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Der Staatsbürgereid, wo ein solcher vorkommt,
hat die Wirkung, die Gehorsams= und Treue-
pflicht der Untertanen zu verstärken. Wo für die
Naturalisation der Untertaneneid vorgeschrieden
ist, würde bei Eidesverweigerung auch die Auf-
nahme in den Untertanenverband beanstandet
werden. In Hessen verpflichtet das Staatsbürger-
recht, welches Voraussetzung der Wahlfähigkeit
für Wahlen zur Zweiten Kammer ist, zur Leistung
des Treu= und Verfassungseides. Ebenso ist in
Bremen, Lübeck und wohl auch in Hamburg die
Ausübung der wichtigeren politischen Rechte nicht
schlechtweg an die Staatsangehörigkeit, sondern
an das Staatsbürgerrecht geknüpft. Gesetz und
Herkommen verpflichten entweder alle Staats-
angehörigen (Bremen) oder doch die Wohlhaben-
deren (Hamburg: 3000 M Einkommen) oder die
Träger öffentlicher Aufgaben (Lübeck: Beamte,
Notare, aber auch Mitglieder der Gewerbe= und
Handelskammer) zur Leistung des Staatsbürger-
eides. In den meisten deutschen Staaten ist die
Ableistung des Verfassungseides Voraussetzung
der Wahlfähigkeit der Staatsangehörigen;
ein besonderer Stand der Staatsbürger exi-
stiert hier nicht mehr oder hat doch nur in anderer
Richtung Bedeutung.
In die Reihe der Verfassungseide gehören end-
lich auch der Eid der Kammermitglieder
und der Eid der Staatsdiener, letzterer des-
halb, weil im Diensteid außer der Erfüllung der
Amtspflichten auch die Beobachtung der Landesver-
fassung versprochen wird. Die Festsetzungen über
die Beeidigung der Kammermitglieder bei der
Landtagseröffnung finden sich in den Verfassungs-
urkunden selbst, mitunter auch in Wahlgesetzen
(Sachsen-Meiningen 24. April 1873 Art. 20)
oder in den Geschäftsordnungen (Bayern 19. Jan.
1872; Hessen 17. Juni 1874 Art. 13; Sachsen-
Meiningen 23. April 1868 8 3), welche wie die
Legitimation der Kammermitglieder, so auch ihre
Beeidigung als eine wesentliche Voraussetzung für
die Berechtigung der Stimmabgabe ansehen (ogl.
d. Art. Geschäftsordnung, parlamentarische). Die
Eidesformel besteht regelmäßig aus zwei Haupt-
versprechen. Gewöhnlich geht die Treueversicherung
gegen den Landesfürsten voran; diese findet sich oft
auch in der Fassung, das unzertrennliche Wohl des
Fürsten und Landes im Auge zu behalten (Sach-
sen, Württemberg, Sachsen-Coburg und Gotha,
Schwarzburg-Rudolstadt, Reuß älterer Linie; bei
Sachsen-Altenburg, Schwarzburg-Sondershausen,
folgt die Versicherung, die Verfassung gewissen-
haft zu beobachten (Preußen, Baden, Oldenburg,
Schwarzburg-Sondershausen, Reuß älterer Linie)
Eid.
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horsam den Gesetzen (Baden, Hessen, Braun-
schweig, Sachsen-Meiningen, Lippe) oder (im
Gegensatz zur alten ständischen Verfassung, s. d.
Art.) nur das allgemeine Wohl ohne Rückjicht
auf besondere Stände oder Klassen zu vertreten
versprochen (Bayern, Baden, Hessen, Lippe); val.
d. Art. Abgeordneter. Der Eid wird, wie dies
viele Verfassungen ausdrücklich enthalten, nur
beim erstmaligen Eintritt, also von den neu-
gewählten Abgeordneten, verlangt. Nach einzelnen
Verfassungen (Sachsen, Oldenburg, Reuß älterer
Linie) verpflichten sich Wiedergewählte mittels
Handschlags auf den früheren Eid. — Eine Be-
eidigung der Reichstagsmitglieder findet nicht statt.
Bezüglich des Staatsdienereids, soweit
derselbe zugleich als Verfassungseid erscheint, ist
die Frage aufgetaucht, wie es demnach mit ver-
fassungswidrigen Weisungen vorgesetzter Behörden
zu halten sei. Bei der Beantwortung werden ge-
wöhnlich die materiell und die formell verfassungs-
widrigen Aufträge unterschieden (Gareis, Allgem.
Staatsrecht, in Marquardsens Handb. des öffentl.
Rechts der Gegenwart 111883) 166). Im Deut-
schen Reich gilt die Regel, daß in gehöriger Form
erlassene Befehle vorgesetzter Behörden den gehor-
chenden Beamten von der Verantwortlichkeit be-
freien und nur den Befehlenden verantwortlich
machen.
Nicht bloß auf dem Gebiet des Verfassungs-
rechts, auch auf dem der Verwaltung, ein-
schließlich der Finanz= und Militärverwaltung,
findet der Eid Verwendung, sei es nun daß es
sich um Erzielung einer wahren Aussage oder einer
festeren Zusage handelt. Der wichtigste Fall ist
der Dienst= oder Amtseid. Nach altem Her-
kommen und nach allen neueren Staatsdiener-
gesetzen ist jeder Beamte vor dem Dienstantritt
auf Treue und Gehorsam gegen den Dienstherrn
und auf Erfüllung aller Obliegenheiten des ihm
übertragenen Amtes eidlich zu verpflichten. Man
versteht demnach unter Amtseid jenen Eid, welcher
von einem Beamten bei Ubernahme des Amtes
geleistet wird und die gewissenhafte Erfüllung der
eingegangenen Verpflichtungen von seiten des
Schwörenden verbürgen soll. In dem Amtseid
hat regelmäßig auch der Verfassungseid Aufnahme
gefunden und ist mit demselben verschmolzen.
Ülber die gesetzliche Wirkung des Diensteides ist
folgendes zu sagen. Die Dienstpflichten entstehen
aus dem Amtsverhältnis; sie erhalten also durch
den Diensteid nicht erst ihre rechtliche Begrün-
Reuß jüngerer Linie findet sich beides). Sodann
oder treu zu bewahren (Sachsen, Sachsen-Coburg
und Gotha, Schwarzburg-Rudolstadt) oder genau
zu beobachten (Hessen, Lippe) oder heilig zu halten
(Württemberg). Die Aufrechterhaltung wird be-
tont in den Verfassungen von Bayern, Baden,
Waldeck; hie und da wird noch ausdrücklich Ge-
dung. Der Diensteid ist ein innerlich das Gewissen
des Schwörenden verbindendes Verstärkungsmittel
schon bestehender Verpflichtungen. Die Leistung
eines Diensteides soll „ein religiöser Antrieb zu
erhöhter pflichtgemäßer Aufmerksamkeit und zu ge-
wissenhafter Erfüllung seiner Obliegenheiten“ sein
(preuß. Kabinettsorder vom 11. Aug. 1832). Auf
Grund der Gesetzesvorschriften ist allerdings die
Eidesleistung als unerläßliches Erfordernis anzu-
sehen. Die Verweigerung des Diensteides würde