Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

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wieder geltend zu machen. Durch freigebiges Ver- 
schenken von Reichs= und Familiengütern fand 
Friedrich II. (1212/50) in Deutschland bald An- 
hang; die großen Hoffnungen aber, die man für 
Kirche und Reich an das Auftreten dieses hochbe- 
gabten Fürsten knüpfte, gingen nicht in Erfüllung. 
Bald nach seinem Regierungsantritt in Deutsch- 
land widmete er seine großartige organisatorische 
Tätigkeit ausschließlich seinem Erbreich Sizilien, 
das er zu einem fast modernen Staat machte. Es 
sollte die Grundlage einer neuen Weltherrschaft 
werden. Die wiederholte Auflehnung der lombar= 
dischen Städte und der stets sich erneuernde Kampf 
mit den Päpsten hinderten jedoch die Ausführung 
dieses Plans und nötigten ihn außerdem, Deutsch- 
land sich selbst zu überlassen. Hier war die Regierung 
und spätere Empörung seines Sohnes, des Königs 
Heinrich, dem Streben der Fürsten nach Selb- 
ständigkeit ganz besonders förderlich. Bei seiner 
zweiten Anwesenheit in Deutschland (1235) mußte 
der Kaiser alle Anordnungen Heinrichs zu ihren 
Gunsten bestätigen und sogar die Erblichkeit der 
Lehen in weiblicher Linie anerkennen. Als das Konzil 
von Lyon 1245 Friedrich II. aller seiner Kronenver- 
lustig erklärte, stellten die geistlichen Fürsten seinem 
Sohn, dem deutschen König Konrad, den Land- 
grafen Heinrich Naspe von Thüringen und nach 
dessen Tod (1247) den jungen Grafen Wilhelm 
von Holland (gest. 1256) gegenüber. Die Ver- 
wirrung stieg aufs höchste, als Friedrich II. 
1250 mitten im unentschiedenen Kampf starb und 
ein frühzeitiger Tod Konrad IV. 1254 in Italien 
dahinraffte. 
Für Deutschland bezeichnet diese Periode die 
völlige Ausbildung der fürstlichen Landeshoheit, 
und das nun folgende große Interregnum 
vollendete die Umwandlung der deutschen Mon- 
archie in einen Föderativstaat. Zwar wurden so- 
gar zwei Könige gewählt, Alfons N. von Kastilien 
und Richard von Cornwallis. Aber sie vergeu- 
deten von den kaiserlichen Rechten so viel an die 
Fürsten, daß das Kaisertum den letzten Rest seiner 
Herrlichkeit verlor. Deutschland gestaltete sich zu 
einer losen Verbindung geistlicher, fürstlicher und 
ritterlicher Einzelgewalten, neben denen auch die 
Städte anfingen, eine wichtige politische Rolle zu 
spielen. Unter den letzten Hohenstaufen waren 
bereits die Hansa und der Rheinische Städtebund 
entstanden, allenthalben regte sich der Unabhängig- 
keits= und Gemeinsinn der Städte im Kampf 
gegen die fürstlichen Angriffe und das Fehderecht. 
Schon bei der auf Ausländer gefallenen Wahl 
hatte sich die fortschreitende Beschränkung des 
Wahlrechts auf eine kleine Anzahl von Fürsten 
gezeigt: sechs derselben traten endlich auf Be- 
treiben der rheinischen Bischöfe unter Nichtachtung 
der Ansprüche des Kastiliers zusammen und gaben 
am 1. Okt. 1273 dem Reich in dem fast güter- 
losen Grafen Rudolf von Habsburg ein 
neues Oberhaupt. Bei König und Fürsten traten 
seit dem Interregnum andere Bestrebungen her- 
Deutsches Reich. 
  
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vor. Die Fürsten wählten Könige mit geringer 
Hausmacht aus verschiedenen Geschlechtern, um 
desto ungestörter ihren persönlichen Vorteilen nach- 
gehen zu können. Die Könige dagegen suchten 
ihre Hausmacht zu stärken, um ihre Gewalt zu 
festigen und zu erweitern. Daher kümmerten sie 
sich von jetzt ab wenig um die italischen und 
kirchlichen Angelegenheiten und beschränkten ihre 
Tätigkeit auf Deutschland, wo sie Ruhe und Ord- 
nung zu schaffen und besonders die eigene Macht 
zu vergrößern suchten. So legte Rudolf I. 
(1273/91) den Grund zu Osterreichs künftiger 
Größe, so rang Adolf von Nassau (1292/98) er- 
folglos nach Erwerbung einer Hausmacht, bis er 
von den Kurfürsten für abgesetzt erklärt wurde. 
Die Versuche seines Gegners Albrecht I. (1298 
bis 1308), den habsburgischen Besitz zu befestigen, 
mißlangen und führten zum Abfall der Wald- 
stätte und zu seiner Ermordung. Glücklicher war 
sein Nachfolger Heinrich VII. von Luxemburg 
(1308/13), der durch Erwerbung Böhmens sein 
Geschlecht zum bedeutendsten der deutschen Fürsten- 
häuser erhob. Beseelt von dem Rittergeist der 
alten Zeit, zog er nach Italien, das ihn, allen 
voran Dante, sehnlichst erwartete, und erneuerte 
nach 62jähriger Unterbrechung die Kaiserwürde. 
Sein jähes Ende bewahrte ihn vor Enttäuschungen. 
Eine Doppelwahl rief neue Kämpfe und Wirren 
in Deutschland hervor: Friedrich III. von Oster- 
reich (1314/26) fand Hilfe bei der fürstlichen 
und ritterlichen Aristokratie. Ludwig IV. der 
Bayer stützte sich auf die Bürger der Städte, 
deren Privilegien er bestätigte und erweiterte. Die 
Einmischung des in Avignon residierenden Papstes 
Johann XXII., der die Entscheidung bei zwie- 
spältiger Wahl beanspruchte und 1324 das Inter- 
dikt über Deutschland aussprach, verschärfte den 
Streit, bis Friedrich 1326 die Regierung nieder- 
legte und Ludwig allgemein Anerkennung fand. 
Um in Zukunft die Rechtmäßigkeit des deutschen 
Königs nicht mehr von dem Ausspruch eines unter 
französischem Einfluß stehenden Papstes abhängen 
zu lassen, erklärten die Wahlfürsten 1338 auf 
dem Kurverein zu Rense, daß der von der Mehr- 
heit der Kurfürsten gewählte König durch die 
bloße Wahl, ohne Bestätigung des Papstes, zur 
Ausübung der königlichen Rechte befugt sei. Ein 
Reichstag zu Frankfurt machte darauf auch die 
Führung des Kaisertitels nur von der Wahl der 
Kurfürsten abhängig. Diese Bestimmungen sind die 
Vorboten der Auflösung des alten Verhältnisses 
zwischen Papsttum und Kaisertum, das die Gol- 
dene Bulle völlig beseitigte. Das gute Einver- 
nehmen Ludwigs mit den Fürsten schwand jedoch 
bald infolge der Rücksichtslosigkeit, mit welcher er 
die Vermehrung seiner Hausmacht betrieb: fünf 
Kurfürsten erhoben 1346 auf den Thron den 
Enkel Heinrichs VII., den Markgrafen Karl von 
Mähren, welchem die bayrische Partei nach Lud- 
wigs Ableben den Grafen Günther von Schwarz-- 
burg gegenüberstellte. Als dieser 1349 (kurz vor 
 
	        
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