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Wie aus der geschichtlichen Entwicklung der
Domkapitel zu ersehen ist, war gleich mit der festen
Reglung der vita communis des Kathedralklerus
durch Chrodegang und die Aachener Statuten die
Verpflichtung gegeben, den schon in der
ältesten Zeit und in Anlehnung an die jüdische
Tempelordnung eingeführten gemeinschaftlichen
Gebetsdienst zu bestimmten Stunden in der Kirche
abzuhalten. Die hierauf beruhende Verpflichtung
blieb trotz der Auflösung des gemeinschaftlichen
Zusammenlebens bestehen und nimmt auch heute
noch unter den Obliegenheiten der Kapitel die
erste Stelle ein. Im Lauf der Zeit zeigten sich
jedoch infolge der eingetretenen Verweltlichung bei
Erfüllung derselben arge Mißbräuche, deren Be-
seitigung sich namentlich das Konzil von Trient
angelegen sein ließ durch seine Bestimmungen über
die Residenz der canonici, über Unstatthaftigkeit
jeder Stellvertretung und Notwendigkeit der per-
sönlichen Teilnahme beim Chordienst und vor-
zugsweise über die allseitige Einführung der di-
stributiones duotidianae oder Präsenzgelder.
Mit der Verpflichtung bestehen auch heute noch
alle diese Bestimmungen zur Verhütung miß-
bräuchlicher Vorkommnisse in voller Kraft fort,
sofern die tatsächlich veränderten Verhältnisse die-
selben nicht unanwendbar gemacht haben.
Im Zusammenhang mit diesem Chordienst oder
der Verrichtung des olficium divinum in der
Kathedralkirche steht die Verbindlichkeit der Kapitel,
täglich durch ein Mitglied bei Anwesenheit aller
canonici die Konventualmesse zelebrieren
zu lassen. Nach einer Entscheidung der Congre-
gatio Conc. Trid. vom 28. Jan. 1865 sollen
auch die heutigen Dompvikare gehalten sein, die-
selbe zu zelebrieren, dafür aber ein angemessenes
Stipendium aus dem Kapitelsvermögen beziehen.
Außerdem haben dieselben noch die Pflicht, dem
Bischof bei Ausübung seiner Amtsobliegenheiten
die notwendige Beihilfe zu leisten. Deshalb sind
die einzelnen Mitglieder zur Assistenz und
Dienstleistung dem Bischof bei der Vornahme von
Pontifikalakten oder bei der Verwaltung der Diö-
zese verpflichtet und müssen den etwa an sie er-
gangenen Aufträgen oder Berufungen zu den dar-
auf bezüglichen Amtern nachkommen.
Darf hiermit die Reihe der Verpflichtungen als
erschöpft geschlossen werden, so erübrigt noch, der
Berechtigungen Erwähnung zu tun, welche
den Domkapiteln als kirchlichen Korporationen
in ihrem besondern Verhältnis zum kirchlichen
Diözesanregiment und dadurch zur ganzen Kirche
zustehen und eben die Grundlage bilden, auf der
ihre höhere Stellung in der hierarchischen Glie-
derung beruht. Diese Berechtigungen sind ver-
schieden, je nachdem der bischöfliche Stuhl besetzt
(sede plena) oder erledigt ist (sede vacante).
Im ersteren Fall kann es sich zweifelsohne nur um
Berechtigungen zur Teilnahme an der Aus-
übung der kirchlichen Regierungsgewalt
oder der iurisdictio episcopalis durch ihren ver-
Domkapitel.
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fassungsmäßigen Träger, den Bischof, handeln und
können dieselben nach rechtlichem Gesichtspunkt
auch nur als größere oder geringere Beschränkungen.
der grundsätzlich allein berechtigten bischöflichen
Diözesanverwaltung aufgefaßt werden.
Obwohl nun die Notwendigkeit einer Mit-
wirkung der Domkapitel bei der Vornahme ge-
wisser gesetzlich bestimmter jurisdiktioneller Akte
seitens des Bischofs gemeinrechtlich unbezweifelt
feststeht, so enthalten döch die einschlägigen Ge-
setzesbestimmungen über die Art und Weise der-
selben keine genauere Angabe. Nur insofern läßt
sich aus ihnen eine Verschiedenheit konstatieren,
als sie in einigen Fällen eine Mitwirkung in Form
des Rates (consilium), in andern in Form der
Zustimmung (consensus) vorschreiben. Im
Anschluß an diese Unterscheidung hat die Doktrin
chon seit dem 13. Jahrh. (Hostiensis [Kardinal
Henricus von Ostial in seiner Summa aurea)
zwei Kategorien aufgestellt, um unter die erste
alle die Fälle zu subsumieren, in denen der Bi-
schof des Consensus, und unter der zweiten jene
Fälle aufzuführen, in denen er des consilium
der Domkapitel bedarf. Vornehmlich auf Grund
der tridentinischen Vorschriften hat die neuere
Doktrin jenen noch eine dritte Kategorie zur Seite
gestellt, die dann im Unterschied von der zweiten
solche Angelegenheiten umfaßt, für die nicht das
consilium capituli, wohl aber das zweier
Domkapitulare erforderlich ist.
Zu letztgenannter Kategorie gehören: 1) Ver-
kündigung von Ablässen; 2) Umwandlung from-
mer Stiftungen; 3) Errichtung und Verwaltung
von Diözesanseminarien sowie die Beschaffung der
nötigen Existenzmittel für dieselben. Unter die
zweite Kategorie fallen: 1) Angelegenheiten, welche
das Interesse der Domkapitel berühren; 2) Be-
strafung von Klerikern in schwereren Fällen sine
iudicio; 3) Erlaß von Diözesanstatuten; 4) Ein-
und Absetzung geistlicher Würdenträger; 5) Be-
stellung von Substituten für Synodalrichter bzw.
Ernennung von Prosynodalrichtern; 6) Neuerrich-
tung von Klöstern. Die erste Kategorie bilden
endlich: 1) Vornahme von Vereinigung, Teilung
oder Aufhebung der Benefizien einschließlich der
Kanonikate; 2) Annahme eines Koadjutors, wo#
dem Kapitel das Recht der Bischofswahl zusteht;
3) Auflage von neuen Diözesanabgaben; 4) Maß-
nahmen, welche für das Domkapitel präjudiziell
sind; 5) Ernennung von Prosynodalexaminatoren.
Die früher gemeinrechtlich geforderte Zustim-
mung des Kapitels bei Veräußerung oder Be-
lastung von Diözesan-Kirchengut wird jetzt durch
eine besondere den Bischöfen gewährte diesbezüg-
liche päpstliche Vollmacht (beneplacitum apo-
stolicum) ersetzt, zu deren Erlangung der Konsens
des Kapitels allerdings förderlich ist. 6
In betreff der Fälle der beiden ersten Gruppen
ist der gesetzlichen Bestimmung volle Genüge ge-
schehen, wenn der Bischof bei etwaigen Verord-
nungen das consilium anhört; eine Befolgung
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