Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

1313 
die Verteilung des Grundbesitzes eine ungesunde 
in der Richtung ist, daß überwiegend großer 
Besitz vorhanden, mittlerer aber und damit auch 
ein kräftiger Bauernstand fehlt, dies der gedeih- 
lichen Entwicklung des Nationalwohlstandes nicht 
günstig ist. Wo also in einem solchen Land auch 
erheblicher Domänenbesitz vorhanden ist, da hat 
der Staat es in der Hand, durch Verkauf der 
Domänen unter Teilung derselben in kleinere 
bäuerliche Wirtschaften die bessere Gestaltung der 
Verhältnisse des Grundbesitzes zu fördern. Für 
diesen Vorgang weist die Geschichte eine Anzahl 
Beispiele auf. Wenn dagegen ganz allgemein be- 
hauptet werden soll, daß die Bewirtschaftung des 
Grundbesitzes in größeren Gütern für den Volks- 
wohlstand weniger wichtig sei als diejenige in 
kleineren, so geht dies zu weit. Beide Arten des 
Betriebs sind nebeneinander notwendig, um volks- 
wirtschaftlich und sozialpolitisch gesunde Verhält- 
nisse zu erhalten. Die Stellung der Domänen 
richtet sich in diesem Verhältnis wesentlich nach 
der Art ihrer Verwaltung. Es kann auch ohne 
Verkauf durch eine den örtlichen und wirtschaft- 
lichen Verhältnissen entsprechende Bildung der ein- 
zelnen Pachtobjekte sowohl das finanzielle Inter- 
esse des Staats als auch die Entwicklung des 
landwirtschaftlichen Betriebs und damit des Volks- 
wohlstandes wesentlich gefördert werden. 
Dies führt dazu, die Frage der Veräußerung 
der Domänen, von welcher bereits aus verschie- 
denen Gesichtspunkten vorstehend die Rede ge- 
wesen, im allgemeinen nochmals zu behandeln, um 
so mehr, als dieselbe sowohl in theoretischen Ab- 
handlungen als auch in Verhandlungen gesetz- 
gebender Körperschaften immer wieder zur Erörte- 
rung kommt. Es mögen also die hauptsächlichsten 
der vorgebrachten Gründe für und gegen unter 
Vervollständigung des schon Gesagten kurz zu- 
sammengefaßt werden. Für die Veräußerung führt 
man an, daß der Grundbesitz in den Händen von 
Privaten weit besser verwaltet würde und Arbeit 
sowohl wie Kapital reichere Entwicklung ihrer 
Kräfte fänden als bei Staatsgrundbesitz. Dieser 
Anschauung wird entgegengehalten, daß der Ver- 
gleich richtig sei gegenüber von mittlerem und klei- 
nerem Besitz, nicht aber, wenn man großen Privat- 
besitz im Auge habe, mit welchem tüchtige Domä- 
nenpächter mindestens Gleiches leisten könnten. 
Es wird auch hervorgehoben, daß der Pächter sein 
ganzes Kapital der Wirtschaft zuwenden könne, 
während ein Eigentümer von gleichem Vermögen 
dazu nicht in der Lage sei. Ein Massenverkauf 
von Domänen werde nur deren Erwerbung durch 
große Kapitalisten herbeiführen, welche an Stelle 
des Staates treten, ohne daß damit volkswirt- 
schaftlich Vorteile erreicht würden. Die Parzel- 
lierung behufs Ansiedlung von kleineren Besitzern 
sei nur nach und nach möglich. Während von der 
einen Seite auf die Tatsache hingewiesen wird, 
daß die Zinsen des Kaufpreises von Domänen 
erfahrungsgemäß höher seien als die erzielten 
Staatslexikon. I. 3. Aufl. 
Domänen. 
  
1314 
Pachten, wird von der andern Seite die Steige- 
rung der Grundrente in Gegenrechnung gestellt. 
Es wird ferner darauf hingewiesen, daß der Staat 
durch Schuldenabzahlung aus dem Erlös der Do- 
mänen große Ersparungen an Schuldenzinsen 
machen könne, und wenn man hiergegen behauptet, 
daß der Kredit des Staats durch Domänenbesitz 
eine sichere Grundlage erhalte, so führt man da- 
gegen das Beispiel von-England an, welches bei 
geringem Domänenbesitz wohl den größten Kre- 
dit unter allen Staaten habe. Sieht man von 
mancher Seite in Domänen eine Hilfsquelle für 
Zeiten außerordentlicher Staatsbedürfnisse, so 
wird diese Ansicht dadurch abgeschwächt, daß ge- 
rade in solchen Zeiten die Domänen nur unter 
ungünstigen Bedingungen verwertet werden können. 
Großem Domänenbesitz legt man in politischer 
Beziehung den Nachteil bei, daß der Staat da- 
durch zu viele Privatinteressen erhalte und somit 
die Gefahr der Ungerechtigkeit hervortrete, wo es 
sich um den Widerstreit mit dem Vorteil oder Nach- 
teil anderer Grundbesitzer handle, wie auch die 
Gefahr der Einseitigkeit in Fragen der wirtschaft- 
lichen Gesetzgebung. 
Von den Freunden der Domänen wird ferner 
angeführt, daß die Dotation der Krone in wür- 
diger Weise nur auf Domänenbesitz gegründet 
werden könne; daß der Staat durch den Domänen= 
besitz eine Einwirkung auf den Geist der ländlichen 
Bevölkerung ausüben könne; daß durch die Be- 
wirtschaftung der Domänen die landwirtschaft- 
lichen Betriebsarten verbessert werden könnten, 
selbst abgesehen von der Möglichkeit, Musterwirt- 
schaften einzurichten. 
Ganz besonders wird aber die Beibehaltung 
der Staatsforsten, und zwar auch von solchen, 
welche dem Staatsgrundbesitz weniger geneigt sind, 
als unbedingt zweckmäßig betont. Niemand kann 
behaupten, daß die Staatsforstverwaltung wirt- 
schaftlich ungünstiger gestellt sei als Privatver- 
waltungen; mit mehr Recht kann man das Gegen- 
teil hinstellen. Die Erhaltung der Wälder ist in 
gewissem Umfang eine Notwendigkeit, um auf 
Klima und Wasserverhältnisse in regelnder Weise 
einzuwirken. Nur vom Staat wird man die volle 
Berücksichtigung dieser Verhältnisse, mit welcher 
der Vorteil des Einzelbesitzers nicht selten in Wider- 
streit gerät, erwarten können. 
Zieht man aus allen diesen Erwägungen einen 
nicht von einseitigen Theorien beeinflußten Schluß, 
so wird man vor allen Dingen das historisch Ge- 
wordene zum Ausgangspunkt nehmen und von 
diesem Standpunkt aus den volkswirtschaftlichen 
und sozialpolitischen Forderungen der Gegenwart 
gerecht zu werden suchen unter Berücksichtigung 
der finanziellen Verhältnisse. Kaum wird jemand 
es für angezeigt halten, in unsern Staaten einen 
Güteraufkauf zur Erweiterung des Domänen- 
besitzes eintreten zu lassen, es sei denn die Er- 
werbung öder Flächen behufs Aufforstung im 
Landeskulturinteresse; anderseits sollte man vor- 
« 42
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.