Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

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licher Weise blühen auch die im Flußgebiet des 
schiffbaren Jacuhy liegenden Provinzialansied- 
lungen von Santa Cruz, welches, 1849 gegründet, 
etwa 6320 deutsche Einwohner zählt, von Säo 
Laurengo mit 6280, Nova Petropolis mit 3350, 
Porto Alegre mit 10 000 deutschen Bewohnern; 
im ganzen 65 deutsche Ansiedlungen. Direkt 
aus dem Vaterland eingewandert sind in Rio 
Grande do Sul höchstens 25 000 Deutsche, die 
sich aber allmählich auf 150 000 Seelen vermehrt 
haben. In der nördlich angrenzenden Provinz 
Santa Catharina hat sich die deutsche Koloni- 
sation ebenfalls günstig entwickelt (1902 etwa 
150 000 Deutsche). Die vom Hamburger Koloni- 
sationsverein 1851 gegründete Niederlassung 
Dona Francisca zählt 10 100, Blumenau am 
schiffbaren Itajahy, von Dr Hermann Blumenau 
1850 angelegt, 30 000 meist deutsche Einwohner; 
auch in den Kolonien Brusque, Luiz Alves, 
Santa Izabel, Theresopolis, Angelina und Azam- 
buja führen die Ansiedler bei fleißiger Arbeit ein 
erträgliches Dasein. Von vornherein hatten die 
deutschen Ansiedler in Südbrasilien mit mancher- 
lei Schwierigkeiten zu kämpfen: Teilung des Be- 
sitzes in zu kleine Parzellen, Mangel an Gras- 
wuchs und Vieh, mehr noch die Verdächtigungen 
und Anfeindungen, die in Berlin sogar ein Ver- 
bot der Auswanderung nach Brasilien hervor- 
riefen. Dieses ist inzwischen aufgehoben worden, 
worauf wieder die Bemühungen um Entsendung 
deutscher Kolonisten nach Südbrasilien einsetzten. 
Die Deutschen haben ihre Volksschulen mit Volks- 
bibliotheken, katholische und protestantische Kirchen, 
ihre politischen und kommerziellen Vereine usw., 
und das Deutschtum ist im fremden Land zu einer 
Macht geworden, die bereits einen maßgebenden 
Einfluß in den lokalen und provinziellen Ange- 
legenheiten besitzt. Die deutschredende Bevölke- 
rung in Brasilien wird sehr verschieden geschätzt, 
eine gesicherte Angabe ist nicht zu erhalten, nicht 
einmal für einzelne Staaten; als ungefähre 
Schätzung für 1902 gibt das Handbuch des 
Deutschtums im Ausland 350 000 an. 
Von größeren Städten in Brasilien zählt Rio 
de Janeiro mit Vororten 811 266, Säo Paulo 
332000, Säo Salvador 230000, Recife 120 000, 
Belem 100000, Porto Alegre 80000 Einwohner. 
3. Die Verfassung. Brasilien ist eine 
Föderativrepublik, bestehend aus 20 Staaten und 
einem Bundesdistrikt. Die Einzelstaaten sind in 
ihrer Bewegung möglichst frei und haben ihre 
Einzelparlamente; nur in den Beziehungen zum 
Ausland und in den die Allgemeinheit des Bundes 
betreffenden Angelegenheiten (Verfassung, Bundes- 
gesetze, Geld, Krieg, Verkehrsangelegenheiten) hat 
die Zentralregierung maßgebenden Einfluß. Die 
gesetzgebende Gewalt ruht bei dem National- 
kongreß; derselbe zerfällt in Senat und Abgeord- 
netenkammer und tagt jährlich vom 3. Mai drei 
Monate lang. Der Senat besteht aus 68 (je drei 
aus jedem Staat) Mitgliedern, die je nach der 
Brasilien. 
  
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Zahl der erhaltenen Stimmen auf 9, 6 oder 3 
Jahre gewählt sind; alle drei Jahre finden Er- 
neuerungswahlen statt. Die Kammer zählt 212 
Mitglieder (je 1 auf 70 000 Einw.), auf drei 
Jahre gewählt. Der Präsident und der Vize- 
präsident der Republik (Mindestalter 35 Jahre) 
werden auf vier Jahre gewählt; Ersatzwahl wäh- 
rend der beiden ersten Jahre durch Neuwahl, sonst 
durch die Präsidenten des Kongresses und des 
obersten Gerichtshofs. Unmittelbare Wiederwahl 
eines Präsidenten ist untersagt. Wähler für Prä- 
sident, Senat, Kammer ist jeder 21 Jahre alte 
Brasilianer, der lesen und schreiben kann, ausge- 
nommen Soldaten und Ordensleute. 
Die vollziehende Gewalt haben Präsident 
und Vizepräsident inne. Der Präsident vertritt 
den Bundesstaat nach außen, ernennt die Minister 
und Beamten, ist Oberbefehlshaber, sanktioniert 
die Beschlüsse des Kongresses, gegen die er nur ein 
bedingtes Veto hat. Dieses ist unwirksam, wenn 
ein beanstandeter Beschluß im Kongreß nochmals, 
und zwar mit Zweidrittelmehrheit, gefaßt wor- 
den ist. 
Die Gemeindeverfassung unterscheidet Städte 
(TCidades) und Flecken (Villas), in welche auf 
4 Jahre gewählte Munizipalkammern die Selbst- 
verwaltung wahrnehmen, und ländliche Kirchspiele. 
Sehr groß ist die Zahl der Wohltätigkeitsanstalten, 
die sowohl in der Hauptstadt als in den Pro- 
vinzen unter Leitung der weltlichen Obrigkeit 
stehen. In allen Städten finden sich guteingerich- 
tete Krankenhäuser, darunter einige Musteran- 
stalten, wie z. B. die Santa Casa de Misericordia 
in Rio de Janeiro, welche, schon im 16. Jahrh. 
gegründet, jährlich gegen 15 000 Kranke verpflegt. 
Außerdem gibt es eine große Anzahl wohltätiger 
religiöser Bruderschaften. 
Die richterliche Gewalt wird durch die Ge- 
richte gehandhabt, deren höchstes, das Oberjustiz- 
tribunal in Rio de Janeiro, aus einem Präsi- 
denten und 17 Mitgliedern besteht. Dasselbe ist 
befugt, formell oder sachlich fehlerhafte Urteile 
niederer Instanzen an andere Gerichtshöfe seiner 
Wahl zu verweisen; seinem Urteil unterstehen 
außerdem die höheren Beamten des Reichs. Die 
nächste Instanz bilden die 11 Appellationsgerichte 
in Rio de Janeiro, Bahia, Pernambuco, Maran- 
häo, Parä, Ceard, Minas Geraes, Säo Paulo, 
Säo Pedro do Sul, Matto Grosso und Goyaz 
mit je einem Präsidenten und Prokurator; die 
Zahl der Richter schwankt zwischen 5 und 17. 
Dann folgen Obergerichte in den Kantonen (Co- 
marcas), mit denen die Schwurgerichte für Krimi- 
nalsachen verbunden sind, Amtsgerichte in Ter- 
mos munieipaes und endlich die aus Volkswahl 
(auf 4 Jahre) hervorgehenden Friedensrichter für 
Zivilsachen, während die erste Instanz für Kri- 
minalsachen der Polizeirichter bildet. Außerdem 
fungieren noch Handelsgerichte in Rio de Janeiro, 
Bahia, Pernambuco, Maranhäo, Par, Cearä, 
Säo Pedro do Sul. Für die Militärgerichtsbar- 
 
	        
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