Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

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Zensur für statthaft erklärten. Die Regierungen 
machten sich auch verbindlich, Angriffe auf den 
Bund und dessen festgestellte Grundsätze in den 
Ständeversammlungen nicht mehr zu dulden. 
Diese Maßregeln legten die Wirksamkeit der 
revolutionären Bestrebungen lahm und vertrieben 
ihre Anhänger ins Ausland. Unter dem deutschen 
Volk, das für die Bestrebungen des Liberalismus 
nur geringe Teilnahme zeigte, herrschte bis 1848 
Ruhe, die selbst 1837 durch die Vorgänge in 
Hannover, wo Ernst August die Verfassung von 
1833 aufhob, nur vorübergehend gestört wurde. 
Diese Zeit hätte der Bund zu seinem innern Aus- 
bau benutzen sollen, um die revolutionären Ideen 
nicht nur durch polizeiliche und strafgesetzliche 
Maßnahmen, sondern zugleich geistig durch Weiter- 
entwicklung nach gesunden Grundsätzen zu be- 
kämpfen. Daß dies nicht geschah, lag zunächst in 
dem bis zur Angstlichkeit gesteigerten Sinn der 
Legalität (d. h. der Unantastbarkeit der geschrie- 
benen Gesetze) des Beherrschers Osterreichs und 
in der Person Metternichs, der nicht geeignet war, 
die Entwicklung des Bundes zu fördern. Preußens 
Interesse erforderte wohl damals die Erhaltung 
des Deutschen Bundes, nicht aber seine Fortent- 
wicklung. Einer solchen widerstrebte endlich auch 
das überspannte Souveränitätsgefühl der Mittel- 
staaten, die im Nachgeben an den Liberalismus 
und in der Stärkung der Bureaukratie das Heil 
der Zukunft sahen. Für die Falschheit dieser An- 
schauung lieferte das Jahr 1848 den vollgültigen 
Beweis. 
Nach der Februarrevolution fanden in verschie- 
denen mittleren und kleineren deutschen Staaten 
System= und Regierungswechsel statt, welche sich 
hie und da ohne Rücksicht auf die bestehenden 
Bundesbeschlüsse vollzogen. Vergebens bemühte 
sich der Bund, die Bewegung in der Hand zu be- 
halten. Schon am 5. März hatten sich eine Anzahl 
(51) Vertrauensmänner aus allen Teilen Deutsch- 
lands in Heidelberg zusammengefunden und be- 
schlossen, eine größere Versammlung solcher Ver- 
trauensmänner zu veranlassen, um über die zukünf- 
tige Verfassung mit Nationalvertretung zu beraten. 
Sie setzten zugleich einen sog. Siebenerausschuß 
zur Vorbereitung ein, welcher die Versammlung 
auf den 30. März nach Frankfurt berief. Nun- 
mehr forderte auch die Bundesversammlung die 
Regierungen auf, Vertrauensmänner, und zwar 
einen auf jede der 17 Stimmen des engeren Rats, 
zu entsenden. Mittlerweile hatten am 13. März 
in Wien und am 18. und 19. März in Berlin 
Revolten stattgefunden. Hiermit war der Erfolg 
der Bewegung in ganz Deutschland entschieden, 
und der Bund beschloß am 30. März, die Regie- 
rungen zur Anordnung der Wahl von National-= 
vertretern aufzufordern. 
Die nach Frankfurt einberufenen Vertrauens- 
männer (das sog. Vorparlament) tagten da- 
selbst vom 31. März bis 4. April, stellten die 
Grundlagen der zu erlassenden Verfassung auf 
Deutsches Reich. 
  
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und setzten namentlich einen sog. Fünfzigerausschuß 
zur Beratung und Unterstützung der Bundesver- 
sammlung ein. Dieser Zeitabschnitt war für das 
monarchische Prinzip der gefährlichste, indem sich 
die allgemeine Stimme so sehr für republikanische 
Einrichtungen aussprach, daß die Beseitigung der 
einzelnen Regierungen einen Augenblick nahezu 
zweifellos erschien. Erst der Heckersche Aufstand 
zwang die gemäßigten Elemente der Bewegung 
zur Trennung von den Radikalen. Diesen Augen- 
blick hätten die Regierungen zur Einrichtung einer 
Exekutive benutzen sollen. Dies wurde jedoch ver- 
säumt und dadurch der am 18. Mai zusammen- 
getretenen Nationalversammlung eine un- 
beschränkte Macht in die Hand gegeben. „Das 
Deutsche Parlament“ verlor indes seine Zeit mit 
zwecklosen Erörterungen über Tagesfragen und 
der Beratung des rein doktrinären Verfassungs- 
entwurfs. Um endlich eine Zentralgewalt zu schaf- 
fen, wählte man am 29. Juni einen Reichsver- 
weser, den Erzherzog Johann von Osterreich, der 
aber in Ermanglung von Exekutivorganen keine 
Exekution hatte. Am 12. Juli löste sich die Bun- 
desversammlung auf. 
Die Nationalversammlung hatte die revolutio- 
nären Wogen aufgewühlt und war nach ihrer 
ganzen Zusammensetzung nicht geeignet, sie zu be- 
ruhigen. Die Leidenschaften wuchsen in dem Grad, 
daß am Sitz der Versammlung am 18. Sept. 
1848 die Abgeordneten Fürst Lichnowsky und 
v. Auerswald ohne allen Grund angefallen und 
schmachvoll ermordet wurden. Ein versuchter Auf- 
stand mußte durch Militärmacht unterdrückt wer- 
den. Die Nationalversammlung brachte unter 
heftigen Parteikämpfen außer einigen andern Ge- 
setzen das über „die Grundrechte des deutschen 
Volks“ (21. Dez. 1848) und über die Reichs- 
verfassung zustande. Zur Durchführung dieser 
Gesetze war eine starke Zentralgewalt nötig. Dar- 
über spaltete sich die Versammlung in eine klein- 
deutsche Partei (Gagern, Arndt, Dahlmann), die 
einen deutschen Bund unter Preußens Leitung 
mit Ausschluß Osterreichs herstellen wollte, und 
eine großdeutsche, die der preußischen Vormacht 
auch aus konfessionellen Gründen widerstrebte. 
Do die zentralisierende demokratische Reichsver- 
fassung die Einzelstaaten bestehen ließ, ihre Rechte 
aber mißachtete, trug sie den Keim der Auflösung 
und des Ubergangs zur Republik in sich. Dies 
war wohl auch der Grund, daß der König von 
Preußen, den die Nationalversammlung am 
28. März 1849 mit schwacher Mehrheit zum erb- 
lichen Kaiser der Deutschen gewählt hatte, erklärte, 
durch diese Wahl zwar ein Anrecht auf die Krone 
zu haben, aber ohne Zustimmung der Fürsten 
keinen Beschluß fassen zu können. Da die Versuche, 
die Versammlung zu einer Anderung der Ver- 
fassung zu bewegen, vergeblich waren, erklärte die 
preußische Regierung am 28. April 1849 ihre 
endgültige Ablehnung. Österreich, Bayern und 
Hannover erkannten die Reichsverfassung nicht an,
	        
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