Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

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bedeutungsvollen Worten: ac si sedes per 
mortem vacaret, erschließen. Hiernach tritt 
also im Fall der sedes impedita ein Verwal- 
tungsrecht des Domkapitels nicht ein, wenn ent- 
weder ein rechtmäßiges Organ für die Ausübung 
der bischöflichen Jurisdiktion, wie dieses der 
Generalvikar ist, bestellt worden, oder es dem 
abwesenden Bischof vergönnt ist, in irgend einer 
Weise seine Fürsorge für die tatsächlich verwaiste 
Diözese zu betätigen. Daß dies die korrekte kirch- 
liche Auffassung ist, erhellt aus der Deklaration 
der Congr. Conc. Trid. vom 7. Aug. 1683, mit- 
geteilt von. Benedikt XIV. in seinem Werk De 
synodo dioecesana I. 13, c. 6, n. 11, und aus 
dem in Veranlassung der Gefangenschaft des Erz- 
bischofs Klemens August von Köln 1837 an das 
Kölner Metropolitankapitel gerichteten Breve 
Gregors XVI. vom 9. Mai 1838. — Über das 
Recht der Bischofswahl, welches den Domkapiteln 
einiger Länder zusteht, s. diesen Art. 
Literatur. Thomassin, Vetus et nova eccl. 
disciplina P. I, 1. 3, c. 7 ff; Hinschius, Das Kir- 
chenrecht der Katholiken u. Protestanten in Deutsch- 
land 11 (1878) 49/160 u. 228/249; Bouix, Trac- 
tatus de capitulis (1852); Huller, Die jurist. 
Persönlichkeit der D. in Deutschland u. ihre rechtl. 
Stellung (1860); Schneider, Die bischöfl. D., ihre 
Entwicklung u. rechtl. Stellung im Organismus d. 
Kirche (1885); Rud. v. Scherer, Handb. d. Kirchen- 
rechts 1 565/596, u. Sägmüller, Lehrb. d. Kirchen- 
rechts 351 ff, wo die ältere u. neuere Lit. ausgiebig 
verzeichnet ist. LHartmann, rev. Lux.) 
Donoso Cortés (1809/58), spanischer 
Diplomat, Sozialpolitiker und Publizist. (An- 
sänglicher Rationalismus, Ernüchterung durch die 
Revolution; im Parlament, Exil, Anderung der 
Ansichten; Donoso über Diktatur, über die Lage 
Europas, die Zukunft Preußens, Frankreichs; der 
Sozialismus. Beurteilung: nicht Pessimismus, 
sondern zu weitgehende Abstraktion; Freiheitssinn; 
Polemik, Divination, Bedeutung des Sozialis- 
mus.) 
Juan Francisco Maria de la Salud Donoso 
Cortés, Marquis de Valdegamas, ein Nachkomme 
des Eroberers von Mexiko, war geboren am 
6. Mai 1809 zu Valle de la Serena auf dem 
Familiengut Valdegamas (Estremadura), wohin 
seine hochangesehenen Eltern sich vor den Fran- 
zosen flüchten mußten. Von lebhafter Natur bei 
außerordentlich reicher Beanlagung hatte er be- 
reits mit 11 Jahren die humanistischen Studien 
vollendet, und betrieb, nachdem er Rechtswissen- 
schaft in Salamanca und Sevilla studiert, so 
eifrig und erfolgreich Philosophie, Geschichte und 
Literatur, daß dem Zwanzigjährigen der Lehr- 
stuhl für Literatur am Kolleg von Caceres über- 
tragen wurde. Sein erster Meister, Manuel José 
Quintana, der anerkannte Vorkämpfer des fran- 
zösischen Klassizismus in Spanien, welcher zu 
Cabeza de Buey, in der Nähe von Valdegamas, 
lebte, konnte ihn als den berufenen Träger seiner 
Ideen hinstellen. Wenn Donoso Cortes später 
Donoso Cortes. 
  
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von dieser Epoche seines Lebens klagte: „Ich habe 
dem literarischen Fanatismus, dem Fanatismus. 
der Form und des Ausdrucks gelebt“, so galt dies 
nicht bloß vom Klassizismus der Form. Ouin- 
tana hatte den schwärmerischen Juan so sehr für 
die Aufklärung der französischen Deisten, von 
Montesquien herab bis zu Benjamin Constant, 
gewonnen, daß trotz der abwehrenden Einflüsse 
einer christlich-frommen Exziehung und des Ernstes 
des elterlichen Beispiels seine Geistes= und Denk- 
richtung, wie die Antrittsrede zu Caceres zeigte, 
für die „Philosophie“ und gegen das Christentum 
sich entschied, freilich nicht mit der Blindheit, die 
Quintana erwartet hatte. Donoso Cortés war 
ein synthetisch angelegter Geist, dessen hoher Flug 
unaufhaltsam zeitlebens der Ausgleichung der tiefer 
in ihm wurzelnden Ideen forschend und arbeitend 
bis zu den letzten Konsequenzen zugewandt blieb. 
Im engen Bereich der deistischen „Aufklärung“ 
gab es für ihn keinen Stillstand. Wenn er sich 
in der Antrittsrede zu Caceres offen als Skeptiker, 
als einen von jeder göttlichen wie menschlichen 
Autorität Emanzipierten erklärte, so hielt ihn doch 
der Skeptizismus Quintanas nicht gefangen: J. J. 
Rousseau ist ihm nur ein beredter und darum ge- 
fährlicher „Sophist“; die Enzyklopädisten zeiht er 
energisch des Verbrechens, „den Irrtum als die 
Wahrheit, das Laster als die Tugend vergöttlicht 
zu haben“; er wirft der „Aufklärung" den Mangel 
des historischen Sinns für die Erfassung und 
Wertschätzung der zivilisatorischen Bedeutung der 
christlichen Vergangenheit vor. Donoso Cortés 
neigte, ohne es zu wollen, dem Eklektizismus zu, 
der damals von Frankreich herüber als der kühnste 
Bundesgenosse des liberalen Doktrinarismus mäch- 
tig sich regte. 
Der frühzeitige Tod seiner jungen Gattin, tief- 
innere Zerrissenheit seiner religiösen Anschauungen 
und Abneigung gegen seine engere Umgebung ver- 
leideten ihm sein Amt trotz aller äußern Erfolge. 
Der unerwartete Aufschwung des Liberalis- 
mus, den der siegreiche Ausgang der Julirevo- 
lution auch in Spanien wachrief, fand Donoso 
Cortés zu Madrid, wo er als der Mittelpunkt und 
Lehrer eines Kreises junger Caballeros jener neuen 
Ordnung der Dinge zuwartend entgegensah, welche 
die liberale Partei in wohlbedachter Berechnung 
durch einen jener seltenen politischen Schachzüge, 
welche auch einer sinkenden Partei die Herrschaft 
nochmals sichern, herbeizuführen sich anschickte. 
Ihr neues Parteiprogramm (an Stelle der Ver- 
fassung von Cädiz (18121) zielte mit der Aner- 
kennung der Abschaffung des salischen Gesetzes 
(einer für Spanien erst von Philipp I. verfügten 
Einrichtung) auf den Herzenswunsch des alten 
Ferdinand VII., mit der Forderung der konsti- 
tutionellen Regierung und der Herrschaft der 
Mittelklassen auf die bessere Heranziehung der 
liberalen Elemente, mit der Thronfolge der Lieb- 
lingstochter Ferdinands, Christinas, auf die Wie- 
deranknüpfung der seit 1821 unterbrochenen libe-
	        
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