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haben, ohne redliche Ursache nicht entschlagen,
sondern im Namen ihrer Partheyen biß zu End
des Rechtens handeln wollen“. An dem keiser-
lichen Hofgericht, dem Reichshofrat, fungierten
20—30 Anwälte, sog. Reichshofratsagenten, die
der Präsident zu ernennen hatte. Wie an den
Reichsgerichten, so wurde in der Folge an den
einzelnen kaiserlichen Provinzialhofgerichten und
an den Untergerichten eine bestimmte Zahl von
Advokaten und Prokuratoren ein für allemal als
Beamte angestellt, welche unter Kontrolle der
Staatsgewalt standen. Im Lauf der Zeit flossen
die Amter der Prokuratur und der Advokatur
sachlich ineinander über, so daß zuletzt nulla inter
advocatos et procuratores differentia be-
stand. Leider waren die neuen Verhältnisse,
wie sie namentlich durch die Abschaffung der
Mündlichkeit und Offentlichkeit des gerichtlichen
Verfahrens sowie das ganze System der Staats-
verwaltung geschaffen wurden, der Hebung und
freien Entwicklung des Anwaltsstandes nichts
weniger als günstig. Dieser entbehrte infolge der
Schriftlichkeit und Heimlichkeit des Prozesses ganz
und gar des aus einem engen Zusammenhang mit
dem Volke hervorgehenden volkstümlichen Cha-
rakters; es fehlte dem Anwalt jede Gelegenheit, sich
durch hervorragendes Talent und tüchtige Wissen-
schaft öffentlich auszuzeichnen; seine ganze Tätig-
keit beschränkte sich auf das Anfertigen von end-
losen Schriftsätzen in der Schreibstube. Ferner
führte der in dem ganzen Verfahren herrschende
künstliche Formalismus und der langwierige,
schleppende Gang desselben dazu, daß die An-
wälte bei Führung der ihnen übertragenen Rechts-
sachen sich häufig unwürdiger Schikanen und er-
dichteter Einreden zur Verdunklung des wahren
Sachverhalts und zur Schädigung des materiellen
Rechts bedienten, die Prozesse zum Nachteil der
Parteien durch mehrere Instanzen hindurch in un-
gebührlicher Länge hinauszuziehen und dieselben
nur als Mittel schnöden Gelderwerbs zur Befrie-
digung maßloser Habgier zu mißbrauchen pflegten.
Die flache und geistlose Behandlung des Rechts-
stoffs und dessen mangelhafte theoretische Durch-
und Fortbildung ließen ein höheres wissenschaft-
liches Streben nicht aufkommen. Es fehlte den An-
wälten jedes freie Selbstbewußtsein, jedes Gefühl
der Unabhängigkeit und Standesehre; denn sie
waren, jeder Organisation entbehrend, der streng-
sten Disziplinargewalt der Gerichte, welche von
derselben in rücksichtsloser und oft höchst verletzender
Weise Gebrauch machten, schutzlos anheimgegeben.
„Der Kampf der Fürsprecher und Richter hörte
auf, die Fürsprecher wurden Sklaven der Richter;
sie mußten schmeicheln, um nichts zu verderben,
sie durften nicht widersprechen, um nicht unter-
zugehen.“ Der Zutritt zu den höheren Staats-
ämtern blieb ihnen verschlossen. Freie Konkurrenz
war unmöglich; vielmehr herrschte das Prinzip
staatlicher Konzession, um den starken Zudrang
zu der Advokatur und die Vermehrung dieses als
Advokatur.
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notwendiges Übel betrachteten Standes möglichst
zu beschränken. So verlor der Beruf der Advo-
katen Würde und Ansehen völlig; er sank zu einem
mißachteten konzessionierten Gewerbe von bloßen
Schreibern herab, meist unfähigen, charakterlosen,
habgierigen Menschen, welche dasselbe zu unlau-
teren, gewinnsüchtigen Zwecken betrieben und aus-
beuteten. Eine Ausnahmt bildeten allein die bei
den obersten Reichsgerichten fungierenden Advo-
katen, welche sich durch Ansehen und Wissenschaft
in rühmlicher Weise auszeichneten. Dazu kam,
daß das Volk seiner Erbitterung über die Mängel
des Gerichtsverfahrens in erster Linie gegen die
Advokaten Luft machte und gegen dieselben ver-
diente und unverdiente Beschwerden und Vorwürfe
erhob. Schon bald nach Einführung des römischen
Rechts hörte man, und zwar selbst von hervor-
ragenden Juristen, wie Zasius, laute Klagen, daß
dasselbe den Advokaten die Handhabe biete, um
das Recht zu verdrehen, und daß die Advokatur
als gemeines Gewerbe zum Geldwucher betrieben
werde. Durch die Advokaten seien die Gerichts-
händel unzählig, die Prozesse überaus kostspielig
geworden und fänden oft gar kein Ende mehr.
„Die Advokaten vergiften die Gerichte, sie spotten
der Richter, stören die Ruhe, suchen das Gemein-
wesen zu verwirren und sind den Himmlischen und
den Menschen verhaßt.“ Sie werden geradezu als
Raubritter bezeichnet, als „Rechtsbieger, Beutel-
schneider und Blutsauger“ u. dgl. mehr (vl. die
Darstellung bei Janssen, Gesch., des deutschen
Volkes I 16 18971 548 ff 561 ff). Auch in den
folgenden Jahrhunderten wird die Verkommen-
heit des Advokatenstandes vielfach bezeugt. So
sagt Leyser (Meditationes ad Pandectas), daß
die Advokaten alle Würde und jedes Ansehen ver-
loren haben, weshalb auch, abgesehen von wenigen
Ausnahmen, nur viles et ad alia negotia inepti
homunculi advocationem ambiunt. Justus
Möser (Patriotische Phantasien III 51) mißt dem
Gesetzgeber die Schuld dieses Zustands bei, indem
er den Advokaten bloß den Weg des Gewinstes über-
lassen habe, der immer gefährlicher wird, je weiter
er ohne Begleitung der Ehre fortgeht, und indem
er dieselben beständig auf dem Fuß eines gericht-
lichen Taglöhners oder Aktenkrämers halte. „Allent-
halben“, sagt Wangemann (Advokatenstand 87)
mit Recht, „wo die Justiz mit Formeln überladen
ist und der Streitlust zahllose Instanzen und Rechts-
mittel darbietet, da spricht sich am lautesten und
jammervollsten die Gefährlichkeit der Advokaten
aus, da sind sie am meisten als Blutegel verschrieen,
welche am Wohlstand der Nation nagen, als Po-
lypen, denen kein Brennen und Schneiden die Re-
produktionskraft nehmen kann. Vieles ist begrün-
det, vieles wird freilich übertrieben, und zwar von
denen, welche ein Opfer dieser Formen und Ver-
führungsmittel wurden, welche sich hinreißen ließen
durch die Künste eines ränkevollen Advokaten.“
„Gerichtsraben, giftige Ottern, Streitköpfe, Worte-
fänger, Zungendrescher, Rechtsverdreher, Gerichts-
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