Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

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dienst den hauptsächlichsten Grund zu ihrer spä- 
teren rechtlichen und politischen Stellung legte. 
Namentlich in der Zeit der Hohenstaufen und der 
darauf folgenden kaiserlosen Zeit gelangte die 
Ritterschaft zu ihrer Blüte. Die Verschmelzung 
der freien und unfreien Elemente des Ritterstands 
wurde dadurch vermittelt, daß das Hauptgewicht 
nicht mehr auf dem Geburtsstand, ob freie oder 
unfreie Abkunft, sondern auf der Leistung und 
Lebensweise beruhte. Als die Ministerialen die 
letzten Spuren der Unfreiheit abgestreift hatten, 
verschmolzen sie mit den freien Vasallen zu einem 
Stand, der zu „Helm und Schild Gebornen“. 
Die Stellung der unfreien Ritter wurde als Aus- 
fluß des Lehnsverhältnisses aufgefaßt, obwohl sie 
ihre Güter ursprünglich nicht nach Lehnsrecht, son- 
dern nach Dienstrecht besaßen. Jetzt wurde der 
Grund der Ministerialität nicht mehr in besondern 
Pflichten dieses Standes, sondern wie bei den 
Vasallen in den ihm verliehenen Lehen gefunden. 
Das Dienstverhältnis löste sich in das Lehnsrecht 
auf. Die Ministerialen wurden geradezu als Freie 
bezeichnet, Dienstmann und Vasallähnliche Begriffe. 
Statt lehnsfähig hieß es: von Ritterart, ritter- 
bürtig, rittermäßig. Allein das so zum Geburts- 
stand abgeschlossene Rittertum warkein zufälliger 
Vorrang, sondern ein von einer bestimmten Lebens- 
art bedingter und mit wichtigen Funktionen be- 
trauter Stand. Seine Mitglieder trugen die Last 
der Landesverteidigung und leisteten dem Landes- 
fürsten Heerfolge auf seinen Kriegszügen ins Aus- 
land, halfen ihm in Geldnöten aus und dienten 
als Verwaltungs= und Justiz= oder Finanzbeamte. 
Allerdings konnte ein Kriegsmann Ritter ge- 
worden sein, ohne ein Rittergut zu haben (fahrende 
Ritter); aber die vollen politischen Rechte im 
Lehnshof und in den Landständen wie in der 
Gerichtsbarkeit kamen doch nur den begüterten 
Rittern zu. Ihre ein für allemal an ihrem Be- 
sitz klebende Aufgabe bestand in Leistung des- 
jenigen, was heutzutage für jährlich neu aufzu- 
bringende Summen Armee und Beamte tun. Die 
jenen entgegengebrachte größere Ehre war also im 
Grund genommen nur die in jedem Gemein- 
wesen nötige Anerkennung der Obrigkeit. Die 
Tendenz zu Unabhängigkeit, die Beschützung von 
Schwachen und Bedrängten, die Ehrerbietung 
gegen Frauen, Kühnheit, Gastfreundschaft, Red- 
lichkeit und Worthalten sind wohltuende Züge 
im Bild des alten deutschen Adels. Bei der 
Besetzung der Kirchenämter erlangte der Adel 
mehrfach entscheidende Bedeutung. Da die Bis- 
tümer und Abteien als geistliche Fürstentümer 
eine mehr oder weniger weitgehende Ministeriali- 
tät unter sich hatten, verlangte das überall wirk- 
same Ebenbürtigkeitsprinzip, wonach keiner vom 
Standesgenossen Lehen annahm, höheren Stand 
bei Kirchenfürsten, Domkapiteln, aber auch beim 
Eintritt ins Kloster (sog. freiherrliche Klöster für 
männliche und weibliche Insassen). Je berühmter, 
reicher und älter ein Stift oder Kloster war, um so 
Adel. 
  
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strenger walteten diese Tendenzen vor. Freilich 
kam es anderseits auch stets vor, daß ein begabter 
Bauernsohn in der kirchlichen Hierarchie sich hoch- 
brachte und dann als Bischof oder Abt persönliche 
Fürstenwürde erlangte. 
Gegen Ende des Mittelalters lockerten sich die 
alten Stände. Nicht unvermittelt brach die Zeit 
des Absolutismus herein. In Bezug auf die 
Fürsten und Landesherren war es die Anderung 
des Heer= und Staatswesens, die dem Adel seine 
Bedeutung nahm. Zunächst die Vermehrung der 
Kriege. Beschränkt nach Ort, Zeit und Zweck der 
Heerfolge war die Kriegspflicht des ritterlichen 
Lehnsheeres. Es war das einer der Umstände, 
welche — gewiß nicht zum Schaden der Mensch- 
heit — Krieg und Kriegswesen eingeschränkt hielten. 
Das Vorwiegen des adligen Reiterdienstes im 
Feld war ein weiterer, die Existenz einer christ- 
lichen Völkerfamilie ein dritter Umstand. Zuerst 
in Italien, dem Land der Renaissance, wurde 
namentlich in den Kämpfen des Quattrocento das 
Söldnerwesen die stehende Kriegseinrichtung. Ver- 
armte Ritter verdingten sich „glevenweise“, die 
Schweiz sandte die Reisläufer. In Frankreich gaben 
die langdauernden Kriege mit England dem Dienst 
gegen Sold reichliche Nahrung. Nicht minder ver- 
mehrten schon frühe die deutschen Städte ihre be- 
waffnete Macht durch bezahlte Stadtknechte und 
Söldner aus dem Adel. Das gleiche taten die 
Fürsten, als sie im Kampf gegen die Städte mit dem 
Lehnsdienst nicht ausreichten. Die blinde, bloß fol- 
gende, nicht erwägende Hilfe des Söldners, später 
des stehenden Heers war eine Hauptstütze des das 
Mittelalter verdrängenden absoluten Staats so- 
wie der fürstlichen Territorialgewalten, die bei der 
Lockerung der deutschen Reichsgewalt immer er- 
folgreicher gegen die kaiserliche Obmacht an- 
kämpften. — Es ist kein Zweifel, daß die Technik 
des Kriegswesens stieg; vom sittlichen Gehalt 
wird sich das gleiche nicht behaupten lassen. Der 
Adel suchte sich durch korporative Verfassung 
den zahlreichen andern Korporationen gegenüber 
zu halten. So waren im 14. Jahrh. die 
Rittergesellschaften entstanden. Sie gingen 
namentlich von Schwaben und Bayern aus und 
wurden die Grundlage der späteren reichsfreien 
Ritterschaft. Im Norden und Osten hingegen, 
wo die Landeshoheit schon stärker entwickelt war, 
hatten sie mehr gesellige als politische Tendenz 
oder standen von Anfang an unter höfischem Ein- 
fluß. Trotz der korporativen Vereinigungen wurde 
der niedere Adel von den Städten überflügelt, 
weniger durch militärische und politische Erfolge 
als durch eingetretene wirtschaftliche Verände- 
rungen. — Bei der Rivalität den Städten gegen- 
über waren die Fürsten in einer günstigeren 
Lage als der Kleinadel. Jene konnten durch eine 
entsprechende Organisation ihrer größeren Terri= 
torien, durch Münzverschlechterung, Zollwesen am 
Gewinn der Städte partizipieren. Bei ihren großen 
Territorien empfahl es sich, ihren Anordnungen
	        
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