Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

115 
Rußland und England abgeschlossenen Konvention 
vom 23. Sept. 1907 über die wirtschaftlichen und 
politischen Interessen beider Länder in Zentral- 
asien erklärte die englische Regierung, daß sie nicht 
die Absicht habe, die politischen Verhältnisse des 
Landes zu ändern, sie werde ihren Einfluß nur im 
friedlichen Sinn geltend machen und Afghanistan 
nicht zu Maßnahmen ermutigen, die für Rußland 
bedrohlich wären; gleichzeitig verpflichtet sich Eng- 
land, keinen Teil Afghanistans an sich zu reißen 
oder zu besetzen und sich nicht in die innere Ver- 
waltung einzumischen. Rußland erklärte, baß es 
Afghanistan als außerhalb seiner Einflußsphäre 
befindlich anerkenne. Beide Mächte erklärten, den 
Grundsatz der Behandlungsgleichheit bezüglich des 
Handels anzuerkennen. 
2. Land und Volk; wirtschaftliche Ver- 
hältnisse. Der Flächeninhalt beträgt 624.000 
qkm, bie Bevölkerung wird auf 4 550 000 Köpse 
geschätzt und besteht, abgesehen von einzelnen mon- 
golischen und indischen Stämmen, aus den den 
Rest der alten Stammbevölkerung bildenden ari- 
schen Tadschik und den im 4. Jahrh. u. Chr. ein- 
gewanderten arischen Afghanen (Paschtun, Mehr- 
zahl: Paschtaneh); die wichtigsten Stämme der 
letzteren sind die Durani (zwischen Herat und 
Agenten — Agrargesetzgebung, Agrarpolitik. 
  
Kandahar) und die Ghilzai (im Osten und Nord- 
116 
namentlich des Ostens, beugen sich nur in Kriegs- 
zeiten unter den Emir. Dieser bezieht von der 
indischen Regierung einen Jahresgehalt von 18Lakh 
Rupien (3,5 Mill. Ak). Das Land zerfällt in 4 Pro- 
vinzen (Kabul, Turkestan, Herat und Kandahar), 
die unter einem Hakim oder Naib stehen. Die 
Rechtsprechung liegt in den Händen der Vor- 
nehmen. Die Stüärke der oberflächlich europäisch 
organisierten, aber kriegstüchtigen Armee wird auf 
60/80 000 Mann geschätzt. Seit 1896 ist jeder 
siebte Mann wehrpflichtig. Hauptstadt des Landes 
ist Kabul. 
4. Religion und Kultur. Schon im 
7. Jahrh. brachten die Araber dem iranischen Hoch- 
land den Islam, bald wurde Iran die Hochburg 
des Schiitismus. Der Sultan Baber (1494/1530) 
führte im heutigen Afghanistan das Sunnitentum 
ein, infolgedessen entbrannte ein 200jähriger Reli- 
gionskrieg mit den schiitischen Persern. Heute zählt 
das Land auch wenige schiitische Stämme. Die 
Kultur stehttrotz derzahlreichenmohammedanischen 
Schulen auf tiefer Stufe. Dem Christentum ist 
das Land bis jetzt verschlossen geblieben. 
Literatur. Jaworskij, Reise der russ. Ge- 
sandtschaft in A. u. Buchara 1878/79 (dtsch, 2 Bde, 
1885); Roskoschny, A. und seine Nachbarländer 
(1885); Kaye, History of the war in A. (3 Bde, 
osten). Die afghanische Sprache (Paschtu) zer-Lond. *1890); Mahomed Khan, The Life of 
fällt in viele Stammesdialekte, auch wird im Land 
viel Persisch gesprochen. Die Hauptbeschäftigung 
der Bewohner ist Viehzucht (Schafe, Rinder, 
Pferde, Kamele), die zum Teil nomadisierend in 
Abdur Rahman (2 Bde, ebd. 1900); Hamilton, 
A. (ebd. 1906). — Mahomed Khan, Constitution 
and Laws of A. (ebd. 1906). 
(Sacher.] 
Agenten s. Auswanderung, Handelsrecht, 
Clangenossenschaften betrieben wird, und Acker-Versicherungswesen. 
bau (Getreide, Hülsenfrüchte, Tabak). Die un- 
bedeutende Hausindustrie befaßt sich mit der Her- 
stellung von Seiden= und Wollstoffen. Der Handel 
ist gering, er vollzieht sich vorwiegend mit Indien, 
(Einfuhrnach Afghanistan jährlich etwa 15 Mill. M., 
Ausfuhr etwa 9 Mill. A) und Russisch-Zentral= 
asien, namentlich Buchara (Ein= und Ausfuhr 
je etwa 10 Mill. M jährlich). Ausgeführt werden 
Wolle, Häute und Felle, Pferde, ein Gummiharz 
(Asa foetida), Früchte, Blei, Zink, Alaun, einge- 
führt Baumwollwaren, Indigo, Tee, Zucker usw. 
Relativ bedeutend ist der indisch-turanische Durch- D 
gangshandel. Die wichtigsten Karawanenstraßen # 
sind Herat-Farah-Kandahar, Kandahar-Kabul 
und Kabul-Peschawar. Die indischen Eisenbahnen 
berühren die Grenze an drei Stellen (bei Peschawar, 
Kuram und Tschaman) die russische Bahn bei 
Kuschk (Linie Merw-Kuschk). Eine Bahnverbin- 
dung zwischen Indien und Russisch-Zentralasien 
(von Tschaman über Kandahar-Farah-Herat nach 
Kuschk) wurde schon verschiedentlich projektiert. 
Ein einheimisches Währungssystem gibt es nicht, 
es zirkulieren persische und indische Münzen, viel- 
fach besteht auch direkter Tauschhandel. Maß und 
Gewicht ist gleichfalls mangelhaft entwickelt. 
3. Staatswesen. Asghanistan ist eine absolute 
Monarchie unter einem Emir; doch ist die staat- 
liche Organisation sehr lose, zahlreiche Stämme, 
  
