1215
mächte, und auf dem Reichstag hörte man die ge-
hässigsten gegenseitigen Anklagen. Endlich trat
Preußen, welches sich in seinen Interessen im
Osten von Osterreich und Rußland bedroht
glaubte, von dem Bündnis zurück und schloß
1795 den beklagenswerten Separatfrieden zu
Basel, in welchem es auf seine linksrheinischen Be-
sitzungen verzichtete und gegen künftige Entschädi-
gung versprach, Frankreichs Ausdehnung bis an
den Rhein zu dulden. Zwischen Frankreich und
Osterreich wurde der Krieg weitergeführt. Im
Frieden von Campo Formio (1797) mußte sich
dann auch Osterreich verpflichten, gegen die zu er-
wartende französische Forderung, das linke Rhein=
ufer abzutreten, nichts einzuwenden. Offentlich
wurde die Integrität des Reichs verbürgt. Der
Kongreß zu Rastatt nahm am 11. März 1799
die Rheingrenze als Grundlage der Friedens-
unterhandlungen zwischen Deutschland und Frank-
reich an. Vor Abschluß seiner Tätigkeit aber be-
gann der zweite Koalitionskrieg, welcher im Frie-
den zu Luneville (9. Febr. 1801) dem Reich das
linke Rheinufer kostete und dabei von dem Grund-
satz ausging, daß aller Schaden der einzelnen
Landesherren vom Reich getragen werden müsse.
Die für das Entschädigungsgeschäft eingesetzte
Reichsdeputation begann am 24. Aug. 1802
ihre Beratungen, und der bis zum 25. Febr. 1803
in 88 Paragraphen fertiggestellte Reichsdepu-
tations-Hauptschluß bestimmte als Ent-
schädigungsobjekte einzuziehendes Kirchengut und
die Reichsstädte auf dem rechten Rheinufer, die
bis auf sechs (Augsburg, Nürnberg, Frankfurt,
Bremen, Hamburg und Lübeck) aufgehoben wur-
den. Ein Reichsgutachten vom 24. März be-
stätigte diese Bestimmungen. An Stelle der geist-
lichen Kurfürstentümer Trier und Köln traten vier
neue: Baden, Hessen-Kassel, Württemberg, Salz-
burg. Der erzbischöfliche Stuhl von Mainz wurde
nach Regensburg verlegt. Die Verteilung der
Beute erfolgte nicht nach einem Rechtsgrundsatz,
sondern nach den Vorschlägen und dem Willen
Frankreichs und Rußlands: die Auflösung aller
rechtlichen Grundlagen der deutschen Verfassung
hatte sich somit vollzogen. Zwar fristete das Reich
noch einige Jahre ein kümmerliches Dasein, war
aber nicht imstande, die Ubergriffe des korsischen
Machthabers (Besetzung von Hannover, Weg-
führung des Herzogs von Enghien aus neutralem
Boden u. a.) abzuwehren. Als 1805 Osterreich
von neuem Frankreich zurückzuweisen versuchte,
entschieden sich Bayern, Baden, Hessen-Darm-
stadt, Nassau und Württemberg für Napoleon.
Der Friede zu Preßburg, der jedem ein Stück
aus der Kriegsbeute, Bayern und Württemberg
den Königstitel brachte, leitete die territoriale
Auflösung des Deutschen Reichs ein. Die Stif-
tung des Rheinbunds vollendete sie.
Am 12. Juli 1806 sagten sich 4 Kurfürsten
und 12 Fürsten des südlichen und westlichen
Deutschlands vom Reich los und schlossen zu Paris
Deutsches Reich.
den Rheinbund, zu dessen Protektor sich Napoleon
1216
erklärte. Jeder der Verbündeten entsagte seinen
aufs Reich bezüglichen Titeln (der Kurerzkanzler
hieß fortan Fürst Primas) und verpflichtete sich,
an jedem Kontinentalkrieg Frankreichs mit einer
bestimmten Truppenzahl teilzunehmen. Die in
ihren Gebieten liegenden reichsunmittelbaren Ter-
ritorien einschließlich der beiden Reichsstädte Augs-
burg und Nürnberg wurden eingezogen. Das lang
erstrebte Ziel der deutschen Fürsten war endlich er-
reicht:sie waren souverän. Franz II. (1792/1806),
der schon 1804 den Titel eines erblichen Kaisers
von Osterreich als Franz J. angenommen hatte,
gab den Drohungen Napoleons nach und legte am
6. Aug. 1806 die Würde eines deutschen Kaisers
nieder. Die Reichsgerichte zu Wetzlar und Wien
und der Reichstag zu Regensburg lösten sich auf.
Nach der Niederlage Preußens erweiterte sich der
Rheinbund auf 33 Mitglieder und umfaßte das
ganze ehemalige deutsche Reich außer Osterreich
und dem stark verkleinerten Preußen. Immer über-
mütiger und willkürlicher verfuhr Napoleon mit
Deutschlands Fürsten, unter denen seit 1808 sein
Bruder Jérôme als König von Westfalen in Kassel
thronte. Schließlich vereinigte er 1810 Lübeck,
Hamburg, Bremen, Oldenburg, Ostfriesland, das
Großherzogtum Berg und einen großen Teil des
Königreichs Westfalen mit Frankreich.
Aber in dieser tiefen Schmach Deutschlands lag
der Keim seiner Erhebung: hatte der Rheinbund
eine Menge kleiner Fürsten und Republiken weg-
gefegt, so erweckten der Hohn und Druck der frem-
den Eroberer die geschwundene Vaterlandsliebe
und das Gefühl der Zusammengehörigkeit in den
Herzen der Deutschen. Die fortwährenden Kriege
hoben und stählten den gesunkenen kriegerischen
Geist des Volks. Der russische Feldzug des Jahrs
1812 brach endlich den Zauber der Unüberwindlich-
keit Napoleons. Die unterjochten Völker atmeten
auf. Seit Jahrhunderten zum erstenmal wieder
einte sich das gesamte deutsche Volk zu gemein-
samem Kampf. Zweimal besiegt, mußte Frank-
reich in den beiden Pariser Friedensschlüssen die
seit 1792 von Deutschland losgerissenen Gebiets-
teile wieder herausgeben, behielt jedoch wider alles
Erwarten die früher auf deutsche Kosten gemachten
Eroberungen. Das war das Werk des Wiener
Kongresses, der am 1. Nov. 1814 zusammen-
getreten war, um die europäischen und insbeson-
dere die deutschen Angelegenheiten endgültig zu
regeln. Für letztere hatte sich ein Ausschuß der
fünf Höfe von Wien, Berlin, München, Han-
nover und Stuttgart gebildet, dem (zehn) ver-
schiedene Entwürfe vorgelegt wurden, die der Be-
ratung über die zukünftige Verfassung Deutsch-
lands als Grundlage dienen sollten. Während
die deutschen Kleinstaaten dem Abschluß des in
Aussicht genommenen Bundesvertrags mit zu-
stimmendem Vertrauen entgegensahen und die
beiden Großmächte die verfassungsmäßige Fest-
setzung der Rechte der deutschen Staatsangehörigen