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zusammen. Dieselbe erfolgte in Italien und Frank-
reich früher als in Deutschland. Geistliche und
weltliche Fürsten schufen nach den aus dem Alter-
tum überlieferten Vorbildern der Römerstädte (in
Deutschland an Rhein, Mosel, Donau) überall im
Land kraft verliehenen königlichen Marktregals
Märkte, die sich vom flachen Land durch eigenes
Gericht und in steigendem Maß durch Befestigung
abhoben, deren Einwohnerschaft durch ihr rasch
errungenes wirtschaftliches Ubergewicht zu poli-
tischer Macht und weitgehender Autonomie ge-
langten. So gewannen die Städte im Reich und
in den Territorien (Reichsstädte bzw. Landstädte)
seit dem 12. Jahrh. eine bevorzugte Sonderstellung.
Ihre Einwohnerschaft wurde zu einem selbständigen
Stand im Volksganzen, der sich gegenüber Bauern
und Hörigen durch den Betrieb von Handel und
Handwerk sowie durch die Tendenz nach Erringung
voller persönlicher Freiheit abschloß.
Dem Germanen der Frühzeit fiel an den mäch-
tigen Römerstädten zuerst ihre feste Ummauerung
auf. Mit dem für die primitiven Steinumwal-
lungen der altgermanischen Volksbefestigungen ent-
standenen Worte nannte er sie „Burgen“ (Augusta
— Augsburg, Regina = Regensburg). Für ihre
Bewohner kam früh die Bezeichnung burgaere,
burgenses auf. Sie erhielt sich dauernd als Name
der städtischen Bewohnerschaft, auch nachdem die
Sprache für die städtische Ansiedlung als Ganzes
das jetzt auf feste Landsitze beschränkte „Burg“
durch „Markt“ und bald überwiegend durch
„Stadt“ verdrängte. Den Gegensatz zum Bürger
bildeten Bauer, Ritter und Pfaffe.
Die Bürgerschaft vereinigte Elemente verschie-
denen ständischen Ursprungs in sich. Neben die
volksfremden Händler des frühen Mittelalters
(Juden, Syrer, Römer) traten Landeskinder. In
den Hunderten von Städten, die aus Marktgrün-
dungen des 10./13. Jahrh. herausgewachsen sind,
ist die Bildung der Bevölkerung nicht nur eine
Frage der einzelnen Stadtgeschichte, sondern von
hohem sozial= und bevölkerungsgeschichtlichem In-
teresse. Der Hauptzweck der weltlichen und geist-
lichen Markt= und Stadtgründer war, an Stelle
des neben ihrer Kirche oder Burg bisher nur ge-
legentlich auftretenden Wanderhandels einestehende
Kaufgelegenheit, einen dauernden Sitz von Handel
und Gewerbe zu errichten. Oft genug kam es auch
vor, daß an einem als günstig erkannten oder er-
hofften Punkt ihres Territoriums, wo bisher weder
Burg noch Kirche, höchstens ein grundherrlicher
Fronhof war, eine Marktgründung vollzogen
wurde (sog. Marktgründung auf wilder Wurzel).
Bürgerstand.
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Deutschland z. B. Lübeck, Freiburg i. Br., Bern),
während das Gros der Marktgründungen in be-
scheidene Kleinstädte auslief, die sich durch ihre
Befestigung als Städte von den offenen Markt-
flecken abhoben. Wanderkaufleute aus alten Han-
delszentren ließen sich begreiflich nur dann am
jungen Platze nieder, wenn derselbe Handelsgewinn
versprach oder besondere Lockungen des Gründers
oder seines Nachfolgers in der Stadtherrschaft an-
zogen. In sehr vielen Märkten, namentlich kleineren
Umfangs, war dies nicht der Fall, so daß sich die
Gründer genötigt sahen, dieselben mit dem über-
schüssigen Hörigenmaterial eigener und fremder
grundherrschaftlicher Höse und Dörfer zu bevöl-
kern. Während so die alten und großen Städte von
Anfang an einen starken Stamm freier Leute ein-
schlossen, waren unter den Gründungsstädten sehr
viele, in denen das unfreie Element überwog oder
in denen wenigstens eine starke Mischung beider
Standesgruppen vorhanden war. Dazu kommt
noch, daß in sehr zahlreichen Fällen die Märkte
neben einer grundherrlichen Hörigengemeinde des
Marktherrn errichtet wurden, wobei allerdings
Markt und Hörigendorf lange Zeit getrennt ge-
halten wurden. Auch die Ministerialen des Stadt-
herrn, denen von Anfang an die Burghut der
vorhandenen Befestigung oblag und die zu den
stadtherrlichen Amtern das Personal stellten, stan-
den zunächst außerhalb der Bürgerschaft, wie
namentlich daraus hervorgeht, daß sich die Bürger
in so wichtigen Gründungen des 12. Jahrh., wie
Freiburg i. Br. und Lübeck, das Wohnen stadt-
herrlicher Ministerialen in ihrer Mitte verbaten.
Es muß also anderswo, nämlich in den älteren
Städten, das Gegenteil lästig empfunden worden
sein.
So konnte für den werdenden Bürgerstand nicht
die geburtsständische Abstammung der einzelnen
maßgebend werden. Standbildend wirkten vielmehr
andere Momente.
Alle Märkte wurden als eigene Gerichtssprengel
gegründet. Das über leichtere Marktfriedens-
brüche, über Schuld= und Fahrnisklagen und für
Auflassungen eingesetzte Marktgericht (iudicium
kori) war im Gegensatz zu den Hofgerichten grund-
herrlicher Fronhöfe ein öffentliches Gericht. Jedes
mittelalterliche Gericht besaß nicht nur einen räum-
lich begrenzten Sprengel, der beim Marktgericht
eben das engere Gebiet des Marktorts war, son-
dern auch seine besondere Gerichtsgemeinde, aus
der die Schöffen gewählt wurden und die vor
dem Gericht ihren Gerichtsstand hatte. Wie im
Landrecht die Dingfähigkeit auf dem freien, im
Die hausierenden Wanderhändler sollten sich da Hofrecht auf unfreiem Grundbesitz beruhte, so in
niederlassen. Es leuchtet ein, daß wie heute so Markt und Stadt auf dem Besitz einer Liegenschaft
auch damals die Bevölkerungsbildung und das
Aufblühen der neuen Gründungen von den ver-
schiedensten Umständen abhingen.
versuche stehen eine Reihe von Gründungen, die
rasch zu mächtigen Handelsplätzen aufblühten (in
(Wohnhaus mit Hofstätte) innerhalb des Markt-
gebiets (korum). Der freie Bauer war ding-
Neben einer pflichtig von seinem Bauernhof mit Feldern und
großen Zahl völlig fehlgeschlagener Gründungs= Allmendanteil, der Städter von dem kleinen Areal,
auf dem sein Haus oder Häuschen stand. Dabei
mußte der städtische Grundbesitz, auf dem die