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Kaufmannschaft diesem Gegenstand erhöhte
Aufmerksamkeit zuzuwenden. Im kommerziellen
Interesse haben namhafte Gelehrte, Grammatiker
wie Mathematiker, die damals bekannten krypto-
graphischen Methoden bereichert und vervollstän-
digt, so der Abt Johannes Tritheim (Trithemius,
1462/1516), der Jesuit Athan. Kircher und dessen
Schüler Kaspar Schott, letzterer in seinem großen
Werk: De magia universali (1676). Namentlich
im Zeitalter der Magie, Astrologie und Kabbala
bot man vielen Scharfsinn auf, neue Zeichen und
Regeln für die Geheimschrift zu erfinden, wozu
Thomas Willis bereits 1647 eine Art Steno-
gramm verwendet hat. Als sodann die Verkehrs-
bewegung lebhafter wurde, dauernde Interessen
ständige Vertretungen in auswärtigen Angelegen-
heiten unentbehrlich machten und in den diplo-
matischen Korps ein wichtiges Organ für die
Beziehungen der Staaten entstand, wurde es als
besonderer Vorzug eines diplomatischen Agenten
betrachtet, mit der Kryptographie wohl vertraut
zu sein. Als man sich dann auch in den Armeen,
besonders im Kriegsfall, chiffrierter Meldungen
bediente, war auch hier die Notwendigkeit ge-
geben, über Organe zu verfügen, die in der
Chiffrier= und Dechiffrierkunst geübt, sicher und
rasch arbeiteten. Daß die Kenntnis des Chiffern-
wesens auch für Untersuchungsrichter von größter
Wichtigkeit sein kann, zeigt die auffällige Tatsache,
daß besonders das gewerbsmäßige Verbrechertum
sich verdeckter und geheimschriftlicher Mitteilungen
weit öfter und geschickter bedient, als man gewöhn-
lich annimmt. Die richterliche Nachforschung wird
erheblich erleichtert und die Klarstellung einer
verwickelten Strafsache wesentlich gefördert, wenn
es gelingt, etwas Chiffriertes zu finden und zu
enträtseln. Auch die Liebhaberei für schwierige
arithmetische Probleme, die arithmétique amu-
sante, hat sich mit der Chiffrier= und Dechiffrier-
kunst befaßt und hierin Vorzügliches geleistet (s.
Herm. Schubert, Mathem. Mußestunden, 71907).
2. Technisches. Die neuzeitliche Technik
der Geheimschrift ist so reich entwickelt und viel-
gestaltig, daß die Lösung der Aufgabe, sie allseitig
zu beleuchten, nur von breit angelegten Hand-
büchern erwartet werden kann (s. die Literatur-
angaben am Schluß). Welche Geheimschrift ein-
fach, welche verwickelt ist, läßt sich auf den ersten
Blick schwer erkennen. Manche Chiffreschrift sieht
sehr kompliziert aus, ohne es zu sein, und manche
scheinbar einfach chiffrierte Mitteilung bereitet
dem geübtesten Fachmann große Schwierigkeiten.
Folgende Merkzeichen dürfen nicht übersehen wer-
den: a) die blinden Zeichen, die nichts bedeuten
und nur den Zweck haben, den Dechiffreur irre-
zuführen; b) Zeichen des Gegensinns, die besagen,
daß die Mitteilung im gegenteiligen Sinn auf-
zufassen sei; c) Annullierungszeichen, die an-
deuten, daß die ganze Mitteilung nichts gelte und
nur in der Absicht erfolgt sei, eine ganz falsche
Auffassung der Mitteilung zu erzielen; d) Wechsel-
Chiffrierkunst.
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zeichen, die zu verstehen geben, daß von da ab ein
anderer Schlüssel, eine andere Tabelle, eine andere
Sprache gelte. Was die Sprache betrifft, die zu
kennen sehr wesentlich ist, hat man ebenfalls Ge-
heimzeichen, Doppelbuchstaben, Doppelziffern
u. dgl. eingeführt, um anzudeuten, in welcher
Sprache, ob lateinisch, französisch, englisch, deutsch,
die Mitteilung abgefaßt ist. — Unter den ver-
schiedenartigen Systemen seien hervorgehoben die
Ziffernschrift, die Buchstabenchiffre, die Silben-
und Wortchiffre, die Verbindung von Zahlen,
Buchstaben und Interpunktionszeichen, dann die
Schablonenchiffre. Die einfachste Form der
Ziffernschrift besteht darin, daß für jeden Buch-
staben, für häufig gebrauchte Wörter und oft
vorkommende Sätze je eine oder mehrere Zahlen
gewählt sind. Einfach ist auch die Methode, wo-
nach die Buchstaben durch zwei kombinierte
Ziffern ausgedrückt werden. Man teilt die Buch-
luben in Gruppen und numeriert die letzteren,
cglpty aeinrwsbfkosxfdhmqazjuv
4 3 7 1 8
rS—
Jeder Buchstabe wird gebildet aus der Reihen-
folge der Buchstaben in der betreffenden Gruppe
und der Gruppennummer z. B. 57 33 23 24—
Sieg. Nach einer andern, ähnlichen Methode
(Ziffernschrift von Mirabeau) werden die Buch-
staben in fünf Gruppen geteilt, jede der aus fünf
Buchstaben bestehenden Gruppen hat die Nummer
1—5, unter die Gruppenbuchstaben sind gleich-
falls die Zahlen 1—5 gesetzt, z. B.
1.2. 3 4. 5.
alok rinvt hbseqgfczu'plydw
2345 12345|12345|12345|12345
Jeder Buchstabe wird dadurch ausgedrückt, daß
ein Bruch gebildet wird, dessen Zähler die Gruppen-
nummer anzeigt, während der Nenner die Stellen-
zahl ausdrückt. Da keine höhere Ziffer als 5 vor-
kommen kann, sind die Ziffern 6—9 und die 0
bedeutungslose Hilfsziffern, z. B.
30 27 37 46
36“ 29 46“
m
1
10.— Sieg.
Verwechselt man die Buchstaben des Alpha-
bets, setzt man statt a z. B. h, statt b 1 u. dgl.,
so hat man die einfachste Type der Buchstaben-
chiffre. Weit verläßlicher ist das obenerwähnte
System Tritheim, wesentlich verbessert durch jenes
von Kircher und Schott. Auf eine Tafel (table
carrée) werden 26mal die 25 Buchstaben des
Alphabets geschrieben, und zwar auf 26 Zeilen
verteilt. Das a der ersten Reihe wird etwas ein-
gerückt, so daß es über b der zweiten Zeile zu
stehen kommt, unter dem auf der dritten Linie c
folgt. Man verabredet ein geheimes Wort (Wahl-
wort, mot chitfrant). Wenn man den ersten
Buchstaben dieses Worts und den ersten Buch-
staben der Klarschrift (der zu übertragenden Mit-
teilung), jenen in der ersten Vertikallinie (Wahl-
linie), diesen in der ersten Horizontallinie
O
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