Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

1419 Ehe und 
griebene — tatsächlich aufrechterhalten wird 
(6132 
b) 1 Meen der Ehe ist im Kirchenrecht 
stets eine absolute in dem Sinn, daß sie beim 
Vorhandensein eines Nichtigkeitsgrunds von vorn- 
(herein und unabhängig von irgend einem Willen 
(z. B. eines Ehegatten) eintritt. Daß in gewissen 
Fällen bestimmte Personen zur Erhebung der 
Nichtigkeitsklage nicht zugelassen werden, ist eine 
rein prozessuale Bestimmung (s. u. Nr VIII 1), 
die den materiellen Begriff der Ehenichtigkeit nicht 
berührt. Erst eine vertragsrechtliche Auffassung 
der Ehe im protestantischen Kirchenrecht der natur- 
rechtlichen Periode bildete auf Grund dessen den 
Begriff der respektiven oder relativen Nichtigkeit 
bei den unrichtig so genannten privatrechtlichen Ehe- 
hindernissen (s. o. Nr IV 1). Daraus entwickelte sich 
allmählich der der Eheanfechtbarkeit, wie 
ihn heute das B.G.B. hat. Diese stimmt begriff- 
lich im wesentlichen mit der Anfechtbarkeit des 
Rechtsgeschäfts überein. Die anfechtbare Ehe ist 
gültig, bis sie vom Anfechtungsberechtigten an- 
gefochten wird, kann also vielleicht immer gültig 
bleiben. Die Anfechtung kann aber nicht durch 
bloße Erklärung gegenüber dem Anfechtungsgegner, 
sondern muß mittels Anfechtungsklage zum 
Zweck der Nichtigkeitserklärung (§ 1341), nach 
Auflösung der Ehe durch den Tod des nicht an- 
fechtungsberechtigten Gatten mittels Erklärung 
gegenüber dem Nachlaßgericht (8 1342) erfol- 
gen. Die Ehe kann angefochten werden von dem 
Ehegatten, der 1) bei der Eheschließung oder 
bei der Bestätigung der nichtigen Ehe (§ 1325) 
nur beschränkt geschäftsfähig war und ohne Ein- 
willigung seines gesetzlichen Vertreters gehandelt 
hat (§ 1331), oder 2) die Ehe in einem ehehin- 
dernden Irrtum geschlossen hat (88 1332 f), oder 
3) zur Eheschließung durch arglistige Täuschung 
über wesentliche Umstände (§ 1334), oder 4) wider- 
rechtlich durch Drohung bestimmt worden ist 
(8 1335), oder 5) als Gatte eines irrtümlich für 
tot Erklärten oder mit dessen Gatten in gutem 
Glauben die Ehe geschlossen hat (8 1350). Unter 
Umständen muß der gesetzliche Vertreter des an- 
fechtungsberechtigten Gatten anfechten (8§ 1336). 
Auch die anfechtbare Ehe kann geheilt werden, 
so daß sie als von Anfang an vollgültig anzusehen 
ist. Dies geschieht 1) durch Genehmigung seitens 
des gesetzlichen Vertreters im Fall 1 (6 1337); 
2) durch Bestätigung seitens des anfechtungsberech- 
tigten Ehegatten (8§ 1337, 1350 Abs. 2); 3) durch 
Auflösung der Ehe, außer durch den Tod des 
nicht anfechtungsberechtigten Ehegatten (§ 1338); 
4) durch Versäumung der regelmäßig sechs Mo-- 
nate dauernden Anfechtungsfrist (88 1339f , 
1350 Abs. 1). 
) Ist die nichtige oder die anfechtbare und 
durch Klage angefochtene Ehe für nichtig erklärt 
oder aufgelöst oder die aufgelöste anfechtbare Ehe 
gegenüber dem Nachlaßgericht angefochten, so sind 
sie vollnichtig von Anfang an und ohne die ehe- 
Eherecht. 1420 
lichen Rechtswirkungen. Es gilt aber eine Be- 
schränkung zum Schutz Dritter (§ 1344). Die 
„mittelbar“ nichtige und die anfechtbare Ehe 
können auch eine Putativehe sein. Dann haben 
sie trotz Nichtigkeitserklärung eherechtliche Folgen: 
die Kinder gelten als eheliche (68 1699 ff), und 
der gutgläubige Gatte wird in vermögensrechtlicher 
Beziehung geschützt (§§ 1345fff; s. u. Nr IX). 
