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der Kirche (stallum in choro) hatten und im
Besitz einer Präbende, nämlich einer eigenen
Wohnung mitfest bestimmtem Einkommen, waren.
Zu der zweiten gehörten die canonici non ca-
Pitulares oder domicelli, auch domicellares
eemancipati genannt, welche der Schule entwachsen
waren und deshalb nicht mehr unter der Leitung
des Scholastikus standen, auch besondere Einkünfte
bezogen, aber weder votum in capitulo noch
stallum in choro hatten. Die letzte Kategorie
bildeten die scholares, welche noch ein eigentliches
Konviktsleben führten, unter Aussicht und Lei-
tung des canonicus scholasticus Unterricht ge-
nossen und theoretisch und praktisch zum Kirchen-
dienst ausgebildet wurden. Andern Unterschei-
dungen, wie canonici in fructibus et floribus
und canonici in herbis, liegen allerdings Mo-
mente faktischer Verschiedenheit zugrunde; dieselben
bezeichnen aber keineswegs in sich geschlossene,
von den übrigen verschiedene Kategorien. Die
häufig genannten canoniciexspectantes gehörten
entweder der zweiten Klasse der Kapitelsmitglieder
an oder waren überhaupt noch keine canoniei,
wurden aber mit diesem Namen bezeichnet, weil
sie das Recht auf die zunächst erledigte Pfründe
und damit auf die Mitgliedschaft des betreffenden
Kapitels erworben hatten.
An der Spitze der Gesamtheit stand der Propst,
der anfangs zu gleicher Zeit Archidiakon war.
Derselbe bekleidete die erste Dignität, mit der die
Präsidentschaft und Leitung des Kapitels, die Aus-
übung der Archidiakonalgerichtsbarkeit und die
Verwaltung des Kapitelsvermögens verbunden
war, ebenso wie in den älteren Zeiten, nur mit
dem Unterschied, daß seine Stellung eine vom
Bischof unabhängige geworden war. Die zweite
Dignität bekleidete der Dekan, auch Archipres-
byter genannt. Die Befugnisse, welche demselben
zustanden, bezogen sich auf den Gottesdienst und
die Verpflichtungen des Kapitels bezüglich des-
selben; in seiner Hand lag demgemäß die An-
ordnung und Leitung des Chordienstes und der
gottesdienstlichen Verrichtungen; er hatte nach
dieser Seite die Beobachtung der Statuten zu
überwachen und für die Aufrechterhaltung der
Disziplin Sorge zu tragen; es stand ihm zu diesem
Zweck auch unter Beirat des Kapitels eine Straf-
gewalt zu; im Fall der Abwesenheit oder Ver-
hinderung des Propstes hatte er diesen zu vertre-
ten. Außerdem waren auch bestimmte Funktionen
zu ständigen Amtern organisiert, die in einigen
Kapiteln den Charakter einer Dignität trugen,
in andern nur die Bedeutung der officia nuda
hatten, so das Amt des scholasticus, thesau-
rarius, custos, sacrista, primicerius und an-
dere. Auch bestand fast überall eine besondere Or-
ganisation der Kanonikate oder Präbenden
auf Grund der eigentümlichen Verpflichtungen,
die mit denselben bleibend verknüpft waren und
in dem jeweiligen Inhaber deshalb auch die zu
ihrer Erfüllung erforderlichen Eigenschaften voraus-
Domkapitel.
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setzten. Darauf beruht denn die eigenartige Grup-
pierung und verschiedene Benennung der Prä-
benden, wie praebendae presbyteriales, docto-
rales, professorales, parochiales, liberac.
Wie die Domkapitel gleich in dem ersten Sta-
dium der Umgestaltung durch Teilung des ge-
meinschaftlichen Vermögens in Kapitelsgut und
bischöfliche Tafelgüter das Recht der Wahl ihrer
Vorgesetzten und der Aufnahme neuer Mit-
glieder erlangt hatten, so stand ihnen in dieser
Periode als ganz selbständigen Korporationen
folgerichtig auch die Verleihung der allmählich
in unbestimmter oder abgeschlossener Zahl gebil-
deten Präbenden im Erledigungsfall zu. Aus-
nahmen kamen in beschränkter Weise vor bei einigen
Kapiteln, denen gegenüber es den Bischöfen ge-
lungen war, diese Verleihung oder wenigstens eine
maßgebende oder entscheidende Mitwirkung bei
derselben sich zu wahren, und ganz allgemein in
den Fällen, wo die Päpste die Besetzung der Ka-
nonikate durch die sog. mandata de providendo
bestimmten oder durch Erteilung von Exspektanzen
selbst vornahmen.
Bezüglich der Aufnahme neuer Mitglieder, in-
soweit diese durch die erwähnten Ausnahmefälle
nicht beeinträchtigt oder beschränkt wurde, waren
auf dem Weg der Praxis oder mittels statuta-
rischer Bestimmungen besondere Erfordernisse
fixiert. Einige derselben stimmen mit den gemein-
rechtlich vorgeschriebenen Erfordernissen für den
Empfang der Weihen überein; andere gehen dar-
über hinaus. Zu diesen gehört namentlich das
Erfordernis der adligen Geburt, welches nach
dem Statutarrecht der meisten Domkapitel Deutsch-
lands als Vorbedingung zur Aufnahme in die-
selben galt und von um so größerer Bedeutung
war, als eben dadurch kirchlichen Instituten ein
unkirchliches'exklusives Standesgepräge aufgedrückt
und zugleich einseitiger Beurteilung Veranlassung
geboten wurde, in ihnen nur adlige Versorgungs-
anstalten zu sehen. Bei der immer mehr sich er-
weiternden Landeshoheit der Bischöfe und dem
dadurch in gleicher Weise gesteigerten politischen
Einfluß der Domkapitel als zur weltlichen Re-
gierung mitberechtigter Korporationen, die über-
dies mit dem Recht der Bischofswahl in nahezu
entscheidender Weise die Person des Landesherrn
bestimmten, konnte ja der Adel sich gar nicht der
Einsicht erwehren, daß es in seinen Standes-
interessen liege, in jenen nicht bloß überhaupt seine
Vertreter zu haben, sondern sich auch wo möglich
die alleinige Mitgliedschaft zu sichern. Angesichts
der daraus hervorgegangenen Mißstände suchten
zwar die Päpste (c. 37, X 3, 5 de praeb.) auf
die Beseitigung einer so bedenklichen statutarischen
Bestimmung hinzuwirken, erzielten jedoch nur eine
Milderung, insofern von da ab hervorragende wis-
senschaftliche Befähigung das Erfordernis der adli-
gen Geburt ersetzte, mithin die erlangte Doktor-
oder Lizentiatenwürde in gleicher Weise wie diese zur
Aufnahme in die Domkapitel geeignet machte.