1285
3. Auch das B.G.B. nahm in den 8§ 611/630
einen Teil der gemeinrechtlichen Grundsätze auf,
hat jedoch den Dienstvertrag den modernen Ver-
kehrsanschauungen angepaßt und die wirtschaft-
liche und soziale Seite desselben fortgebildet. Die
modernen Anschauungen kennen keinen Unterschied
zwischen freien und unfreien Arbeiten (liberales
und illiberales operae), wenn auch selbstredend
zwischen handwerksmäßig gelernter und der höhe-
ren wissenschaftlichen Arbeit immer unterschieden
werden wird. Aber als Lohnarbeit ist jede Arbeit
zivilrechtlich gleich zu veranschlagen. Gegenstand
des Dienstvertragsist deshalb nach dem B.G.B. jede
Leistung, werde sie vom Handwerker oder Arbeiter
als körperliche und handwerksmäßige oder vom
Arzt, Anwalt, Privatbeamten, Erzieher u. dgl. als
geistige Arbeit geleistet. Die Arzte und Anwälte
protestierten gegen diese Auffassung. Sie machten
geltend, da sie ihre Dienste nicht nach den Wei-
sungen des Empfängers der Dienstleistung richteten,
könne von einem Dienstvertrag nicht die Rede sein,
ihre Tätigkeit würde dadurch herabgewürdigt. Die
Anwaltschaft gab später ihren Standpunkt auf
(Protokolle II 277). Die Sozialdemokratie wollte
unter dem Dienstvertrag nur die häuslichen, wirt-
schaftlichen und gewerblichen Dienste aufgenommen
haben, alle übrigen sollten unter den „Werkvertrag“
fallen. Gegen diese Auffassung wandten sich jedoch
die Mehrheitsparteien. Das Dienstverhältnis zwi-
schen dem Staat und dessen Beamten regelt das
B. G. B. nicht.
Durch den Dienstvertrag des bürgerlichen Rechts
verpflichtet sich der eine Vertragschließende zur
Leistung von Diensten, der andere zu einer Ver-
gütung. Gegenstand des Dienstvertrags sind
Dienste jeder Art (§ 611). Wesentlich ist, daß
der Dienstvertrag entgeltlich ist. Eine Vergütung
gilt deshalb als stillschweigend vereinbart, wenn
die Dienstleistung nur gegen Vergütung zu er-
warten ist. Sie wird meistens in Geld bestehen,
aber auch andere Vermögenswerte gelten als Ge-
genleistung. Die Vergütung ist postnumerando
und wenn sie nach Zeitabschnitten bemessen ist,
nach Ablauf der einzelnen Abschnitte fällig. Der
Dienstverpflichtete muß also vorleisten. Ver-
möge der persönlichen Seite des Dienstvertrags
muß der Verpflichtete im Zweifel in Person leisten
und kann der Berechtigte seinen Anspruch nicht
abtreten (§ 613). Dem Schutz des wirtschaftlich
Schwachen gelten die Bestimmungen über die
Pflichten, die dem Dienstberechtigten in den
§8 615 ff auferlegt sind. Bei Annahmeverzug des
Berechtigten besteht Anspruch auf Vergütung ohne
Pflicht zur Nachleistung des Dienstes. Der Ver-
pflichtete muß sich jedoch das, was er infolge der
Nichtleistung ersparte oder ersparen konnte oder zu
erwerben böswillig unterließ, anrechnen lassen
(8§615). Die Einrede des nichterfüllten Vertrags ist
dem Berechtigten nicht zugebilligt; hierin ist zweifel-
los eine außergewöhnliche Begünstigung des Ver-
pflichteten zu ersehen, denn an sich hätte er keinen
Dienstvertrag.
1286
Anspruch auf Vergütung, da er ja nicht geleistet
hat. Noch weiter geht der § 616, wonach dem
Verpflichteten bei vorübergehender Verhinderung,
z. B. Krankheit, militärischer Ubung u. dgl., der
Anspruch auf Vergütung bleibt, sofern nicht die
Verhinderung durch sein Verschulden verursacht ist.
Die gesetzliche Kranken= und Unfallunterstützung
muß er sich jedoch abziehen lassen, eine Bestim-
mung, die für Handlungsgehilfen nicht gilt (H.G.B.
§ 63, Abs. 2).
Aus sozialpolitischen Erwägungen und Gründen
der Humanität hat die Reichstagskommission
über den Entwurf des Gesetzes hinaus bei gewissen
Fällen den Dienstberechtigten eine weitgehende
Fürsorgepflicht auferlegt. Ist der Verpflichtete
bei einem dauernden Dienstverhältnis, das seine
Erwerbstätigkeit vollständig oder hauptsächlich in
Anspruch nimmt, in die häusliche Gemeinschaft
aufgenommen (z. B. Gesellschafterin, Erzieherin
u. dgl.), so muß der Berechtigte im Fall der Er-
krankung den Verpflichteten auf die Dauer von
6 Wochen verpflegen und ärztlich behandeln lassen.
Es steht ihm aber frei, den Verpflichteten in einer
Krankenanstalt unterzubringen. Eine Kündigung
wegen dieser Erkrankung überhebt ihn seiner Ver-
pflichtungen nicht. Nur bei vorsätzlicher oder
grobfahrlässiger Selbstverschuldung der Krankheit
oder Eintreten einer öffentlichen oder privaten
Versicherung oder Einrichtung einer öffentlichen
Krankenpflege entfällt die Verpflichtung (8 617).
Diensträume und Gerätschaften sind, soweit es
nach der Natur der Dienstleistung angängig ist,
ungefährlich zu gestalten. Bei Personen, die in
die häusliche Gemeinschaft aufgenommen sind,
sind Wohn= und Schlafraum, Verpflegung, Ar-
beits= und Erholungszeit, Gesundheit, Sittlichkeit
und Religion des Verpflichteten zu berücksichtigen.
Bei Gesundheitsschädigung infolge Unterlassung
macht der Dienstberechtigte sich schadenersatzpflichtig
und haftet nach den Vorschriften über unerlaubte
Handlungen (5 618). Diese Schutzbestimmungen
über die Fürsorgepflicht sind zwingendes Recht
und können nicht durch vorausgehende Verein-
barung aufgehoben oder beschränkt werden. Das
Gesetz bezweckt hiermit, der Ausbeutung des wirt-
schaftlich Schwachen vorzubeugen. Das Dienst-
verhältnis endigt durch Zeitablauf oder Erfüllung
seines Zwecks. Ist es auf unbestimmte Zeit einge-
gangen, so steht jedem Teil ein Kündigungsrecht zu.
Die Kündigungsfristen richten sich im allgemeinen
nach der Zahlungszeit. Auch hier ist tunlichst auf
die soziale Stellung des Verpflichteten Rücksicht
genommen. Bei festen Bezügen und Diensten
höherer Art, z. B. der Lehrer, Erzieher, darf nur auf
Schluß eines Kalendervierteljahrs unter Einhal-
tung einer sechswöchigen Frist gekündigt werden.
Bei Verträgen, die auf längere Zeit als 5 Jahre
eingegangen sind, ist aus volkswirtschaflichen
Gründen dem Verpflichteten das Recht zugebil-
ligt, unter Einhaltung einer sechsmonatigen Kün-
digungsfrist zu kündigen. Kündigung ohne Ein-
417