Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

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des Schwurpflichtigen tritt sie außer Kraft, 
während nach dem gemeinen Recht der Eid als 
geleistet galt. 
Derrichterliche Eid wird angeordnet aus 
Initiative des Gerichts, und zwar stets durch be- 
dingtes Urteil. Er kann nur auferlegt werden, 
wenn bereits ein unvollständiges Beweisergebnis 
vorliegt. Er dient entweder zur Vervollständigung 
des Beweises (iuramentum suppletorium, Er- 
gänzungseid) oder zur Entkräftung eines unvoll- 
ständigen Beweises (jur. purgatorium, Reini- 
gungseid). Er kann über beliebige, beweiserhebliche 
Tatsachen der einen oder andern Partei auferlegt 
werden, ohne daß die andern Beweismittel erschöpft 
sind; er ist also nicht subsidiär. Im übrigen gelten 
auch für ihn die Vorschriften über den zugeschobe- 
nen Eid. Eine Art des richterlichen Eids ist der 
Schätzungseid in Schadenersatz= und sonstigen 
Interesseprozessen (Z. P. O. § 287; vgl. zum 
Ganzen: 3.P.O. 88§ 445/484). 
Von verschiedenen Seiten wird gegenwärtig eine 
Reform des Haupteids angestrebt. Vorbilder für 
diese Bestrebungen sind die Kalumnieneide und 
das iuramentum de veritate dicenda des ka- 
nonischen Rechts. Es solle auch heutzutage der 
Richter von den Parteien Sacherklärungen for- 
dern und diese nach richterlichem Ermessen be- 
schwören lassen, die Eidesbeweisregeln müßten 
fallen. Eine solche Entwicklung hat die englische 
Kanzleigerichtsbarkeit genommen; übernommen 
wurde diese Einrichtung in das alte equity- und 
das moderne interrogatory-Verfahren (vgl. Har- 
ras von Harrasowsky, Parteienvernehmung und 
Parteieneid 32 f, und Schuster, Bürgerl. Rechts- 
pflege in England 111 f). Den gleichen Grund- 
satz hat die österreichische Zivilprozeßordnung 
in §§ 371 f angenommen; sie spricht von „Be- 
weis durch Vernehmung der Parteien“. Zwar 
kamn auch unter dem geltenden deutschen Recht 
der Richter jederzeit, sofern nur irgend ein Beweis- 
ergebnis vorliegt, einen Eid über eine Tatsache 
auferlegen. Allein, da dies stets durch bedingtes 
Urteil geschehen muß, ist damit der Prozeßstoff 
endgültig fixiert und ein weiteres Eindringen in 
das Streitverhältnis nicht mehr möglich. Allein 
trotz der Vorzüge, welche eine freie Würdigung 
der Eideskraft hat, wäre eine Anderung hierin 
schlimmer als der status quo. Namentlich hätte 
eine solche freie Würdigung eine Minderung der 
Wertschätzung des Eids durch die Parteien zur 
Folge und außerdem würde die Abschaffung der 
Eideszuschiebung und ihre Ersetzung durch ein 
freies richterliches Beeidigungsrecht eine Über- 
leitung vom Verhandlungs= zum Instruktions- 
prinzip bedeuten. 
Der Editionseid wird notwendig, wenn 
sich beim Beweis mittels Urkunden ein Editions- 
streit ergibt. Bestreitet nämlich die vorlegungs- 
pflichtige Partei, daß sich die angezogene Urkunde 
in ihrem Besitz befinde, so hat sie den Editionseid 
(einen richterlichen Eid) zu leisten. Verweigerung 
Eid. 
  
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desselben hat zur Folge, daß eine beigebrachte Ab- 
schrift der Urkunde als richtig anzusehen ist oder 
wenn eine solche nicht präsentiert wird, daß die 
Behauptungen des Beweisführers über Beschaffen- 
heit und Inhalt der Urkunde als bewiesen ange- 
nommen werden können (3.P.O. 88 426, 427). 
Der Offenbarungseid findet Anwendung 
bei Rechenschaftsablage über eine Vermögensver- 
waltung und bei Inventaraufstellung anläßlich 
der Herausgabe eines Inbegriffs von Gegen- 
ständen oder der Auskunftserteilung (B.G.B. 
§8 259, 260). Am häufigsten kommt der Mani- 
festationseid vor bei der Zwangsvollstreckung. 
Bei Weigerung wird hier der Schuldner auf An- 
trag des Gläubigers in Beugehaft bis zu sechs 
Monaten genommen. Im Konkurs kann der 
Gemeinschuldner nach der Inventarisierung der 
Masse zur Leistung des Offenbarungseids geladen 
werden (Konkursordnung §§ 125, 175 Ziff. 1). 
Als prozessuale Sicherheitsleistung kann, wenn das 
Gesetz nichts anderes vorschreibt, der Eid verwendet 
werden infolge Parteivereinbarung oder arbiträ- 
ren richterlichen Ermessens (Z.P.O. §§ 108). 
Im Ehe= und Kindschaftsprozeß wird der Par- 
teieid nur mit Modifikation der allgemeinen Vor- 
schriften verwendet, im Anfechtungsprozeß über 
die Entmündigung ist er ausgeschlossen (3. P.O. 
58 617, 641, 670). Es herrscht hier eben mehr 
oder minder das Instruktionsprinzip. Statt des 
eigentlichen Eides werden in gewissen Fällen 
Eidessurrogate zugelassen; z. B. die Ver- 
sicherung an Eides Statt zur Glaubhaftmachung, 
Berufung auf den geleisteten Diensteid, Berufung 
auf den (allgemeinen) Gutachtereid bei sog. Ge- 
richtssachverständigen, Berufung auf den früher 
geleisteten Zeugen- oder Gutachtereid bei wieder- 
holter Vernehmung im gleichen Vor= oder Haupt- 
verfahren eines Strafprozesses (3.P.O. 8§ 294, 
386 Abs.2, 410 Abs. 2; St. P.O. SS 66, 79 Abs.2). 
Auf dem Gebiet der freiwilligen Ge- 
richtsbarkeit gelten für die Zeugen- und Gut- 
achterbeeidigung die Vorschriften der Zivilprozeß= 
ordnung, jedoch mit der Maßgabe, daß über die 
in der Zivilprozeßordnung und Strafprozeßord= 
nung grundsätzlich vorgeschriebene Beeidigung das 
Ermessen des Gerichts entscheidet (F.G.G. 8 15). 
Der zugeschobene Eid ist, als unvereinbar mit dem 
in der freiwilligen Gerichtsbarkeit herrschenden 
Offizialprinzip, unzulässig; bestritten ist die Zu- 
lässigkeit des richterlichen Eids. 
Auf staatsrechtlichem Gebiet erscheint der- 
Eid in der Form des Verfassungseides im wei- 
teren Sinn. Im engeren Sinn versteht man unter 
Verfassungseid nur den Eid des Herrschers 
oder Regenten auf die Verfassung. Die übrigen 
staatsrechtlichen Eide sind dann die sog. Verwal- 
tungseide. 
Eine der wichtigsten Einrichtungen des öffent- 
lichen Rechts ist die Landesverfassung, deren Be- 
obachtung in dem sog. Verfassungseid (politischer 
Eid im engeren Sinn, Konstitutionseid) ver- 
—
	        
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