Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

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mächte, und auf dem Reichstag hörte man die ge- 
hässigsten gegenseitigen Anklagen. Endlich trat 
Preußen, welches sich in seinen Interessen im 
Osten von Osterreich und Rußland bedroht 
glaubte, von dem Bündnis zurück und schloß 
1795 den beklagenswerten Separatfrieden zu 
Basel, in welchem es auf seine linksrheinischen Be- 
sitzungen verzichtete und gegen künftige Entschädi- 
gung versprach, Frankreichs Ausdehnung bis an 
den Rhein zu dulden. Zwischen Frankreich und 
Osterreich wurde der Krieg weitergeführt. Im 
Frieden von Campo Formio (1797) mußte sich 
dann auch Osterreich verpflichten, gegen die zu er- 
wartende französische Forderung, das linke Rhein= 
ufer abzutreten, nichts einzuwenden. Offentlich 
wurde die Integrität des Reichs verbürgt. Der 
Kongreß zu Rastatt nahm am 11. März 1799 
die Rheingrenze als Grundlage der Friedens- 
unterhandlungen zwischen Deutschland und Frank- 
reich an. Vor Abschluß seiner Tätigkeit aber be- 
gann der zweite Koalitionskrieg, welcher im Frie- 
den zu Luneville (9. Febr. 1801) dem Reich das 
linke Rheinufer kostete und dabei von dem Grund- 
satz ausging, daß aller Schaden der einzelnen 
Landesherren vom Reich getragen werden müsse. 
Die für das Entschädigungsgeschäft eingesetzte 
Reichsdeputation begann am 24. Aug. 1802 
ihre Beratungen, und der bis zum 25. Febr. 1803 
in 88 Paragraphen fertiggestellte Reichsdepu- 
tations-Hauptschluß bestimmte als Ent- 
schädigungsobjekte einzuziehendes Kirchengut und 
die Reichsstädte auf dem rechten Rheinufer, die 
bis auf sechs (Augsburg, Nürnberg, Frankfurt, 
Bremen, Hamburg und Lübeck) aufgehoben wur- 
den. Ein Reichsgutachten vom 24. März be- 
stätigte diese Bestimmungen. An Stelle der geist- 
lichen Kurfürstentümer Trier und Köln traten vier 
neue: Baden, Hessen-Kassel, Württemberg, Salz- 
burg. Der erzbischöfliche Stuhl von Mainz wurde 
nach Regensburg verlegt. Die Verteilung der 
Beute erfolgte nicht nach einem Rechtsgrundsatz, 
sondern nach den Vorschlägen und dem Willen 
Frankreichs und Rußlands: die Auflösung aller 
rechtlichen Grundlagen der deutschen Verfassung 
hatte sich somit vollzogen. Zwar fristete das Reich 
noch einige Jahre ein kümmerliches Dasein, war 
aber nicht imstande, die Ubergriffe des korsischen 
Machthabers (Besetzung von Hannover, Weg- 
führung des Herzogs von Enghien aus neutralem 
Boden u. a.) abzuwehren. Als 1805 Osterreich 
von neuem Frankreich zurückzuweisen versuchte, 
entschieden sich Bayern, Baden, Hessen-Darm- 
stadt, Nassau und Württemberg für Napoleon. 
Der Friede zu Preßburg, der jedem ein Stück 
aus der Kriegsbeute, Bayern und Württemberg 
den Königstitel brachte, leitete die territoriale 
Auflösung des Deutschen Reichs ein. Die Stif- 
tung des Rheinbunds vollendete sie. 
Am 12. Juli 1806 sagten sich 4 Kurfürsten 
und 12 Fürsten des südlichen und westlichen 
Deutschlands vom Reich los und schlossen zu Paris 
Deutsches Reich. 
den Rheinbund, zu dessen Protektor sich Napoleon 
  
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erklärte. Jeder der Verbündeten entsagte seinen 
aufs Reich bezüglichen Titeln (der Kurerzkanzler 
hieß fortan Fürst Primas) und verpflichtete sich, 
an jedem Kontinentalkrieg Frankreichs mit einer 
bestimmten Truppenzahl teilzunehmen. Die in 
ihren Gebieten liegenden reichsunmittelbaren Ter- 
ritorien einschließlich der beiden Reichsstädte Augs- 
burg und Nürnberg wurden eingezogen. Das lang 
erstrebte Ziel der deutschen Fürsten war endlich er- 
reicht:sie waren souverän. Franz II. (1792/1806), 
der schon 1804 den Titel eines erblichen Kaisers 
von Osterreich als Franz J. angenommen hatte, 
gab den Drohungen Napoleons nach und legte am 
6. Aug. 1806 die Würde eines deutschen Kaisers 
nieder. Die Reichsgerichte zu Wetzlar und Wien 
und der Reichstag zu Regensburg lösten sich auf. 
Nach der Niederlage Preußens erweiterte sich der 
Rheinbund auf 33 Mitglieder und umfaßte das 
ganze ehemalige deutsche Reich außer Osterreich 
und dem stark verkleinerten Preußen. Immer über- 
mütiger und willkürlicher verfuhr Napoleon mit 
Deutschlands Fürsten, unter denen seit 1808 sein 
Bruder Jérôme als König von Westfalen in Kassel 
thronte. Schließlich vereinigte er 1810 Lübeck, 
Hamburg, Bremen, Oldenburg, Ostfriesland, das 
Großherzogtum Berg und einen großen Teil des 
Königreichs Westfalen mit Frankreich. 
Aber in dieser tiefen Schmach Deutschlands lag 
der Keim seiner Erhebung: hatte der Rheinbund 
eine Menge kleiner Fürsten und Republiken weg- 
gefegt, so erweckten der Hohn und Druck der frem- 
den Eroberer die geschwundene Vaterlandsliebe 
und das Gefühl der Zusammengehörigkeit in den 
Herzen der Deutschen. Die fortwährenden Kriege 
hoben und stählten den gesunkenen kriegerischen 
Geist des Volks. Der russische Feldzug des Jahrs 
1812 brach endlich den Zauber der Unüberwindlich- 
keit Napoleons. Die unterjochten Völker atmeten 
auf. Seit Jahrhunderten zum erstenmal wieder 
einte sich das gesamte deutsche Volk zu gemein- 
samem Kampf. Zweimal besiegt, mußte Frank- 
reich in den beiden Pariser Friedensschlüssen die 
seit 1792 von Deutschland losgerissenen Gebiets- 
teile wieder herausgeben, behielt jedoch wider alles 
Erwarten die früher auf deutsche Kosten gemachten 
Eroberungen. Das war das Werk des Wiener 
Kongresses, der am 1. Nov. 1814 zusammen- 
getreten war, um die europäischen und insbeson- 
dere die deutschen Angelegenheiten endgültig zu 
regeln. Für letztere hatte sich ein Ausschuß der 
fünf Höfe von Wien, Berlin, München, Han- 
nover und Stuttgart gebildet, dem (zehn) ver- 
schiedene Entwürfe vorgelegt wurden, die der Be- 
ratung über die zukünftige Verfassung Deutsch- 
lands als Grundlage dienen sollten. Während 
die deutschen Kleinstaaten dem Abschluß des in 
Aussicht genommenen Bundesvertrags mit zu- 
stimmendem Vertrauen entgegensahen und die 
beiden Großmächte die verfassungsmäßige Fest- 
setzung der Rechte der deutschen Staatsangehörigen
	        
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