen erzwangen. Gegen unter sich; mit wie vielen Spitzfindigkeiten, Aus-
den Mißbrauch dieser privilegierten Stellung, den flüchten und Ausreden sie versucht hätten, ihre
Sully vorausgesehen, war Richelien mit starker Spaltungen zu verdecken und die zerstreuten Glie-
Hand vorgegangen, hatte aber das Edikt als sol= der ihrer entzweiten Reform zu sammeln“. Aus
ches bestehen lassen, was bei dem die Calvinisten dem Studium der Bekenntnisschriften, historischer
leitenden Geist neuen Aufruhr bedeutete. Ma= Dokumente, Streitschriften, Disputationen, war
zarin hatte das übermütige Treiben der „Reli= dieses in bewundernswerter, durch Einfachheit,
gionaires“, wie er sie spöttelnd nannte, in den Klarheit und seltene Macht der Diktion gleich aus-
Stürmen der Fronde gehen lassen. Ludwig, tief gezeichnete Werk hervorgegangen, welches ihn viel-
verletzt durch ihre endlosen Übergriffe, veröffent= leicht am vollendetsten in seiner Größe als Ge-