1341 Donoso
Brief an Montalembert, Briefe an die Journale
Pays und Heraldo, Briefe an den Kardinal For-
nari vervollständigten seine These über „Kirche
und Revolution“, und so enistand die in der
gleichnamigen Schrift durchgeführte doktrinale
Rechtfertigung seiner historischen These über die
heutige Kultur. Ingroßen Zügen, in einer Sprache,
die einzig geschaffen schien zur Darlegung dieser
letzten und höchsten Probleme menschlicher Erkennt-
nis, legt Donoso Cortés die Antithese der reli-
giösen und (modern-philosophischen Anschauung
von dem Ursprung des Menschen, dem Sünden-
fall, der Erlösung, der Gnade, der Autorität,
der Freiheit dar. In der philosophischen Leug-
nung aller der christlichen Wahrheiten, auf denen
die christliche und katholische Zivilisation unab-
änderlich beruht, findet er das Wesen der mo-
dernen Revolution und des universalen Umsturzes.
„So stirbt denn“, schließt Donoso Cortés, „die
europäische Gesellschaft hin. Ihre Glieder sind
schon starr und kalt, das Herz wird es bald sein.
Und wißt ihr, warum diese Gesellschaft hinstirbt?
Weil sie vergistet ist, weil Gott sie aus dem
Wesen des Katholizismus gebildet, weil die Em-
piriker, ihre Arzte, ihr als Nahrung den Ratio-
nalismus eingeflößt, weil der Irrtum an sich
selbstmörderisch ist, und weil diese Gesellschaft auf
dem Irrtum begründet ist.“ — „Die Indivi-
duen können sich heute, wie immerdar, retten;
aber die Gesellschaft ist verloren, nicht weil sie in
der radikalen Unmöglichkeit der Rettung sich be-
findet, sondern weil es nach meiner Überzeugung
offenbar ist, daß sie nicht will. Es gibt kein Heil,
weil wir aus unsern Kindern keine Christen machen
wollen, weil wir selbst keine wahren Christen sind,
weil der katholische Geist, der alleinige Geist des
Lebens, nicht mehr den Unterricht, die Regierung,
die Institutionen, die Gesetze, die Sitten belebt."
Hier Wandel zu schaffen, sei eine Riesenaufgabe,
zu der keine irdische Macht für sich allein mehr
imstande sei, die kaum noch den verbündeten
Mächten gelingen werde. „Ob dieser Bund mög-
lich, wie weit er möglich ist, überlasse ich Ihrem
Urteil und Ihrer Entscheidung, diese Möglichkeit
selbst zugestanden, ob das Heil der Gesellschaft
itch allen Seiten hin ein wahrhaftes Wun-
er ist.“
Dieser unerbittlich kühne Kassandraruf ent-
fesselte in Spanien wie auswärts aufs neue den
Sturm. „Alte Träumereien!“ riefen die politi-
schen Optimisten; „Manichäismus und Neu-
katholizismus!“ lautete der Spruch des meta-
physischen und theologischen Beirats, der sich iest
zugesellte. Die ersteren erinnerte Donoso Cortés
an den Wert einer Logik, die deshalb nicht an den
Fall der Gesellschaft glaube, weil dieser Fall noch
nicht eingetreten; die letzteren wies er auf die un-
sinnige Verwechslung von natürlichem und fata-
listischem Untergang hin, von dem er nie ge-
sprochen, auf den mangelnden Sinn für die
Unterscheidung eines natürlichen Sieges des
Cortss. 1342
Bösen und eines übernatürlichen der Gnade,
d. h. einer außerordentlichen, einzigen, seltenen
Gnade, wie sie ehedem durch die Sündflut den
Sieg des Guten entschieden und dereinst durch den
Triumph des Weltgerichts, der Krone aller
Gnaden und Wunder, den ewigen Triumph des
Guten sichern werde; die Rückkehr der Gesellschaft
zur katholischen Religion könne einzig ein solches
Gnadenwunder erzielen.
Der Beschleunigung dieser Rückkehr galt die
große Rede, welche Donoso Cortés am 30. Jan.
1850 „über die allgemeine Lage Europas“
in den Cortes hielt. Einzig das Christentum,
führte er aus, berge wahrhaft zivilisatorische
Kraft in sich durch drei göttliche Dinge: die Un-
verletzlichkeit der Autorität, die Heiligkeit des Ge-
horsams und den Opfersinn der Charitas. Nicht
die Politik und nicht die Nationalökonomie, beide
nur von sekundärer Bedeutung gegenüber der
alles entscheidenden Frage der Religion, könnten
mehr die Welt retten. „Nein“, rief er, „der
Sturz einer Regierung und ihr Ersatz durch eine
andere ist kein Heilmittel; es ist ein grund-
stürzender Irrtum, anzunehmen, das Übel, an dem
Europa hinstirbt, rühre von den Regierungen
her. Ich leugne nicht den Einfluß der Regierung
auf die Regierten. Das üÜbel sitzt tiefer, in den
Regierten selbst, und es entsteht daraus, daß die
Regierten unregierbar geworden sind, weil die
Idee der göttlichen und menschlichen Autorität
in ihnen zerstört wurde. Hier liegt die wahre
Ursache des Absterbens.“ Der Nebel der politi-
schen Romantik von 1848 und ihrer National-
versammlungen täuschte ihn keinen Augenblick.
„Endlose Diskussionen töten die Repräsentativ-
regierungen. Die Versammlungen Deutschlands
sind daran gestorben, daß sie selbst nichts getan
haben und nichts haben tun lassen; sie haben
weder selbst regiert noch andere regieren lassen.
Sie umgaben sich mit der Würde von Königinnen,
und Gott schlug sie mit Unfruchtbarkeit.“
Nur Katholizismus und Sozialismus werden
bald zum letzten Entscheidungskampf noch übrig
sein; wofern man nicht die drei Grundpfeiler der
christlichen Zivilisation wieder aufrichte, werde
die Zerstörung besonders im Süden Europas ihr
Werk vollziehen, während im Norden der Despo-
tismus, mit Rußland als der Zentralmacht, seine
Kräfte konzentriere. Der Augenblick des Zu-
sammenstoßes zwischen dem sozialistischen Süden
und dem despotischen Norden in einem allgemeinen,
von Rußland geführten Krieg sei dann da,
wenn die Revolution die stehenden Heere auf-
gelöst, der Sozialismus Eigentum und Vater-
landsliebe vernichtet und die 80 Millionen Slawen
unter Rußlands Führung konföderiert die flawische
Welthegemonie herbeizuführen entschlossen wären.
An eine Regeneration Europas sei infolge der
Korruption der russischen Regierung und Aristo-
kratie nicht zu denken; das europäische Gift aber
werde Rußland vollends töten. „Ich weiß nichts