Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

1451 
Der Staatsbürgereid, wo ein solcher vorkommt, 
hat die Wirkung, die Gehorsams= und Treue- 
pflicht der Untertanen zu verstärken. Wo für die 
Naturalisation der Untertaneneid vorgeschrieden 
ist, würde bei Eidesverweigerung auch die Auf- 
nahme in den Untertanenverband beanstandet 
werden. In Hessen verpflichtet das Staatsbürger- 
recht, welches Voraussetzung der Wahlfähigkeit 
für Wahlen zur Zweiten Kammer ist, zur Leistung 
des Treu= und Verfassungseides. Ebenso ist in 
Bremen, Lübeck und wohl auch in Hamburg die 
Ausübung der wichtigeren politischen Rechte nicht 
schlechtweg an die Staatsangehörigkeit, sondern 
an das Staatsbürgerrecht geknüpft. Gesetz und 
Herkommen verpflichten entweder alle Staats- 
angehörigen (Bremen) oder doch die Wohlhaben- 
deren (Hamburg: 3000 M Einkommen) oder die 
Träger öffentlicher Aufgaben (Lübeck: Beamte, 
Notare, aber auch Mitglieder der Gewerbe= und 
Handelskammer) zur Leistung des Staatsbürger- 
eides. In den meisten deutschen Staaten ist die 
Ableistung des Verfassungseides Voraussetzung 
der Wahlfähigkeit der Staatsangehörigen; 
ein besonderer Stand der Staatsbürger exi- 
stiert hier nicht mehr oder hat doch nur in anderer 
Richtung Bedeutung. 
In die Reihe der Verfassungseide gehören end- 
lich auch der Eid der Kammermitglieder 
und der Eid der Staatsdiener, letzterer des- 
halb, weil im Diensteid außer der Erfüllung der 
Amtspflichten auch die Beobachtung der Landesver- 
fassung versprochen wird. Die Festsetzungen über 
die Beeidigung der Kammermitglieder bei der 
Landtagseröffnung finden sich in den Verfassungs- 
urkunden selbst, mitunter auch in Wahlgesetzen 
(Sachsen-Meiningen 24. April 1873 Art. 20) 
oder in den Geschäftsordnungen (Bayern 19. Jan. 
1872; Hessen 17. Juni 1874 Art. 13; Sachsen- 
Meiningen 23. April 1868 8 3), welche wie die 
Legitimation der Kammermitglieder, so auch ihre 
Beeidigung als eine wesentliche Voraussetzung für 
die Berechtigung der Stimmabgabe ansehen (ogl. 
d. Art. Geschäftsordnung, parlamentarische). Die 
Eidesformel besteht regelmäßig aus zwei Haupt- 
versprechen. Gewöhnlich geht die Treueversicherung 
gegen den Landesfürsten voran; diese findet sich oft 
auch in der Fassung, das unzertrennliche Wohl des 
Fürsten und Landes im Auge zu behalten (Sach- 
sen, Württemberg, Sachsen-Coburg und Gotha, 
Schwarzburg-Rudolstadt, Reuß älterer Linie; bei 
Sachsen-Altenburg, Schwarzburg-Sondershausen, 
folgt die Versicherung, die Verfassung gewissen- 
haft zu beobachten (Preußen, Baden, Oldenburg, 
Schwarzburg-Sondershausen, Reuß älterer Linie) 
Eid. 
  
1452 
horsam den Gesetzen (Baden, Hessen, Braun- 
schweig, Sachsen-Meiningen, Lippe) oder (im 
Gegensatz zur alten ständischen Verfassung, s. d. 
Art.) nur das allgemeine Wohl ohne Rückjicht 
auf besondere Stände oder Klassen zu vertreten 
versprochen (Bayern, Baden, Hessen, Lippe); val. 
d. Art. Abgeordneter. Der Eid wird, wie dies 
viele Verfassungen ausdrücklich enthalten, nur 
beim erstmaligen Eintritt, also von den neu- 
gewählten Abgeordneten, verlangt. Nach einzelnen 
Verfassungen (Sachsen, Oldenburg, Reuß älterer 
Linie) verpflichten sich Wiedergewählte mittels 
Handschlags auf den früheren Eid. — Eine Be- 
eidigung der Reichstagsmitglieder findet nicht statt. 
Bezüglich des Staatsdienereids, soweit 
derselbe zugleich als Verfassungseid erscheint, ist 
die Frage aufgetaucht, wie es demnach mit ver- 
fassungswidrigen Weisungen vorgesetzter Behörden 
zu halten sei. Bei der Beantwortung werden ge- 
wöhnlich die materiell und die formell verfassungs- 
widrigen Aufträge unterschieden (Gareis, Allgem. 
Staatsrecht, in Marquardsens Handb. des öffentl. 
Rechts der Gegenwart 111883) 166). Im Deut- 
schen Reich gilt die Regel, daß in gehöriger Form 
erlassene Befehle vorgesetzter Behörden den gehor- 
chenden Beamten von der Verantwortlichkeit be- 
freien und nur den Befehlenden verantwortlich 
machen. 
Nicht bloß auf dem Gebiet des Verfassungs- 
rechts, auch auf dem der Verwaltung, ein- 
schließlich der Finanz= und Militärverwaltung, 
findet der Eid Verwendung, sei es nun daß es 
sich um Erzielung einer wahren Aussage oder einer 
festeren Zusage handelt. Der wichtigste Fall ist 
der Dienst= oder Amtseid. Nach altem Her- 
kommen und nach allen neueren Staatsdiener- 
gesetzen ist jeder Beamte vor dem Dienstantritt 
auf Treue und Gehorsam gegen den Dienstherrn 
und auf Erfüllung aller Obliegenheiten des ihm 
übertragenen Amtes eidlich zu verpflichten. Man 
versteht demnach unter Amtseid jenen Eid, welcher 
von einem Beamten bei Ubernahme des Amtes 
geleistet wird und die gewissenhafte Erfüllung der 
eingegangenen Verpflichtungen von seiten des 
Schwörenden verbürgen soll. In dem Amtseid 
hat regelmäßig auch der Verfassungseid Aufnahme 
gefunden und ist mit demselben verschmolzen. 
Ülber die gesetzliche Wirkung des Diensteides ist 
folgendes zu sagen. Die Dienstpflichten entstehen 
aus dem Amtsverhältnis; sie erhalten also durch 
den Diensteid nicht erst ihre rechtliche Begrün- 
Reuß jüngerer Linie findet sich beides). Sodann 
oder treu zu bewahren (Sachsen, Sachsen-Coburg 
und Gotha, Schwarzburg-Rudolstadt) oder genau 
zu beobachten (Hessen, Lippe) oder heilig zu halten 
(Württemberg). Die Aufrechterhaltung wird be- 
tont in den Verfassungen von Bayern, Baden, 
Waldeck; hie und da wird noch ausdrücklich Ge- 
dung. Der Diensteid ist ein innerlich das Gewissen 
des Schwörenden verbindendes Verstärkungsmittel 
schon bestehender Verpflichtungen. Die Leistung 
eines Diensteides soll „ein religiöser Antrieb zu 
erhöhter pflichtgemäßer Aufmerksamkeit und zu ge- 
wissenhafter Erfüllung seiner Obliegenheiten“ sein 
(preuß. Kabinettsorder vom 11. Aug. 1832). Auf 
Grund der Gesetzesvorschriften ist allerdings die 
Eidesleistung als unerläßliches Erfordernis anzu- 
sehen. Die Verweigerung des Diensteides würde
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.