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für notwendig erachteten, traten die mittleren
Staaten diesen anerkennenswerten Bestrebungen
nach Herstellung eines festen Bandes zwischen den
politischen Bestandteilen Deutschlands in einer
unbegrenzten Verkennung gerade ihrer Interessen
aufs hartnäckigste entgegen. Staaten wie Baden
und Württemberg pochten fortwährend auf ihre
kaum errungene „deutschfürstliche“ Souveränität
und hinderten zeitweise den gedeihlichen Fortgang
der Unterhandlungen. Die Rückkehr Napoleons
von Elba nach Frankreich am 1. März 1815
brachte dieselben wieder in Fluß. Drei neue
Einigungsvorschläge Preußens (2) und Osterreichs
fanden keinen Anklang, bis endlich Metternich
einen Verfassungsplan des deutschen Staaten-
bundes „im preußischen Einverständnis" vorlegte.
Auf Grund dieses Entwurfs fanden in elf Sitzungen
vom 23. Mai bis 10. Juni 1815 die Beratungen
sämtlicher deutschen Staaten mit Ausnahme Würt-
tembergs statt; auch Baden war von der sechsten
Konferenz ab nicht mehr vertreten. In der siebten
Sitzung wurde ein nach den Ergebnissen der bis-
herigen Beratungen umgearbeiteter Entwurf vor-
gelegt, aus welchem unmittelbar der Grundvertrag
des Deutschen Bundes, die Deutsche Bundesakte,
am 8. Juni 1815 hervorging. Da alle Versuche,
eine größere Einigung Deutschlands herbeizu-
führen, fehlgeschlagen waren, gab man die Idee
eines Bundesstaats notgedrungen auf und schuf
einen Staatenbund, dessen gleichberechtigte Glieder
nur auf die zu seinem Bestehen unumgänglich not-
wendigen Rechte zu verzichten hatten und als dessen
Zweck mehr die Sicherheit nach außen als die
Ordnung im Innern hervortrat.
Die Bundesakte ist unterzeichnet von Oster-
reich, Preußen, Dänemark (für Holstein), Bayern,
Sachsen, den Niederlanden (für Luxemburg),
Hannover, den beiden Hessen, Sachsen-Weimar,
Sachsen -Gotha, Sachsen -Coburg-Meiningen,
Sachsen-Hildburghausen, Sachsen-Coburg-Saal-
feld, Braunschweig, Oldenburg, Mecklenburg-
Schwerin, Mecklenburg-Strelitz, Anhalt-Dessau,
Anhalt-Cöthen, Anhalt -Bernburg, Hohen-
zollern -Hechingen, Hohenzollern = Sigmaringen,
Nassau, Liechtenstein, Schwarzburg-Sonders-
hausen, Schwarzburg-Rudolstadt, Waldeck, Reuß
älterer und jüngerer Linie, Schaumburg-Lippe,
Lippe und den vier freien Städten Lübeck, Frank-
furt, Bremen und Hamburg. Württemberg und
Baden gehören nicht zu den ursprünglichen
Unterzeichnern des Bundesvertrags, obwohl ihr
Beitritt in demselben bereits vorgesehen war und
später auch notgedrungen erfolgte. Ferner wurde
1817 die dem Großherzogtum Hessen 1806 ein-
verleibte Landgrafschaft Hessen -Homburg von
diesem Staat getrennt und als selbständiges Glied
in den Deutschen Bund ausgenommen, der dem-
nach zu damaliger Zeit aus 39 Mitgliedern be-
stand, von denen bei seiner Auflösung indessen
eine Anzahl durch Aussterben der regierenden Fa-
milien und Einverleibung ihrer Lande in andere
Staatslexikon. I. 3. Aufl.
Deutsches Reich.
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Staaten weggefallen waren, so daß 1866 noch
33 Bundesglieder existierten.
4. Der Deutsche Bund. Nach den all-
gemeinen Bestimmungen der Bundesakte war der
Deutsche Bund eine Vereinigung der souveränen
Fürsten und freien Städte zum Zweck der Erhal-
tung der äußern und innern Sicherheit Deutsch-
lands und der Unabhängigkeit und Unverletzbar-
keit der einzelnen deutschen Staaten (Art. 1 und 2).
Die Bundesglieder besitzen gleiche Rechte, und ihre
Angelegenheiten werden durch eine Bundes-
versammlung besorgt. Diese Versammlung
faßt ihre Beschlüsse der Regel nach in dem sog.
engeren Rat, in welchem die elf größten Staaten
(Osterreich, Preußen, Bayern, Sachsen, Hannover,
Württemberg, Baden, Kurhessen, Großherzogtum
Hessen, Dänemark und die Niederlande) je eine,
mehrere kleinere Staaten zusammen eine Stimme
führen. Die Gesamtzahl der Stimmen im engeren
Rat beträgt 17. In bestimmten Fällen, wo es auf
Abänderung der Grundgesetze des Bundes, auf
Beschlüsse, welche die Bundesakte selbst betreffen,
auf organische Bundeseinrichtungen und gemein-
nützige Anordnungen ankommt, gestaltet sich die
Bundesversammlung zu einem Plenum, in welchem
jedes einzelne Bundesglied wenigstens eine Stimme
führt, während die größeren mehrere (bis zu vier)
haben, wonach sich eine Gesamtstimmenzahl von 63
ergibt. In beiden Versammlungen führte OÖster-
reich den Vorsitz und entschied bei Stimmengleich-
heit. In dem engeren Rat, in dem auch die im
Plenum zu erledigenden Gegenstände vorbereitet
wurden, entschied die absolute Mehrheit der Stim-
men, während ein gültiger Beschluß im Plenum
eine Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmen
erforderte. Beschlüsse wegen Anderung der Grund-
gesetze des Bundes, wegen organischer Bundes-
einrichtungen sowie solche, die sich auf iura sin-
gulorum oder Religionsangelegenheiten bezogen,
bedurften in beiden Versammlungen der Stimmen-
einhelligkeit. Die Bundesversammlung war be-
ständig, hatte indessen das Recht, sich auf höchstens
vier Monate zu vertagen: ihr Sitz war Frankfurt
a. M. Die Mitglieder versprachen sich, Deutsch-
land sowie die einzelnen Bundesstaaten gegen
jeden Angriff in Schutz zu nehmen, und garan-
tierten sich ihre im Bund befindlichen Besitzungen.
Sie verzichteten bei einmal erklärtem Bundeskrieg
auf einseitige Verhandlungen und einseitigen Ab-
schluß eines Waffenstillstands und Friedens. Sie
verpflichteten sich, keine Bündnisse gegen die Sicher-
heit des Bundes oder einzelner Bundesstaaten ein-
zugehen, einander unter keinerlei Vorwand zu be-
kriegen, vielmehr ihre Streitigkeiten unter Ver-
mittlung des Bundes, durch eine wohlgeordnete
Austrägalinstanz austragen zu lassen. Von den
besondern Bestimmungen ist zu erwähnen die Ver-
pflichtung eines jeden Bundesstaats, für eine ge-
ordnete Rechtspflege durch Verordnung eines Ge-
richts dritter Instanz, entweder für sich allein oder
in Vereinigung mit benachbarten Bundesstaaten,
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