  
  
Agio, Agiotage s. Börse; vgl. auch Aktien- 
gesellschaft. 
Agnaten s. Erbrecht. 
Agrargesetzgebung, Agrarpolitik. 
I. Die Systeme der Agrarverfassung. Wie 
und weil der Staat seinem eigensten, innersten 
Wesen nach aus Landgebiet und dessen Bewohnern 
besteht, deshalb ist der Ackerbau, die Landwirt- 
schaft, auch seine Hauptgrundkraft, deshalb haben 
alle Gründer und Reformer von großen Staats- 
wesen der Grundeigentumsfrage als der wichtigsten 
Nationalangelegenheit stets ihre nächste und höchste 
Aufmerksamkeit und Tätigkeit zugewendet. „Kennst 
du die höchste Weisheit, hast du die Ackervertei- 
lung der Götter erforscht?“ so heißt es in der 
Edda. Moses, Minos, Lykurgus, auch Solon, 
und bei den Römern Romulus, Servius Tullius, 
Sulla, ferner Karl d. Gr., Wilhelm der Eroberer, 
Friedrich II. von Preußen, Joseph II. und Stein 
haben ihren Ländern mehr oder weniger aus- 
gedehnte Agrargesetze gegeben, auf diesen dann 
die ganze innere Organisation des Staatswesens 
aufgebaut. Die Machtverhältnisse aller groß ge- 
wordenen Staaten haben mit ihrer Agrargesetz- 
gebung immer im engsten Zusammenhang ge- 
standen; bei allen Bewegungen, die sie ergriffen, 
hat letztere von jeher eine Hauptrolle gespielt. 
Der völkerrechtliche Verkehr, Handel und Ge-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.