Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

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gung ihrer eigenen handelspolitischen Ziele das 
Reich, wurde daher auch von diesem im Stich ge- 
lassen, seit gleichzeitig mit dem Städtekrieg von 
1388 durch die Kalmarische Union und die Ver- 
einigung Polens mit Litauen ihr Wachstum ge- 
hemmt wurde. Auch den Städtekrieg von 1450 
begleiteten städtische Einbußen. Kurz vorher 
(gegen 1442) geht die landesherrliche Unter- 
werfung Berlins, sehr bald (1466) folgte der 
Thorner Friede, welcher viele preußische Städte 
unter Polen brachte. In gewissem Sinn hat so- 
gar der nationale Husitenkrieg einen städtefeind- 
lichen, agrarischen Charakter, insofern er sich gegen 
das wohlhabende (großenteils deutsche) Bürger- 
tum richtete. Besonders in den Jahren 1420 und 
1421 erfolgten Vertreibungen und vereinzelte, 
gegen die städtische Geldwirtschaft gerichtete Maß- 
regeln (Rentenverbote). Die mit der Reformation 
sich einstellenden politischen Veränderungen wur- 
den zuerst von den Bürgerschaften getragen und 
gefördert, im endlichen Erfolg trugen aber die 
Fürsten die Früchte der Kirchenspaltung davon. 
Die frühere Kirchenmacht fiel durch Reformation 
und Gegenreformation großenteils in die Hände 
der Monarchen. Infolge des religiösen Zwistes 
und der daraus hervorgegangenen Bürgerkriege 
wurde der Wohlstand der deutschen Städte fast 
gänzlich zerstört. Insbesondere wurde durch den 
Dreißigjährigen Krieg der Bürgerstand aufs 
furchtbarste vermindert. Die Städte mußten es 
geschehen lassen, daß der deutsche Verkehr voll- 
kommen gefesselt wurde, daß die Mündungsgebiete 
des Rheins, der Weser, der Elbe, der Oder in 
fremde Hände gerieten. Nach dem Westfälischen 
Frieden war Deutschland ein Ackerbauland, ein 
Land leibeigen gewordener, jetzt erst an die Scholle 
gefesselter Bauern; die Städte verfielen dem Pro- 
zeß der Versteinerung. Die Reichsstädte bedeu- 
teten immer weniger, die Landstädte wurden immer 
abhängiger, bis tief ins 18. Jahrh. hinein wuch- 
sen fast nur die Residenzstädte, parallel dem 
Wachsen oder der Zentralisation der betreffenden 
Staaten, während es früher „Hauptstädte“ in 
unserem Sinn kaum gegeben hat. 
4. Nicht nur die Reformation, auch römisches 
Recht und Geldwirtschaft, Soldheer und Beamten- 
tum, kurz alles, was die Macht der Städte stark 
emporgebracht hatte, wandte sich nachträglich in 
der Zeit des beginnenden Absolutismusgegen 
sie. Das nach italienischem Muster ausgenommene 
Söldnerwesen brachte den Städten nur vorüber- 
gehenden Vorteil. Gerade mit dem Aufkommen 
des miles perpetuus, der stehenden Heere, ging 
die Erweiterung der monarchischen Gewalt Hand 
in Hand. Die Wehrhaftigkeit der Bürger verfiel 
bald nach der Feststellung des Ewigen Landfriedens, 
die Städter verweichlichten, kauften sich durch Geld 
und Söldner vom Kriegsdienst los. Die römisch- 
rechtlich gebildeten Beamten waren es hauptsäch- 
lich, mit deren Hilfe der Staat alle Stände und 
Korporationen sich untertan machte; damit hörte 
Bürgerstand. 
  
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das selbständige Kommunalleben auf oder wurde 
wenigstens einer weitgehenden Aufsicht des Lan- 
desherrn unterworfen. Je mehr die Landstände 
der erstarkenden, absoluten Fürstengewalt gegen- 
über an wirklicher Macht verloren und ihre früheren 
Rechte zu bloßen Form= und Scheinrechten herab- 
sanken, desto mehr sank die politische Bedeutung 
der Städte. Das Beamtentum setzte sich auch in 
den Städten und deren Verwaltung fest. Als der 
Staat anfing, die tüchtigeren Kräfte in seinen 
Dienst zu ziehen, verlor der Gemeindedienst alles 
Verlockende, er kam in die Hände unfähiger Sub- 
alternen. Die Ratsstellen wurden seit Anfang des 
17. Jahrh. immer häufiger lebenslänglich durch 
Kooptation oder auch (wenigstens indirekt) vom 
Landesherrn besetzt, der auch Finanzen und Po- 
lizei in Aufsicht nahm. Die Bürgerversamm- 
lungen wurden immer seltener, Bürgerschaft und 
Rat einander immer fremder. Je mehr Better- 
schaft und Eidamschaft Zunft und Rat verdarb, 
um so häufiger hatte der Staat Veranlassung, 
in das städtische Ressort einzugreifen. Das gleich- 
zeitig herrschende Wirtschafts= und Rechtssystem 
legte ihm ein solches Vorgehen nahe. Schließlich 
war die Unterstützung ihrer Angehörigen die 
Hauptfunktion der Städte, und diese selbst wurden 
zu Staatsanstalten für Armenpflege. 
Durch die im 16. und 17. Jahrh. immer all- 
gemeiner ausgesprochene Verpflichtung der Ge- 
meinde, im Fall der Verarmung die Angehörigen 
zu unterstützen, hat sich der Begriff der Ge- 
meindeangehörigkeit immer engherziger 
und schroffer ausgebildet. Seit dem Verfall von 
Handel und Gewerbe und seit der Abnahme des 
Wohlstands waren die Bürgerschaften aus Furcht 
vor Konkurrenz und Übersetzung der Gewerbe 
immer mehr veranlaßt, die Freizügigkeit zu be- 
schränken, die Erlangung des Bürgerrechts, das 
vom Standpunkt der Teilnahme am Nahrungs- 
privilegium der Stadt betrachtet wurde, weil es 
auf bürgerliche Nutzung und Nahrung Anspruch 
gab, zu erschweren, den Zuzug Fremder durch 
Einzugsgelder zu verringern, die Eheschließung 
der Einheimischen zu überwachen. Man konnte in 
dem gesteigerten Aufnahmegeld an eine Kauf- 
summe und bei gebornen Bürgern an eine Art 
ererbten Bürgerrechts denken. Jetzt erst beim Ver- 
fall der Städte begann die eifersüchtige Aus- 
schließung der Nichtbürgerlichen vom Handwerk 
oder wurde wenigstens jetzt erst drückend empfun- 
den. Man kann sagen, die Absonderung der Stadt 
von der ländlichen Kultur wurde jetzt erst scharf 
durchgeführt, während man noch am Schluß des 
Mittelalters, wie die Zünfte der Gärtner, Wein- 
bauern und die Gemeindeweiden beweisen, sogar 
von einer Blüte des Ackerbürgertums in deutschen 
Städten sprechen kann, wo man es für Entartung 
gehalten hätte, wenn der Bürger seinen Milch- 
und Fleischbedarf nicht selbst produzierte. 
Das Bürgerrecht gewährte Teilnahme an 
den Privilegien und Gemeindegütern der Stadt,
	        
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