Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

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3. Auch das B.G.B. nahm in den 8§ 611/630 
einen Teil der gemeinrechtlichen Grundsätze auf, 
hat jedoch den Dienstvertrag den modernen Ver- 
kehrsanschauungen angepaßt und die wirtschaft- 
liche und soziale Seite desselben fortgebildet. Die 
modernen Anschauungen kennen keinen Unterschied 
zwischen freien und unfreien Arbeiten (liberales 
und illiberales operae), wenn auch selbstredend 
zwischen handwerksmäßig gelernter und der höhe- 
ren wissenschaftlichen Arbeit immer unterschieden 
werden wird. Aber als Lohnarbeit ist jede Arbeit 
zivilrechtlich gleich zu veranschlagen. Gegenstand 
des Dienstvertragsist deshalb nach dem B.G.B. jede 
Leistung, werde sie vom Handwerker oder Arbeiter 
als körperliche und handwerksmäßige oder vom 
Arzt, Anwalt, Privatbeamten, Erzieher u. dgl. als 
geistige Arbeit geleistet. Die Arzte und Anwälte 
protestierten gegen diese Auffassung. Sie machten 
geltend, da sie ihre Dienste nicht nach den Wei- 
sungen des Empfängers der Dienstleistung richteten, 
könne von einem Dienstvertrag nicht die Rede sein, 
ihre Tätigkeit würde dadurch herabgewürdigt. Die 
Anwaltschaft gab später ihren Standpunkt auf 
(Protokolle II 277). Die Sozialdemokratie wollte 
unter dem Dienstvertrag nur die häuslichen, wirt- 
schaftlichen und gewerblichen Dienste aufgenommen 
haben, alle übrigen sollten unter den „Werkvertrag“ 
fallen. Gegen diese Auffassung wandten sich jedoch 
die Mehrheitsparteien. Das Dienstverhältnis zwi- 
schen dem Staat und dessen Beamten regelt das 
B. G. B. nicht. 
Durch den Dienstvertrag des bürgerlichen Rechts 
verpflichtet sich der eine Vertragschließende zur 
Leistung von Diensten, der andere zu einer Ver- 
gütung. Gegenstand des Dienstvertrags sind 
Dienste jeder Art (§ 611). Wesentlich ist, daß 
der Dienstvertrag entgeltlich ist. Eine Vergütung 
gilt deshalb als stillschweigend vereinbart, wenn 
die Dienstleistung nur gegen Vergütung zu er- 
warten ist. Sie wird meistens in Geld bestehen, 
aber auch andere Vermögenswerte gelten als Ge- 
genleistung. Die Vergütung ist postnumerando 
und wenn sie nach Zeitabschnitten bemessen ist, 
nach Ablauf der einzelnen Abschnitte fällig. Der 
Dienstverpflichtete muß also vorleisten. Ver- 
möge der persönlichen Seite des Dienstvertrags 
muß der Verpflichtete im Zweifel in Person leisten 
und kann der Berechtigte seinen Anspruch nicht 
abtreten (§ 613). Dem Schutz des wirtschaftlich 
Schwachen gelten die Bestimmungen über die 
Pflichten, die dem Dienstberechtigten in den 
§8 615 ff auferlegt sind. Bei Annahmeverzug des 
Berechtigten besteht Anspruch auf Vergütung ohne 
Pflicht zur Nachleistung des Dienstes. Der Ver- 
pflichtete muß sich jedoch das, was er infolge der 
Nichtleistung ersparte oder ersparen konnte oder zu 
erwerben böswillig unterließ, anrechnen lassen 
(8§615). Die Einrede des nichterfüllten Vertrags ist 
dem Berechtigten nicht zugebilligt; hierin ist zweifel- 
los eine außergewöhnliche Begünstigung des Ver- 
pflichteten zu ersehen, denn an sich hätte er keinen 
Dienstvertrag. 
