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über Geleitsrecht und Zölle usw. gehorsam zu sein.
Die kleinen Herren, der niedere Adel imponierte
der Handelswelt, den durchgehenden Warenzügen
viel weniger. Für die kurzen Strecken ihres
Territoriums zog man es vor, sich auf gut Glück
und die eigene Bedeckung zu verlassen. Daher
entstanden gerade hier so viele Konflikte, und
der Versuch des kleinen Adels, sein Geleitsrecht
aufzudringen, Zölle zu erzwingen, artete begreif-
licherweise in ein Raubrittertum aus. Den Fürsten
waren die Städte schließlich (1388/1449) unter-
legen. Aber um so verhaßter waren den letz-
teren die „Plackereien“ der kleinen Herren, die
sich „auf Reuterei legten“, „vom Sattel oder
Stegreif lebten“ oder auch auf eigene Faust Fehde
ankündigten. Wie gründlich verkommen das
Institut der Fehde war, zeigt der Umstand, daß
es sich ähnlich wie Straßenraub geltend machen
konnte. Ehedem war die Ausübung des selb-
ständigen Fehderechts an die Voraussetzung ver-
geblich beschrittenen Rechtsweges, an die Bedin-
gung rechtzeitiger Ankündigung (diffdatio) und
auch sonst an gewisse rechtliche Schranken (Gottes-
friede) gebunden. Erst 1495 kam es zum Ewigen
Landfrieden und zur Beseitigung des Fehdewesens.
Die Reglung bestand darin, daß man die Friedens-
ordnung in die Hand der Landesherren legte, die
in ihren Territorien bereits gleichmäßigere Rechts-
zustände geschaffen hatten. Konflikte der Landes-
herren untereinander trugen dann nicht mehr den
Charakter der Fehde, sondern des Krieges. —
Der patriarchalische Geist, der das Verhältnis
zwischen Gutsherren und Bauern erträglich machte,
litt sehr unter dem erfolglosen Rivalisieren des
niedern Adels mit dem Bürgertum. Ein ver-
armender Gutsherr ist der Milde und Noblesse
wenig zugänglich. Mit dem standesgemäßen Luxus
wuchsen dessen Kosten, ohne daß, wie beim Bürger-
stand, die Möglichkeit, ihn zu decken, wuchs. Die
Folge war eine noch größere Verschuldung oder
Druck auf die Bauern. Dieser Druck hüllte sich
noch dazu in einen Schein von Recht durch die
Art und Weise, wie man das römische Recht
neuerdings anwendete. Man war leicht ge-
neigt, die abhängigen Bauern für bloße Zeit-
pächter — die man also steigern und künden
könne — zu halten. Wie selten waren mittel-
alterliche Agrarverhältnisse aktenmäßig beglaubigt!
Und nur das galt dem aufkommenden Schreiber-
und Juristenstand als rechtlich begründet. Der
bäuerliche Besitz war sehr gefährdet, als nach
hergestelltem Reichsfrieden im 15. Jahrh. die
Ritter von ihren Burgen zur Landwirtschaft herab-
stiegen und auf Kosten des Bauernstands die
Rittergutsfeldmarken teils erst bildeten teils we-
nigstens vergrößerten. Erst der Mißbrauch der
deutschen Agrarverhältnisse erzeugte die bäuerliche
Unzufriedenheit. „Gegen die Bauern!“ hieß der
Wahlspruch des Adels. „Wie treibt ihr euer
Wesen? Wir können vor Adel und Ritter nicht
genesen!“ sagten die andern. Bekannt ist, daß sich
Adel.
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nach den Bauernkriegen die Lage der Bauern
auffallend verschlimmerte.
Am Ende des Mittelalters bestand der niedere
Adel aus landsässigem Adel und aus der Reichs-
ritterschaft. Dazu trat das städtische Patriziat,
das in steigendem Maß die Ebenbürtigkeit mit
dem Landadel erlangt hatte. Neben dem alten
Erbadel gelangte nach französischem Vorbild seit
dem 16. Jahrh. der Briefadel zu erhöhter
Bedeutung. Das Recht der Verleihung war kaiser-
liches Reservatrecht und stand nur noch denjenigen
Landesherren zu, die zugleich europäische Mächte
waren (z. B. England-Hannover). Seit 1806
üben es alle Landesherren aus. Der zur Rezep-
tionszeit festgehaltene Adel des Doctor iuris kam
außer Ubung. — Die Reichsritterschaft war
entstanden aus den Reichsministerialen des Mittel-
alters, zu denen mit dem Aussterben des stau-
sischen Hauses die staufischen Hausministerialen
in Schwaben traten. Ihre Stellung beruhte auf
dem Besitz der Reichsunmittelbarkeit und so vieler
Regierungs= und Territorialrechte, daß man es
Landeshoheit nennen konnte. Doch fehlte die
Reichsstandschaft, das Charakteristikum des hohen
Adels. Im 14. Jahrh. war ein großer Teil
der Ritterschaft, zumal in Schwaben, Franken
und am Rhein, untereinander in feste Verbin-
dungen getreten und hatte sich dadurch von der
Landeshoheit unabhängig in einem unmittelbaren
Verhältnis zu Kaiser und Reich behauptet. Haupt-
sächlich die schwäbische Gesellschaftvom St Georgen-
Schild (dieser Heilige galt als der Patron des
Rittertums) hatte die korporative Verfassung der
Reichsritterschaft veranlaßt. Jene politische Ver-
einigung hatte seit 1489 die Rechte der übrigen
bestehenden Gesellschaften absorbiert, überhaupt
alle Elemente des niedern Adels, welche sich der
Landsässigkeit zu erwehren vermocht hatten, in sich
aufgenommen. Das kaiserliche Privileg von 1559
gab der Reichsritterschaft Anerkennung der Reichs-
unmittelbarkeit, volle Gerichtsbarkeit, soweit sie
nicht schon besessen wurde, und das Besteuerungs-
recht ihrer Untertanen zur Aufbringung der
Bedürfnisse der Genossenschaft und der Chari-
tativsubsidien an den Kaiser. Die schwähbische
Ritterschaft gab sich 1560, die fränkische 1590,
die rheinische 1652 eine Ritterordnung. Die drei
Ritterkreise teilten sich in Kantone (Orte) unter
Direktoren, und alle drei Kreise kamen auf Korre-
spondenztagen zusammen.— Unter land sässigem
Adel verstand man jenen, der bei einem Fürsten
mit Landeshoheit zu Lehen ging. Die weniger
mächtigen Adligen waren in Abhängigkeit von den
Landesherren geraten, in deren Territorien ihr
Grundbesitz lag. Sie standen daher nur mittelbar
unter dem Kaiser, auch hatten sie nicht Reichs-
standschaft. — Aus den Freien, die sich in den
Städten erhalten hatten, ging das städtische
Patriziat hervor, die Geschlechter. Sie hatten
zum Teil eigenen Grundbesitz, wurden Ritter,
nahmen Lehen, waren siegelmäßig und bekleideten