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nun der Ehrgeiz als Erziehungsmittel grundsätzlich
ausgeschlossen werden müsse. Das hieße auf ein
Erziehungsmittel verzichten, das in sich selbst voll-
kommen berechtigt ist, bloß weil es ungeschickte
Erzieher gibt, die mit demselben nicht umzugehen
verstehen. Nur die Ehrsucht ist unsittlich. Diese
allein muß also ferngehalten werden, und deshalb
hat der Erzieher sorgfältig darauf zu sehen, daß
der Ehrgeiz in dem Kinde nicht in Ehrsucht um-
schlägt. Dies geschieht dadurch, daß er das Mokiv“
der Ehre stets nur als sekundäres, unterstützendes
Mittel gebraucht und das sittliche Motiv überall.
an die erste Stelle setzt. Das Motiv der Ehre soll
die Schwäche des jugendlichen Willens unter-
stützen; aber es darf sich nie an die erste Stelle
drängen. Diesen Grundsatz muß der Erzieher
stets im Auge haben, und er muß auch die Kinder
dazu anleiten, daß sie das Motiv der Ehre nur
von diesem Gesichtspunkt aus als Beweggrund in
ihr Handeln aufnehmen. Darum darf auch das
Motiv der Ehre in der Erziehung nicht zu häufig
in Anspruch genommen werden, weil sonst die
Kinder leicht dazu kommen könnten, die Ehre, die
ihnen zuteil wird, zu überschätzen und das sittliche
Motiv aus den Augen zu verlieren.
Die Ehre ist, wie wir gesehen haben, für den
Menschen ein hohes, aber auch notwendiges Gut,
weil er, wenn er nicht in Ehre bei andern steht,
seinen irdischen Beruf nicht vollkommen erfüllen
kann. Wie sich nun aber hieraus für den Men-
schen die Pflicht der Ehrenhaftigkeit ableitet, so
ergibt sich für ihn daraus auch das Recht auf
seine persönliche Ehre. Er hat ein natür-
liches Recht darauf, daß seine persönliche Ehre
unangetastet bleibe, weil er nur unter dieser Be-
dingung seinen Pflichten genügen kann. Diesem
Recht nun entspricht auf seiten aller seiner Mit-
menschen die Pflicht, seine Ehre zu achten und
sie in keiner Weise zu schädigen. Es ist dies eine
sittliche Pflicht, weil es sich da um ein Gut des
Menschen handelt, das schon vom Standpunkt
der Liebe aus nicht geschädigt werden darf; es ist
aber auch eine Pflicht der Gerechtigkeit, weil der
Mensch eben auch ein Recht auf seine Ehre hat.
Es kann daher weder sittlich noch rechtlich gestattet
sein, die Ehre des andern durch Beleidigung, Be-
schimpfung, Verleumdung, Ehrabschneidung zu
verletzen oder zu schädigen. Es ist dies nicht bloß
Sünde, sondern auch Rechtsverletzung.
Verhält es sich aber also, dann hat derjenige,
der in seiner persönlichen Ehre tatsächlich geschä-
digt oder verletzt worden ist, auch das natürliche
Recht, auf Genugtuung zu dringen und die Wie-
derherstellung seiner Ehre von seiten desjenigen,
der sie verletzt hat, zu fordern. Derjenige, der die
Ehre des Nebenmenschen geschädigt hat, ist ver-
pflichtet, durch Zurücknahme und Widerruf dessen,
was er gegen dessen Ebre vorgebracht hat, die-
selbe wiederherzustellen. Es gibt hier ebensogut
eine Restitutionspflicht wie beim Eigentum, wenn
dieses widerrechtlich geschädigt worden ist. Die
Ehre und Ehrenrechte.
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Pflicht, die geraubte Ehre des Nebenmenschen
wiederherzustellen, ist ebensogut eine Rechtspflicht
wie die Pflicht, ihm sein geraubtes Eigentum
wieder zurückzustellen. Noch mehr. Eben weil es
sich hier um ein Recht und um eine Rechtspflicht
handelt, darum ist es auch Sache der Obrigkeit,
die Ehre derjenigen, die ihr unterstehen, zu schützen,
und diejenigen, welche die persönliche Ehre anderer
verletzen, zur Strafe zu ziehen und so den Aus-
schreitungen der Selbsthilfe vorzubeugen (s. d. Art.
Zweikampf). Es hat dementsprechend jeder, der in
seiner persönlichen Ehre verletzt ist, das Recht, vor
dem zuständigen Gericht Klage zu erheben und
einerseits die Bestrafung des Verletzers seiner Ehre,
anderseits die Erzwingung des Widerrufs seiner
ehrverletzenden Außerungen von seiten des Gerichts
zu fordern. Es kann dies unter Umständen für den
in seiner Ehre Angegriffenen sogar eine Pflicht
sein, die er sich selbst schuldet, wenn nämlich die
Verhältnisse so liegen, daß er ohne öffentliche
Wiederherstellung seiner Ehre entweder in seinen
Interessen oder in seiner beruflichen Wirksamkeit
dauernd geschädigt bliebe.
Die Abstufungen der Ehrminderung im rö-
mischen Recht (infamia, turpitudo, levis notae
macula) nebst der hieraus folgenden Rechts-
ungleichheit und die ähnlichen Unterscheidungen im
deutschen Recht (Echtlosigkeit, Rechtlosigkeit, An-
rüchigkeit) sind im neueren positiven Recht unter
dem Einfluß des Chriftentums allmählich ganz
beseitigt worden; die letzten Reste einer Recht-
losigkeit oder Rechtsminderung infolge Berufs-
oder Geburtsmakels schwanden erst im 19. Jahrh.
Auch die Strafe des „bürgerlichen Todes“, welche
bei den schwersten Verbrechen dem Verurteilten
die Eigenschaften eines Rechtssubjekts entzieht,
fand im Strafgesetzbuch des Deutschen Reichs von
1871 keine Aufnahme mehr. Die persönliche Ehre
ist nicht mehr durch Rechtsspruch verlierbar. Ihr
Verlust infolge der individuellen Lebensführung
macht sich juristisch nur indirekt geltend bei solchen
Rechten, die eine intakte Ehrenhaftigkeit auch in
bürgerlicher Hinsicht voraussetzen.
2. Die bürgerliche Ehre ist begründet in
den staatsbürgerlichen Rechten und Pflichten, welche
dem einzelnen zufallen, insofern er Glied der bür-
gerlichen Gesellschaft ist. Wer im Vollbesitz der
bürgerlichen Rechte ist und zugleich seine bürger-
lichen Pflichten ehrlich und gewissenhaft erfüllt,
der ist infolge dieser seiner bürgerlichen Stellung
und dieses bürgerlichen Verhaltens achtbar, ist der
Achtung anderer würdig, und diese seine Achtbar-
keit nun macht seine bürgerliche Ehre aus. Während
also die persönliche Ehre auf der sittlichen beruht,
ist die bürgerliche Ehre auf der bürgerlichen Hal-
tung des Individuums begründet. Aber beide
hängen doch wiederum auf das innigste mitein-
ander zusammen, weil derjenige, der es an per-
sönlicher Ehrenhaftigkeit fehlen läßt, der in sitt-
licher Beziehung sich nicht ehrenhaft führt, immer
dadurch auch seiner bürgerlichen Ehre schadet.