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wechselt, die ja sehr schlimm sein kann, auch wenn
beinahe der ganze Produktionspreis in Lohn-
zahlung aufging. Das von Carey als Beweis für
die Gerechtigkeit seines „Gesetzes“ angeführte po-
puläre Robinsonbeispiel (als Rechtfertigungsgrund
des Zinses noch bei Roscher, Nationalökonomie I,
§ 189) gibt keinen Aufschluß über das eigentliche
Zinsproblem, wie es v. Böhm-Bawerk (Kapital
und Kapitalzins I) dahin formuliert, daß der
auf den Anteil des Kapitals fallende Ertrag
mehr wert ist als das in der Erzielung des Er-
trags aufgezehrte Kapital. Robinson besitzt einen
Kahn, Freitag will ihn leihen. Robinson bemerkt
ihm, daß ihm dieser Kahn dienen kann, um an
einer fischreichen Stelle mit Leichtigkeit viermal so
viel Fische zu fangen, als er nötig hat, während
er ohne denselben seinen Unterhalt kaum zu ge-
winnen wisse. Freitag sieht dies ein und bewilligt
Robinson drei Viertel des Ertrags. Er selbst
steht sich zwar nicht viel besser als früher, aber
doch immerhin ein wenig besser. Er erübrigt Zeit
und mietet von Robinson nun auch ein Messer,
mit dessen Hilfe er sich ebenfalls einen Kahn ver-
fertigt. So sei die Tendenz zur Gleichheit eine
natürliche Folge des Reichtums. Carey übersieht
dabei, daß Robinson seinen Vorsprung inzwischen
noch mehr ausgenutzt haben kann, so daß am Ende
des Zeitabschnitts beide ungleicher dastehen können
als zu Beginn desselben (s. Lange, Mills Ansichten
219). Dem Franzosen Bastiat, der Careys Bei-
spiel den Sozialisten gegenüber verwertete, erwi-
derte Rodbertus (Beleuchtung der sozialen Frage
[18751 118), daß in diesem Beispiel der moderne
Arbeiter ja überhaupt gar nicht vertreten sei.
Der Kapitalentleiher sei ja nichts anderes als der
moderne Unternehmer, der sich bereitwillig mit dem
Kapitalverleiher in den auf Grund des Kapitals
gezogenen Gewinn teile. Der Streit woge heut-
zutage nicht zwischen Rentnern und Industriellen,
nicht unter den Eigentümern, sondern zwischen
Eigentümern einerseits und dem durch Taglohn
abgefundenen Arbeiter anderseits, dem Careys
„Gesetz“ vom abnehmenden Widerstand der Natur
wenig nütze. Carey läßt unerwähnt, daß es neben
dem Widerstand der Natur auch einen Widerstand
der Menschen gibt. Was hilft einem mittellosen
Arbeiter die größere Macht über die Natur? Kann
er sich nicht Werkzeuge verschaffen und aus eigenen
Mitteln von der Aussaat bis zur Ernte leben, so
muß er eben Lohnarbeiter werden, und der ganze
Vorteil der vermehrten Macht des Menschen über
die Natur fällt eben dem Unternehmer, bei dem
er Dienste nimmt, bzw. dem mit ihm teilenden
Rentner zu.
Gegenüber den im vorstehenden angedeuteten
Mängeln in der Methode, Mängeln in Benutzung
von Geschichte und Naturgeschichte sind Careys
bleibende Verdienste für die Theorie anzuerkennen,
auch wenn man nicht mit dem Lob übereinstimmt,
welches Careys bedeutendster Anhänger in Deutsch-
land, Dühring, seinerzeit (Kapital und Arbeit
Staatslexikon. I. 3. Aufl.
Carey.
1090
(18651 173) aussprach: Careys Sozialwissenschaft
seidie erste große Erscheinung, welche seit Ad. Smith
wirklich etwas Epochemachendes in die Welt ge-
bracht habe, oder Carey verhalte sich zur früheren
Nationalökonomie wie Kopernikus zum Ptolemä-
ischen System. Zwar hatte die Idee des Schutzzolls
schon List, der 1825 nach Amerika ausgewandert
war, ausgesprochen. List stützte sich auf sein Prinzip
der Nationalität der Wirtschaft und auf die Theorie
der produktiven Kräfte, Carey auf die zwischen
Landwirtschaft und industrieller Entwicklung eines
Landes bestehende Solidarität, indem er den
Schutzzoll in Beziehung brachte mit dem Prinzip
der Dezentralisation, Lokalisation und notwen-
digen Annäherung der Produzenten und Konfu-
menten. Unleugbar hat sich unter dem Einfluß
der Schutzzollidee die amerikanische Industrie rasch
entwickelt. Allein jene angebliche Annäherung der
Produzenten und Konsumenten, „wo die Fabrik
neben dem Acker steht“, blieb vereinzelt. Ist das
Inland ein so großes Gebiet wie die Vereinigten
Staaten von Amerika mit großen Verschieden-
heiten der klimatischen, Boden-, Bevölkerungs-
und Kulturverhältnisse der einzelnen Landesteile,
so tritt im Inland selbst eine breite räumliche
Trennung der vorherrschenden Agrarproduktion
und Industrie ein. Daher rührt in Amerika der
Gegensatz zwischen den Staaten an den großen
Seen und den atlantischen Küstenstaaten, zwischen
den Nord= und Südstaaten. Einem so großen
Staatswesen wie der Union müßte Carey demnach
zur Herstellung der „lokalen Entwicklung“ konse-
quent auch im Innern Schutzzölle geben, da die
äußere Umgrenzung die Industriekonzentration
nach Landesteilen mit daraus folgenden Trans-
portkosten usw. nicht verhüten kann. Ubrigens ist
eine solche räumliche (provinzielle, lokale) Indu-
striekonzentration, soweit sie auf natürlichen Be-
dingungen beruht, durchaus nicht schädlich, voraus-
gesetzt, daß die über allen Landesteilen stehende
Staatsautorität sich die Versöhnung und Aus-
gleichung des mit jener Verschiedenheit gegebenen
Interessenwiderstreits angelegen sein läßt. Richtig
ist ferner die ungünstige Lage eines Landes, das
nur Rohprodukte ausführt, gegenüber alten Kultur-
ländern, die mit Fabrikaten zahlen. Namentlich
in dieser Hinsicht haben wir gesehen, wie Carey
die Schaffung von Mannigfaltigkeit der Beschäf-
tigungsarten geschützt sehen will. „Wir lesen in
„Tausend und eine Nacht“ von einem Schiff, das
durch die Strömung an einen Magnetfelsen ge-
trieben wird, daß dieser alles Eisenwerk anzieht
und das Schiff in Trümmer fällt. Die Manu-
fakturen sind für die soziale Maschine dasselbe,
was das Eisenwerk für das Schiff“ (Grundlagen
Kap. 52). Careys immerhin übertriebene Angriffe
auf den Handel bestätigen den Satz, daß der
Handel als überwiegende oder gar ausschließliche
Beschäftigung eines Volkes schädlich wirke und
Verminderung der relativen Zahl der Handels-
leute, Beseitigung des Zwischenhandels, Aufkaufs,
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