Literatur. Heyer, Der Begriff der Ehenich- 
tigkeit im kirchl. u. im bürgerl. Recht (1909); 
Buhl, Nichtigkeit u. Anfechtbarkeit der Ehe nach 
dem B.G. B., in der Heidelberger Festgabe für E. 
J. Bekker (1899) 137 f; Erler, Ehescheidungs- 
recht usw. el der Nichtigkeitserklärung der Ehe 
(21900); Thiesing, Die Wirkungen nichtiger Ehen 
G#e# Francke, Die uneingetragene Ehe nichtigen 
Abschlusses, im Archiv für die zivilist. Praxis CI 
(1907) 420 ff; Menge, Zur Lehre von der Nichtehe, 
ebd. CII (1907) 460 ff; Zitelmann, Zum Recht der 
Eheanfechtung, in Aus römisch. u. bürgerl. Recht, 
E. J. Bekker überreicht (1907) 143 f. 
VII. Auflösung der Ehe und Aufhebung 
der ehelichen Gemeinschaft. 1. Die Ehe ist 
ihrem Wesen nach unauflöslich; eine eigentliche 
Scheidung des Bandes der einmal gültig zustande 
gekommenen Ehe (dissolutio matrimonii, divor- 
tium quoad vinculum) ist also grundsätzlich aus-P 
geschlossen. Dieses Prinzip hat die römische Kirche 
stets aufrechtgehalten, in langem Kampf mit der 
laxeren Auffassung des römischen und der germa- 
nischen Rechte, denen auch partikuläre kirchliche 
Bestimmungen folgten, unablässig verteidigt und 
mit dem 11. Jahrh. allgemein zum Sieg geführt. 
Das Tridentinum wahrte es feierlich gegenüber 
den vom Protestantismus geschaffenen Schei- 
dungenöglichkeiten (Sess. XXIV de sacr. matr. 
Can. 5. 
Die Ehe endigt also nach dem katholischen 
Kirchenrecht regelmäßig nur durch den Tod 
eines der Ehegatten. Nicht durch dessen Todeserklä- 
rung und auch nicht durch Ehenichtigkeitserklärung 
wird eine wirklich bestehende Ehe gelöst. Aber 
diese absolute Unauflöslichkeit eignet nur der durch 
Kopulavollzogenenchristlichen Ehe matrimonium 
ratum et consummatum). Die Ehe zweier Un- 
getaufter wird dem Band nach geschieden dadurch, 
daß einer der Ehegatten zum Christentum über- 
tritt, durch Interpellation des andern feststellt, 
daß dieser die Ehe mit ihm nicht oder wenigstens 
nicht ohne Gefährdung seines Glaubens und seines 
Seelenheils (absque contumelia creatoris) fort- 
setzen will, und darauf eine neue, christliche Ehe 
schließt (sog. paulinisches Privileg, 1 Kor. 
7, 12 ff). Die unvollzogene (bräutliche) sakramen- 
tale Ehe (matrimonium ratum non consum- 
matum) ist lösbar durch Ablegung der feier- 
lichen Ordensprofefß seitens eines der Ehe- 
gatten und, aus wichtigen Gründen, durch päpst- 
liche Dispensation, beides auch gegen den 
Willen eines Ehegatten. 
Aus mehreren Gründen ist nach kirchlichem 
Recht, ohne daß die Ehe dem Band nach gelöst 
 
	        
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