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anwaltsordnung für das Deutsche
Reich vom 1. Juli 1878 (vgl. Weißler a. a. O.
Kap. 59 f), womit namentlich die einschlägigen
Bestimmungen der Zivilprozeßordnung
Buch J, Abschn. 1, Tit. 4, 88 78/ 90 über „Prozeß-
bevollmächtigte und Beistände“ und der Straf-
prozeßordnung Buch I, Abschn. 11, 88 137
bis 150 über „Verteidigung“, sowie die Gebühren-
ordnung für Rechtsanwälte vom 7. Juli
1879 (val. auch das preußische Gesetz, enthaltend
dielandesgesetzlichen Vorschriften über die Gebühren
der Rechtsanwälte vom 27. Sept. 1899) zu ver-
binden sind. Die Rechtsanwaltschaft, welche der
neuen Gestaltung des Verfahrens gemäß im Inter-
esse der Zweckmäßigkeit und Kostenersparnis die
Funktionen des Anwalts und des Advokaten ver-
einigt, ist kein Staatsamt; demzufolge haben
die Rechtsanwälte weder die Rechte noch die Pflichten
eines Staatsbeamten. Doch findet die Gewerbe-
ordnung auf die advokatorische Praxis keine An-
wendung. Die Freigebung der Rechtsanwalt-
schaft ist in der Weise durchgeführt, daß keine Kon-
zessionierung nach freiem Ermessen der Staats-
behörde, auch keine Beschränkung durch die Zahl
der bereits fungierenden Anwälte stattfinden soll,
sondern daß im allgemeinen jeder, welcher die
Fähigkeit zum Richteramt in einem Bundesstaat
erlangt hat, bei den Gerichten dieses Staates
zur Rechtsanwaltschaft zugelassen werden muß und
in jedem Bundesstaat zugelassen werden kann.
Die Fähigkeit zur Rechtsanwaltschaft be-
ruht hiernach auf der nämlichen Voraussetzung
wie diejenige zum Richteramt (drei= bzw. vier-
jähriges Studium der Rechtswissenschaft auf einer
Universität, vier-bzw. dreijähriger Vorbereitungs-=
dienst und Ablegung zweier Prüfungen; ferner
ist befähigt jeder ordentliche öffentliche Lehrer des
Rechts an einer deutschen Universität). Die Zu-
lassung erfolgt durch die Landesjustizverwal-
tung, welche über den desfallsigen Antrag nach gut-
achtlicher Anhörung des Vorstands der Anwalts-
kammer entscheidet. Das Gesetz statuiert eine Reihe
von Gründen teils obligatorischen teils fakulta-
tiven Charakters, aus welchen allein die Zulassung
versagt werden darf. Sie muß versagt werden,
wenn der Antragsteller 1. durch strafgerichtliches
Urteil die Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher
Amter verloren hat oder zur Zeit nicht besitzt;
2. durch ehrengerichtliches Urteil von der Rechts-
anwaltschaft ausgeschlossen ist oder sich eines Ver-
haltens schuldig gemacht hat, welches eine solche
Ausschließung bedingen würde; 3. durch gericht-
liche Anordnung (Konkurs oder Entmündigung)
in der Verfügung über sein Vermögen beschränkt
ist; 4. ein Amt bekleidet oder eine Beschäftigung
betreibt, welche mit dem Beruf oder der Würde
der Rechtsanwaltschaft nicht vereinbar ist; 5. wegen
eines körperlichen Gebrechens oder Schwäche der
körperlichen oder geistigen Kräfte zur Erfüllung
der Pflichten eines Rechtsanwalts dauernd unfähig
ist. Die Zulassung kann versagt werden, wenn
Advokatur.
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der Antragsteller 1. während dreier Jahre im juri-
stischen Beruf nicht tätig gewesen ist; 2. durch
strafgerichtliches Urteil die Fähigkeit zur Bekleidung
öffentlicher Amter auf Zeit verloren hatte; 3. als
Rechtsanwalt innerhalb der letzten zwei Jahre im
ehrengerichtlichen Verfahren mit Verweis oder
Geldbuße von über 150 M bestraft worden ist.
Unter besondern Voraussetzungen (wenn wesent-
liche Erfordernisse der anwaltlichen Tätigkeit in
Wegfall gekommen oder die Zulassung nur aus
Unkenntnis der eine Zurückweisung rechtfertigen-
den Verhältnisse erteilt worden war) muß oder
kann die Zurücknahme der Zulassung durch die
Landesjustizverwaltung nach Anhörung des Rechts-
anwalts und des Vorstandes der Anwaltskammer
erfolgen. Ein weiteres Prinzip stellt die neue
Reichsgesetzgebung auf in der Lokalisierung
der Anwaltschaft, indem die Zulassung des Rechts-
anwalts bei einem bestimmten Gericht erfolgt.
Jedoch bestehen im Interesse der Rechtspflege von
dieser Regel eine Reihe von Ausnahmen, insofern
in den durch das Gesetz speziell vorgesehenen Fällen
ein Rechtsanwalt bei mehreren Gerichten zugleich
zugelassen werden kann. Im engsten Zusammen-
hang mit der Lokalisierung steht die behufs Garan-
tierung einer ordentlichen Prozeßführung gebotene
Residenzpflicht der Rechtsanwälte, wonach
dieselben in der Regel an dem Ort des Gerichts,
bei welchem sie zugelassen sind, ihren Wohnsitz
nehmen und, falls eine Ausnahme von dieser Regel
gestattet ist, doch bei dem betreffenden Gericht einen
an dem Ort desselben wohnhaften ständigen Zu-
stellungsbevollmächtigten bestellen müssen. Sobald
der Rechtsanwalt in öffentlicher Gerichtssitzung den
Eid geleistet, die Pflichten eines Rechtsanwalts
gewissenhaft zu erfüllen, und seinen Wohnsitz ge-
nommen hat, wird er in die bei jedem Gericht
zu führende Liste der bei demselben zugelassenen
Rechtsanwälte eingetragen. Die Eintragung ist zu
löschen, wenn der Rechtsanwalt stirbt oder infolge
Urteils die Fähigkeit zur Ausübung der Rechts-
anwaltschaft verliert oder seine Zulassung aufgibt,
oder wenn letztere zurückgenommen wird. Die
Stellvertretung eines an der Ausübung
seines Berufs zeitweise verhinderten Rechtsanwalts
kann nur einem Rechtsanwalt oder einem Rechts-
kundigen, welcher mindestens zwei Jahre im Vor-
bereitungsdienst beschäftigt gewesen ist, übertragen
werden. Der Rechtsanwalt ist auf Grund der
Zulassung bei einem Gericht in den Sachen, auf
welche die Strafprozeßordnung, die Zivilprozeß-
ordnung und die Konkursordnung Anwendung
finden, befugt, vor jedem Gericht innerhalb des
Reichs Verteidigungen zu führen, als Beistand
aufzutreten und, insoweit eine Vertretung durch
Anwälte nicht geboten ist, die Vertretung zu über-
nehmen. (In nichtstreitigen gerichtlichen und in
außergerichtlichen Angelegenheiten entscheiden über
die Befugnisse des Rechtsanwalts die Landesgesetze.)
Nach § 17 des Reichsgesetzes vom 7. April 1900
über die Konsulargerichtsbarkeit werden