  
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Anspruch auf Vergütung, da er ja nicht geleistet 
hat. Noch weiter geht der § 616, wonach dem 
Verpflichteten bei vorübergehender Verhinderung, 
z. B. Krankheit, militärischer Ubung u. dgl., der 
Anspruch auf Vergütung bleibt, sofern nicht die 
Verhinderung durch sein Verschulden verursacht ist. 
Die gesetzliche Kranken= und Unfallunterstützung 
muß er sich jedoch abziehen lassen, eine Bestim- 
mung, die für Handlungsgehilfen nicht gilt (H.G.B. 
§ 63, Abs. 2). 
Aus sozialpolitischen Erwägungen und Gründen 
der Humanität hat die Reichstagskommission 
über den Entwurf des Gesetzes hinaus bei gewissen 
Fällen den Dienstberechtigten eine weitgehende 
Fürsorgepflicht auferlegt. Ist der Verpflichtete 
bei einem dauernden Dienstverhältnis, das seine 
Erwerbstätigkeit vollständig oder hauptsächlich in 
Anspruch nimmt, in die häusliche Gemeinschaft 
aufgenommen (z. B. Gesellschafterin, Erzieherin 
u. dgl.), so muß der Berechtigte im Fall der Er- 
krankung den Verpflichteten auf die Dauer von 
6 Wochen verpflegen und ärztlich behandeln lassen. 
Es steht ihm aber frei, den Verpflichteten in einer 
Krankenanstalt unterzubringen. Eine Kündigung 
wegen dieser Erkrankung überhebt ihn seiner Ver- 
pflichtungen nicht. Nur bei vorsätzlicher oder 
grobfahrlässiger Selbstverschuldung der Krankheit 
oder Eintreten einer öffentlichen oder privaten 
Versicherung oder Einrichtung einer öffentlichen 
Krankenpflege entfällt die Verpflichtung (8 617). 
Diensträume und Gerätschaften sind, soweit es 
nach der Natur der Dienstleistung angängig ist, 
ungefährlich zu gestalten. Bei Personen, die in 
die häusliche Gemeinschaft aufgenommen sind, 
sind Wohn= und Schlafraum, Verpflegung, Ar- 
beits= und Erholungszeit, Gesundheit, Sittlichkeit 
und Religion des Verpflichteten zu berücksichtigen. 
Bei Gesundheitsschädigung infolge Unterlassung 
macht der Dienstberechtigte sich schadenersatzpflichtig 
und haftet nach den Vorschriften über unerlaubte 
Handlungen (5 618). Diese Schutzbestimmungen 
über die Fürsorgepflicht sind zwingendes Recht 
und können nicht durch vorausgehende Verein- 
barung aufgehoben oder beschränkt werden. Das 
Gesetz bezweckt hiermit, der Ausbeutung des wirt- 
schaftlich Schwachen vorzubeugen. Das Dienst- 
verhältnis endigt durch Zeitablauf oder Erfüllung 
seines Zwecks. Ist es auf unbestimmte Zeit einge- 
gangen, so steht jedem Teil ein Kündigungsrecht zu. 
Die Kündigungsfristen richten sich im allgemeinen 
nach der Zahlungszeit. Auch hier ist tunlichst auf 
die soziale Stellung des Verpflichteten Rücksicht 
genommen. Bei festen Bezügen und Diensten 
höherer Art, z. B. der Lehrer, Erzieher, darf nur auf 
Schluß eines Kalendervierteljahrs unter Einhal- 
tung einer sechswöchigen Frist gekündigt werden. 
Bei Verträgen, die auf längere Zeit als 5 Jahre 
eingegangen sind, ist aus volkswirtschaflichen 
Gründen dem Verpflichteten das Recht zugebil- 
ligt, unter Einhaltung einer sechsmonatigen Kün- 
digungsfrist zu kündigen. Kündigung ohne Ein- 
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