Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

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Schwörenden von der Bedeutung und dem Zweck 
des Eides verstanden, bald das Urteil, daß im 
gegebenen Fall ein Schwur genügend begründet 
und notwendig sei. Leichtfertig, ohne gewissen- 
hafte Erwägung des Objekts und der konkreten 
Umstände oder ohne hinreichende gerechte Ursache 
zu schwören, ist verboten. 
In der Bedingung der Gerechtigkeit (iustitia 
in obiecto) liegt die Forderung enthalten, daß 
die beschworene Sache sittlich gut und erlaubt 
sei. „Darum ist die eidliche Verpflichtung zu 
einem Akt der Ungerechtigkeit oder zu einer Sünde 
stets null und nichtig, wie z. B. die Eide von Ver- 
schworenen, Mitgliedern sittlich verbotener Ge- 
sellschaften (Anarchisten, Freimaurer, Briganten); 
doppelt sündhaft wäre z. B. die eidliche Bekräf- 
tigung einer Verleumdung“ (Koch a. a. O.). 
II. Arten. Je nachdem der Eid die Wahrheit 
einer behaupteten Tatsache oder die Aufrichtigkeit 
eines Versprechens bekräftigt, unterscheidet man 
dem Inhalt nach einen assertorischen Eid 
(t#uramentum assertorium) und einen pro- 
missorischen Eid (lur. promissorium). 
Hinsichtlich der Form werden unterschieden der 
Wort-, der Sach= und der gemischte Eid 
(iur. verbale, reale, mixtum). Ersterer ist 
die durch Worte betätigte Anrufung Gottes zum 
Zeugen; der sachliche Eid wird durch eine Hand- 
lung ausgedrückt, z. B. durch Aufheben der drei 
ersten Finger der rechten Hand (Schwörfinger) 
oder der ganzen rechten Hand, durch Berührung 
des Kreuzes oder Evangelienbuchs; werden Worte 
und Handlung zugleich angewandt, so liegt der 
gemischte Eid vor. Von einem körperlichen 
Eid (iur. corporale) spricht man, wenn feste 
Eidesformeln mit körperlichen Symbolen und 
Zeremonien zur Anwendung kommen, z. B. beim 
Fahneneid. Der Gebrauch äußerer Feierlichkeiten, 
wie die Aufstellung eines Kruzifixes, brennender 
Kerzen, die Ablegung des Glaubensbekenntnisses, 
schafft den feierlichen Eid (iur. solemne). 
Sein Gegensatz ist der ein fache Eid (kur. 
simplex). Das Wesen und die Verpflichtung 
des Eides werden durch diese Förmlichkeiten nicht 
berührt. Indes darf die psychologische Wirkung 
feierlicher Eidesformeln, Zeremonien und reli- 
giöser Symbole nicht unterschätzt werden. Mit 
der Verschiedenheit der Eidfordernden und Eid- 
abnehmenden hängt die Einteilung in kirch- 
lichen und staatlichen, gerichtlichen 
und außergerichtlichen Eid zusammen. 
III. Anwendung. Sind die vorstehend an- 
geführten Bedingungen der Erlaubtheit des Eides 
gegeben, so steht der Gebrauch desselben jedem 
Gottgläubigen frei. Er kann unter solchen Um- 
ständen den assertorischen wie den promissorischen 
Eid von einem andern entgegennehmen und ebenso 
selbst leisten. Die Würde und Heiligkeit des 
Eides aber verlangt, daß der Private in rein 
persönlichen Angelegenheiten nicht ohne Not und 
großen Nutzen, nicht bei geringfügigen Anlässen 
Eid. 
  
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schwöre oder einen Schwur fordere. Als verboten 
muß betrachtet werden, den Privateid von dem- 
jenigen zu verlangen oder anzunehmen, von dem 
vorauszusehen ist, daß er ihn falsch schwöre, es 
müßte denn sein, daß die dringendsten Gründe 
die Forderung des Eides rechtfertigen würden. 
Die Kirche verwendet den Eid in verschie- 
denen Formen auf dem Gebiet der Verwaltung 
und in der Rechtspflege, gerichtlich und außer- 
gerichtlich (Oecr. Gratiani C. 22; lib. X 2, 24; 
lib. VI de iureiurando 2, 11; Clem. h. t. 2, 9). 
Obwohl die Kirche jeden Eid, der mit der erfor- 
derlichen Einsicht und Willensfreiheit in einer ge- 
rechten Sache geschworen wird, gleichviel in wel- 
chem Alter der Schwörende steht, im Gewissen 
für verbindlich erachtet, hat sie durch positive Ge- 
setze die rechtliche Wirksamkeit des Eides wegen 
seiner großen Tragweite an eine bestimmte Alters- 
stufe geknüpft. Dieses höhere Alter, Eides- 
mündigkeit genannt, ist nach dem kanonischen 
Recht (c. 15. 16 C. 22, q. 5) das vollendete 
14. Lebensjahr. Vor Erreichung dieses Alters 
darf niemand zum Eid zugelassen werden. Auf 
dem Gebiet der kirchlichen Administration wird 
nach dem gemeinen Recht der Eid der Treue und 
des Gehorsams (Obödienzeid) gefordert von 
den Bischöfen, Prälaten, Dignitären und Kano- 
nikern der Kathedralkirchen, den Inhabern von 
Kuratbenefizien, den Vorständen der Klöster, 
Stifte und Konvente. Partikularrechtlich ist zu- 
weilen die Leistung des Obödienzeides auch allen 
andern Benefiziaten und Inhabern bestimmter 
Kirchenämter auferlegt. Die Bischöfe und die 
andern Inhaber höherer Benefizien schwören den 
Eid dem Papst, und zwar entweder unmittelbar 
in seine Hände oder mittelbar in die eines Be- 
vollmächtigten, z. B. des Nuntius. Die Kano- 
niker und Benefiziaten schwören die Obödienz dem 
Bischof oder dessen Stellvertreter. Eine Verwei- 
gerung des Eides zieht den Verlust des Amts oder 
mindestens des Einkommens nach sich. 
Auch den Rechtsverkehr, der sich des Eides be- 
diente, stellte die Kirche unter ihre Jurisdiktion. 
Wegen der religiösen Natur des Eides unter- 
warf das Dekretalenrecht (c. 13 X de iudictis 
2, 1; c. 3 in VIto de foro competenti 2, 2) 
alle beschwornen Verträge der kirchlichen Rechts- 
pflege, eine Kompetenz, die in der Praxis heut- 
zutage weder staatlich anerkannt noch kirchlicher- 
seits beansprucht wird. Auf eherechtlichem Gebiet 
wird der Eid zuweilen angewandt zur Bekräfti- 
gung von Verlöbnissen, zur Sicherung des Ver- 
sprechens katholischer Kindererziehung bei ge- 
mischten Ehen und zum Beweis, daß zwischen 
zwei Ehekontrahenten kein kirchliches Ehehindernis 
bestehe (iuramentum de statu libero). 
Eine wichtige Rolle spielt der Eid als Beweis- 
mittel im kanonischen Prozeß, sowohl im Zivil- 
als auch im Strafprozeß. Außergerichtlich kann 
ein Rechtsstreit durch den Eid, der wohl zuge- 
schoben, nicht aber zurückgeschoben werden darf,
	        
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